Am 5. Oktober 2022 entnehmen wir einem polnischen Nachrichtenportal das folgende:
«Es besteht jederzeit die potentielle Möglichkeit einer Teilnahme am nuclear sharing. Wir haben mit den amerikanischen Führern darüber gesprochen, ob die Vereinigten Staaten diese Möglichkeit in Erwägung ziehen. Das Thema ist offen, sagte Präsident Andrzej Duda. Würde Rußland einen Atomkrieg vom Zaun brechen, dann würden die hierfür Verantwortlichen weltweit in Acht und Bann getan. Das Problem besteht vor allem darin, daß wir keine Kernwaffen besitzen. Nichts deutet darauf hin, daß Polen in nächster Zukunft über solche verfügen könnte, ergänzte er.»
Diesen Ausführungen läßt sich entnehmen, daß der polnische Präsident für sein Land keine alleinige Verfügungsgewalt über Atomwaffen beansprucht und eine solche zumindest «in nächster Zukunft» für sehr unwahrscheinlich hält. Das «nuclear sharing», das ihm vorschwebt, bedeutet offensichtlich, daß die USA auf polnischem Territorium eigene Nuklearwaffen stationieren und den Polen dann ein Mitspracherecht über deren möglichen Einsatz zugestehen würden. In diesem Sinne hatte sich Vizeregierungschef Jarosław Kaczyński bereits ein halbes Jahr zuvor geäußert:
«Wenn die Amerikaner uns bitten würden, US-Atomwaffen in Polen einzulagern, so wären wir dafür aufgeschlossen. Es würde die Abschreckung gegenüber Moskau deutlich verstärken.»
Daß Polen, wenigstens vorderhand, keine eigenen Atomwaffen erwerben will, hat triftige Gründe, die bereits Ende 2014 in einer polnischen Tageszeitung dargelegt wurden:
«Selbst wenn wir die entsprechende Technologie besitzen und die Bombe produzieren werden, bleibt immer noch ein gewichtiges Problem: Wie bringen wir es fertig, diese Bombe auf das Territorium des potentiellen Feindes zu schaffen? Die Fähigkeit zur Herstellung einer nuklearen Ladung ist erst der halbe Weg. Wir müßten eine Raketentechnologie entwickeln, welche imstande wäre, diese Ladung über mehrere hundert Kilometer zu transportieren.»
An dieser Ausgangslage dürfte sich in den vergangenen acht Jahren kaum etwas geändert haben. Da Polen, auch wenn es eigene nukleare Sprengsätze besäße, nicht imstande wäre, mit diesen russische Großstädte zu bedrohen – allenfalls könnte es Ziele im äußersten Westen der Russischen Föderation treffen, und selbst dies ist angesichts der effizienten russischen Luftabwehr zweifelhaft –, wäre der Einsatz dieser Waffen, oder allein schon die Drohung damit, reiner Wahnsinn, denn Rußland ist ohne Zweifel in der Lage, jedes beliebige Ziel auf polnischem Boden zu vernichten. Aus diesem Grund sprechen sich Kacziński, Duda und andere polnische Spitzenpolitiker lediglich für das erwähnte «nuclear sharing» aus, bei dem der Entscheid über den Einsatz auf polnischem Boden stationierter US-Atomraketen der Regierung in Washington obläge.
Hungrig nach US-amerikanischen Atomwaffen auf polnischem Boden:
Jarosław Aleksander Kaczyński (* 18. Juni 1949 in Warschau), einst Vorsitzender der konservativen Partei Zentrumsallianz (1990–1998) und der nationalkonservativen Partei PiS (seit 2003), war er an der Bildung mehrerer polnischer Regierungen mitbeteiligt und von 2006 bis 2007 selbst Ministerpräsident Polens. Von Oktober 2020 bis Juni 2022 war er als Vizeministerpräsident Mitglied im Kabinett Morawiecki.
Andrzej Sebastian Duda (* 16. Mai 1972 in Krakau) ist seit dem 6. August 2015 Präsident der Republik Polen.
So wie deutsche und russische Regierungsverantwortliche, die sich ihrem eigenen Volk verpflichtet fühlen, deutsche bzw. russische Interessen zu vertreten haben und keine ausländischen, muß auch für einen patriotischen polnischen Politiker das Wohl seines eigenen Volkes oberstes Gebot sein. Somit ist der Plan der Herrschenden in Warschau, den USA die Stationierung von Raketen mit nuklearen Sprengköpfen auf polnischem Gebiet zu erlauben, einzig und allein daran zu messen, ob ein solcher Schritt dem polnischen Volk Nutzen oder Schaden brächte.
Wie in einem früheren Beitrag dargelegt wurde, haben die Machthaber in Polen in der Vergangenheit immer wieder eine Politik betrieben, die sich für ihr Volk letztlich verhängnisvoll auswirkte. Schon bald nach der Wiederherstellung eines polnischen Nationalstaates im Jahre 1918 nutzte dessen Regierung die (zeitweilige) Schwäche ihrer Nachbarstaaten Deutschland und Sowjet-Rußland, um beiden große Territorien abzunehmen. Nachdem sowohl Deutschland als auch Rußland – das mittlerweile Sowjetunion hieß – wieder erstarkt waren, fuhr Warschau in seiner trügerischen Hoffnung auf Unterstützung durch die Westmächte damit fort, seine mächtigen Nachbarn vor den Kopf zu stoßen. Für diese Verblendung mußte das polnische Volk dann bekanntlich einen sehr schmerzlichen Preis bezahlen.
Eine rationale Analyse der gegenwärtigen Lage führt zwangsläufig zum Ergebnis, daß die heutigen polnischen Machthaber drauf und dran sind, die Fehler, die ihre Vorgänger in der Zwischenkriegszeit begingen, zu wiederholen. Es kann nicht deutlich genug betont werden, daß die Konfrontationspolitik gegenüber Moskau, die Warschau vor allem seit dem Beginn der «militärischen Sonderoperation» im Februar 2022 betreibt, vollkommen kontraproduktiv ist und Polen nichts Gutes bringen kann. Durch die Beteiligung der Sanktionen gegen Rußland schneidet sich Polen wie der Rest Europas ins eigene Fleisch, da diese Sanktionen Rußland wesentlich weniger hart treffen als jene Länder, die sie verhängt haben. Und durch seine Waffenlieferungen an das Kiewer Regime macht sich Polen faktisch zur Kriegspartei.
Seitens russischer Kommentatoren wurde in letzter Zeit viel darüber spekuliert, ob Polen das Ziel verfolgt, einen Teil der Westukraine – zumindest die Gegend um Lemberg, eventuell auch Wolhynien – wieder in seinen Besitz zu bringen. Der eine oder andere Kommentator hat diese Idee sogar begrüßt – «damit das Bandera-Unwesen dann deren ihr Problem ist»: jener Teil der Ukraine, in dem die Mehrheit der Bevölkerung antirussisch eingestellt ist, soll den Polen überlassen werden, damit Rußland nach einem siegreichen Abschluß des Konflikts keinen endlosen Kampf gegen bewaffnete Separatisten in der Westukraine führen muß.
Sollte Warschau tatsächlich auf die Angliederung westukrainischer Gebiete spekulieren, müßte es gegenüber Moskau selbstverständlich eine konziliante Politik verfolgen, denn letzteres wird herzlich wenig Neigung zeigen, einem militant antirussischen polnischen Staat irgendwelche Territorien zu überlassen. Die Forderung nach Stationierung US-amerikanischer Nuklearwaffen auf polnischem Boden schließt jede territoriale Verständigung mit Rußland von vorneherein aus.
Was ist nun von Kaczyńskis Argument zu halten, US-Atomraketen in Polen würden «die Abschreckung gegenüber Moskau deutlich verstärken»? – Gar nichts, weil dieses Argument auf der falschen Prämisse beruht, Rußland werde nach einem erfolgreichen Abschluß des Ukraine-Krieges nach Westen expandieren wollen und stelle daher für Polen – aber auch die übrigen ehemaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts sowie das früher sowjetische Baltikum – eine akute Bedrohung dar.
Wer die Geschehnisse der letzten Jahrzehnte Revue passieren läßt, erkennt jedoch, daß Rußland gegenüber dem Westen keine aggressive Haltung an den Tag gelegt, sondern sich im Gegenteil nach Kräften um partnerschaftliche Beziehungen zu diesem bemüht hat, und daß die tatsächlich erfolgten russischen Militäraktionen in jedem einzelnen Fall eine Antwort auf westliche Provokationen darstellten. Ganz abgesehen davon, daß Rußland militärisch nicht in der Lage wäre, seine westlichen Nachbarstaaten zu überrennen – seine konventionellen Streitkräfte sind denen der NATO kraß unterlegen.
Man muß ideologisch schon sehr verblendet sein, um nicht zu kapieren, daß sich Polen mit einem «nuclear sharing» selbst in tödliche Gefahr brächte, weil die Abschußrampen der US-Atomwaffen im Kriegsfall sofort zur Zielscheibe der russischen Raketen würden, gegen die es aufgrund ihrer Geschwindigkeit keine Abwehrmöglichkeiten gibt. Sehen Kaczyński, Duda – und wie die Herrschaften alle heissen mögen – wirklich nicht, daß sie ihr Land mit einem solchen Schritt der Gefahr eines atomaren Infernos aussetzen würden?
Selbst in den USA melden sich besonnene Stimmen zu Wort, die vor solchen Abenteuern warnen. Am 18. Mai 2022 las man auf der Netzseite der Washingtoner Denkfabrik Brookings Institution:
«Die Stationierung der B-61-Bomben würde sie im Krisen- oder Konfliktfall verletzlicher für einen russischen Präventivschlag machen. Rußland hat in Königsberg Iskandr-M-Raketen stationiert. Mit einer Reichweite von bis zu 500 km könnten diese Raketen innerhalb von Minuten und praktisch ohne Vorwarnzeit Ziele fast überall in Polen treffen. Die beiden größten polnischen Luftwaffenstützpunkte – auf denen polnische F-16-Flugzeuge stationiert sind, die keine Kernwaffen tragen können – liegen in Reichweite der in Königsberg aufgestellten russischen S-400-Luftabwehrraketen und ihres Radars. (…) Die Stationierung von Nuklearwaffen in Polen wäre für Rußland eine enorme Provokation. (…) Man erinnere sich an die kubanische Raketenkrise von 1962, als die UdSSR 90 Meilen von der US-Küste entfernt Atomwaffen stationierte. Präsident John F. Kennedy verhängte eine Seeblockade, dank der er die notwendige Zeit für ein Abkommen mit Moskau gewann.»
Eine polnische F 16 auf dem 31. Fliegerhorst Posen-Kreising.
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