"Der Krieg muß nach Rußland getragen werden"

Der Westen macht kein Hehl mehr daraus, daß er die militärische Konfrontation mit Rußland sucht.

Den Deutschen ins Stammbuch geschrieben:

Lord Hastings Lionel Ismay (1887-1965), britischer General, Diplomat und erster Generalsekretär der NATO, umschrieb die Aufgabe der NATO mit den Worten: „Amerikaner drinnen, die Russen draußen und die Deutschen unten“ zu halten.

Josef Joffe im „Time Magazin“, 19. März 2009.

 

Jahrzehntelang war es in Deutschland ein Tabu, über einen neuerlichen Krieg mit Rußland auch nur nachzudenken. Jeder deutsche Minister, der derlei laut ausgesprochen hätte, wäre unverzüglich seines Amtes enthoben worden. Auch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland hält in Artikel 26 ausdrücklich fest: „(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. (2) Sie sind unter Strafe zu stellen.“

Man reibt sich verdutzt die Augen. Denn die „Ampel“-Regierung unter Kanzler Scholz (SPD) tut seit zwei Jahren genau das: sie stört das friedliche Zusammenleben der Völker, nämlich speziell mit Rußland, und angesichts der seit Monaten anhaltenden Eskalation, die Deutschland zusammen mit den anderen NATO-Partnern betreibt, ist der Befund keineswegs abwegig, daß Berlin die Führung eines Angriffskrieges vorbereitet.

Natürlich handelt die Bundesregierung nicht im Alleingang, sondern setzt eine NATO-Agenda um, die der Öffentlichkeit offenbar noch nicht bewußt ist. Was heute in der Ukraine und an der Ostflanke des westlichen Militärbündnisses passiert, ist ein breit angelegtes, über viele Jahre hinweg minutiös vorbereitetes NATO-Projekt, das US-amerikanischen Vorgaben folgt und die Zerstörung der deutsch-russischen Beziehungen, den Ruin der deutschen Energieversorgung – infolge der Industrie und Infrastruktur – und die Eindämmung Rußlands zum Ziel hat.

Und die Dinge nehmen Fahrt auf. Seit Ende Januar findet im gesamten NATO-Raum, vor allem aber im unmittelbaren Vorfeld Rußlands, unter dem Decknamen „Steadfast Defender 2024“ (dt., „Unbeugsamer Verteidiger 2024“) ein Großmanöver statt, an dem bis zu 90.000 Soldaten teilnehmen. Im Rahmen der Übung verlegt das westliche Bündnis dabei Kontingente aus allen NATO-Staaten nach Osteuropa. Unter anderem in Norwegen, Litauen, Polen, Deutschland, Ungarn und Rumänien soll der Landkrieg gegen Rußland trainiert werden. Der Übungsraum erstreckt sich von Norwegen bis Rumänien.

Besonders brisant: die NATO-Streitkräfte werden dabei erstmals auf der Grundlage realer geografischer Daten den Krieg üben. Auch der simulierte Feind wird, anders als bei Manövern sonst üblich, offen benannt: eine von Rußland geführte Koalition. Die Bundeswehr ist nicht nur mit einem eigenen Kontingent in Lettland, sondern auch mit einem eigenen Großmanöver („Quadriga 2024“) und insgesamt 12.000 Soldaten beteiligt. Damit soll die Präsenz der Bundeswehr im öffentlichen Raum verstärkt und die Öffentlichkeit an die Nähe des Krieges gewöhnt werden. Die bundesdeutsche Gesellschaft auf den Ernstfall einzustimmen und nach Jahrzehnten des Friedens wieder „kriegstüchtig“ zu machen, gehört zu den erklärten Zielen der Bundesregierung und ihr nahestehenden Kreisen aus dem Rüstungs- und Sicherheitssektor; und zwar in – man glaubt es kaum – grün-roten Zeiten.

Merkwürdig! – Diese Farben standen doch bisher immer für „Friede, Freundschaft, Eierkuchen!“; also für: Nachgeben, Deeskalation, Entspannung, Ablehnung jedweder gewalttätigen oder gar mit Hilfe von Waffen ausgetragener Konflikte, friedliche Koexistenz, Verständnis, Toleranz, Humanität, Pazifismus.

Das Gefährliche an der Situation ist, daß das bis Mai angesetzte NATO-Manöver mit immer schrilleren Kriegswarnungen ranghoher westliche Politiker und Militärs einhergeht. Eine zufällige Koinzidenz kann dabei ausgeschlossen werden, weil die Häufigkeit dieser Verlautbarungen in den letzten Wochen massiv zugenommen hat. NATO-Funktionäre werden dabei nicht müde, auf allen Kanälen die drohende Kriegsgefahr an die Wand zu malen und dabei immer unverhohlener vor der direkten militärischen Konfrontation mit Rußland zu „warnen“.

Höhere Offiziere der US-Auxiliatruppen ergehen sich in wüstem Kriegsgetrommel:

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Admiral Robert Peter Bauer (* 11. November 1962 in Amsterdam) war von 2017 bis 2021 Befehlshaber der niederländischen Streitkräfte, aktuell ist er Vorsitzender des NATO-Militärausschusses.

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Sir Patrick Nicholas Yardley Monrad Sanders (* 6. April 1966 in Tidworth, Wiltshire) ist als General seit Juni 2022 Chef des britischen Generalstabes. Am 16. Juni 2022 ermahnte Sanders britische Soldaten, sie sollen angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine bereit sein „noch einmal in Europa zu kämpfen“. Er verwies hierfür auf ein „[absolutes Muß] für eine Armee, die fähig ist an der Seite unserer Verbündeten zu kämpfen und Rußland in der Schlacht zu besiegen“. („BBC News“, 19. Juni 2022)

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General Eirik Johan Kristoffersen (* 3. April 1969 in Bjerkvik bei Narvik) ist seit 17. August 2020 Befehlshaber der norwegischen Streitkräfte.

Der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Admiral Rob Bauer, deutete im Januar bei einem Treffen des Bündnisses die Möglichkeit eines großen Krieges („all-out war“) gegen Rußland an und räumte freimütig ein: „Wir müssen verstehen, daß der Frieden, in dem wir leben, nicht selbstverständlich ist. Und deshalb bereiten wir uns auf einen Konflikt mit Rußland vor.“

Ähnlich äußerte sich der britische Armeechef Sir Patrick Sanders – er riet den Bürgern seines Landes, sich auf einen Krieg in der Größenordnung der großen Konflikte des 20. Jahrhunderts (!) – also des Ersten und Zweiten Weltkrieges – einzustellen.

Der Oberbefehlshaber der norwegischen Streitkräfte, General Eirik Kristoffersen, wurde noch drastischer und beschwor im „Daily Telegraph“ die Gefahr eines Krieges mit Rußland schon innerhalb der nächsten Jahre: „Das aktuelle Zeitfenster wird noch ein oder zwei, vielleicht drei Jahre offen bleiben, in denen wir noch mehr in unsere Verteidigung investieren müssen.“

Nochmals: wer derlei in den letzten Jahrzehnten offen ausgesprochen hätte, wäre unverzüglich wegen gemeingefährlicher Brandstiftung gefeuert worden. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Eine besonders schrille Warnung kommt ausgerechnet aus Berlin. In Medienberichten wird offen ausgesprochen, daß man sich im Bundesverteidigungsministerium auf die militärische Konfrontation (!) mit Rußland vorbereite. Die deutschen Planungen nennen auch gleich einen Termin, der sich praktischerweise mit dem Zeitfenster von „Steadfast Defender“ deckt: Februar 2024 bis Mai 2025. Das wahnwitzige Szenario geht von einem Angriff Rußlands im Baltikum aus.

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Spielt gerne mit dem Feuer: Oberst a. D. Roderich Kiesewetter (* 11. September 1963 in Pfullendorf), Mitglied in der Atlantik-Brücke, im Lions-Club und in der Trilateralen Kommission, sitzt seit 2009 für die CDU im Bundestag. Von 2011 bis 2016 war er Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr.

Einen weiteren Eskalationsschritt steuerten die USA bei: sie kündigten dieser Tage an, erstmals seit 15 Jahren wieder Atomwaffen in Großbritannien stationieren zu wollen, und zwar schon bald. Und als ginge es darum, zu beweisen, daß es immer noch irrer geht, forderte der deutsche CDU-Verteidigungsexperte und ehemalige Bundeswehroberst Roderich Kiesewetter am 8. Februar unverhohlen: „Der Krieg muß nach Rußland getragen werden.“

Nota bene: bei alledem handelt es sich nicht mehr um Verteidigungsvorbereitungen, sondern um handfeste militärische Drohungen und Gesten, die unschwer als Angriffsvorbereitungen verstanden werden können. Die NATO kann sich darüber nicht um unklaren sein. Man muß davon ausgehen, daß sie es ernst meint.

Der zitierte Admiral Rob Bauer lieferte dafür eine Begründung, die ein zynisches Kalkül erkennen läßt. Er sagte dem britischen „Independent“ mit Blick auf die Entwicklung in der Ukraine: „Der Ausgang dieses Krieges wird das Schicksal der Welt bestimmen.“ Das hat viel für sich. Weil die NATO diesen Krieg nicht verlieren möchte – auch wenn derzeit alles darauf hindeutet –, muß sie konsequenterweise darauf hinwirken, daß er sich zum Flächenbrand, zum „all-out war“, auswächst. Nur so kann sich das Nordatlantik-Bündnis zumindest theoretisch noch eine Chance ausrechnen, Rußland in der direkten Konfrontation in die Knie zu zwingen.

Damit droht sich eine Entwicklung zu wiederholen, die Moskau im Februar 2022 zum Eingreifen in der Ukraine zwang. Es ist ein brandgefährliches Spiel, weil Rußland der westlichen Aggression, selbst wenn es wollte, nicht wird ausweichen können. Dann wird es wirklich ernst.

Tiltefoto: Deutscher Kampfpanzer vom Typ Leopard II beim Manöver „Quadriga 2024“.

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