Der Krieg in der Ukraine brach wie erwartet aus, aber doch unerwartet. Nach Monaten der westlichen Propaganda, Russland bereite einen Angriff auf die Ukraine vor, kann man nicht sagen, dass dieser Krieg wie eine Überraschung kam. Wer hat aber so einen Anfang erwartet?
Das gleiche gilt auch für den wirtschaftlichen Druck auf Russland, den der Westen als Antwortmaßnahme entfaltet hat. Eine scharfe Reaktion konnte erwartet werden, doch wer hat vorhergesagt, dass die USA und Europa ihre Hauptaktiva, das Vertrauen zum Weltwährungssystem riskieren und die globale Logistik der ganzen Branchen an den Rand des Ruins bringen würden? Die Seiten bereiteten sich schon lange und sorgfältig auf die Generalauseinandersetzung vor. Die Krise ist prima gelungen. Die Geschwindigkeit, mit der die Welt zu einer Katastrophe hinabrutscht, und der Enthusiasmus der Seiten erinnert an den Ersten Weltkrieg. Die Zivilisation hat sich natürlich geändert und so ein Gemetzel wird es heutzutage nicht geben (nicht wahr?), doch dass infolge dieses Kriegs das Weltsystem sich gründlich verändert, unterliegt keinem Zweifel.
Also, welche erste Schlussfolgerungen und Prognosen kann man schon heute machen.
Ein subkritischer Krieg
Es ist schon klar, dass einen Krieg von so einem Ausmaß und so einer Intensivität es in Europa und in der ganzen Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gegeben hat. Der Einsatz von fortgeschrittenen und schweren Waffen, die Integration der modernen Aufklärungs- und Kommunikationsmittel, das Niveau der Kampfplanung und der Führung, die eingesetzten Kräfte. Und zwar von den beiden Seiten: Das Ausmaß der operativen Integration von der NATO in die Kämpfe in der Ukraine ist offensichtlich und naht sich der Grenze, nach der eine direkte Konfrontation von Russland und der NATO beginnen kann. Wenn man im Allgemeinen den Ausdruck „ein klassischer Krieg“ verwenden kann, ist das, was wir sehen, der seit vielen Jahrzehnten erste klassische Krieg.
Wie konnte so was in Europa passieren? Die Jahrzehnte der Mantrawiederholung, dass sich so was in Europa nie mehr wiederholen darf, haben gesetzmäßig zu einer Wiederholung geführt. Warum gesetzmäßig? Weil durch Mantras der Aufbau eines tatsächlich allumfassenden Systems der kollektiven Sicherheit in der Region ausgetauscht wurde. Falls ihr Jahrzehnte lang systematisch die Besorgnisse der stärksten Militärmacht auf dem Kontinent ignoriert, ist es albern, mit einem anderen Ergebnis zu rechnen. Das sind aber allgemeine Voraussetzungen. Konkret genommen wurde der Krieg in der Form, wie wir ihn jetzt haben, infolgedessen möglich, dass Russland es schaffte, zwei Schlüsselprobleme bei der Führung des Regionalkriegs zu lösen – das Risiko eines Nuklearkonflikts und enorme Verluste unter den Zivilisten.
Das Entstehen der Hyperschallwaffen ließ das erste Problem lösen. Die Möglichkeit, kritisch wichtige Elemente der feindlichen Militärinfrastruktur garantiert zu vernichten, lässt sich beim Einsatz konventioneller Waffen sicher fühlen. Das moralische Dilemma über den unausweichlichen Einsatz der taktischen Nuklearwaffen quält nachts Politiker und Militärführer nicht mehr. Im Grunde genommen haben die Hyperschallwaffen den Faktor der atomaren Abschreckung auf dem Regionalniveau ausgeschlossen. Das ist das erste.
Und das zweite: Eine große Erfahrung der russischen Armee im Syrien-Einsatz ließ eine Strategie entwickeln und umsetzen, die Verluste unter den Zivilisten minimisiert. Und wäre die Verteidigungstaktik der Ukrainischen Streitkräfte und Nationalbataillonen nicht so irrational und menschenfeindlich, würde es der Ukraine gelingen, dem humanitären Zusammenbruch, dem sie sich heutzutage rasant naht, zu entgehen.
In den letzten Jahren hat der Begriff „hybrider Krieg“ an Popularität gewonnen. Was wir in der Ukraine sehen, ist ein subkritischer Krieg. Ein vollwertiger Regionalkrieg, der auf einem Niveau geführt wird, das den Übergang zu einem klassischen Gemetzel und danach zu einem Atomkrieg ausschließt. Allem Anschein nach begreift das die amerikanische Führung und macht alles, damit der Krieg subkritisch bleibt.
Der historische Kontext und die Nachfolgen für Russland
Russland hat viele Erfahrungen mit den Kontinentalkriegen. Kontinentalkriege nicht im Sinne, dass es zu Lande gekämpft wurde, sondern dem Ausmaß nach. Und der heutige Krieg ist, insbesondere im Hinblick auf die Wirtschaftsblockade seitens der westlichen Staaten, genau so einer.
- Der Vaterländische Krieg, 1812-1814;
- Der Krimkrieg, 1853-1856;
- Der Große Vaterländische Krieg, 1941-1945.
Der heutige Ukraine-Krieg ist eine direkte Fortsetzung von diesen drei Kriegen. Obwohl es scheint, es gäbe zwischen ihnen wenig Gemeinsames.
Der Haupteinigungszug dieser Kriege ist, dass sich in denen der Charakter Russlands Beziehungen zum weltweiten Kolonialsystem zeigt. Der Vaterländische und der Große Vaterländische Kriege waren ein Teil des Kampfes für die Neuaufteilung des weltweiten Kolonialsystems. Und der Krimkrieg sowie die heutige Militäroperation in der Ukraine haben den Gesamtdruck des weltweiten Kolonial- (der Krimkrieg) und Neokolonialsysteme (die Ukraine) auf Russland gezeigt.
Aus dieser Gesetzmäßigkeit folgen zwei Schlüsse.
Erstens gelingt es Russland besser, den Gesamtdruck des Westens auszuhalten. Anscheinend ist das damit zu verbinden, dass das Niveau der Mobilisierung und der Opferbereitschaft des ganzen Westens niedriger ist, als das seiner Einzelteile, die auf die Neuaufteilung des Kolonialkuchens höchst motiviert sind.
Heutzutage gibt es im Westen keine Akteure, die das Potenzial für die Neuaufteilung hätten, und das Mobilisierungsniveau ist trotz des ganzen russophoben Propagandarausches nicht hoch. Ähnliche Ansprüche sind seitens Polen zu sehen, sein Niveau ist aber die Neuaufteilung der Subventionen innerhalb der EU und der NATO-Haushalte.
Zweitens übte jeder solcher Krieg den mächtigsten Einfluss auf Russlands politisches System aus. Im Grunde genommen startete jeder von ihnen den politischen Prozess neu und formte eine konsolidiertere, patriotischere und handlungsfähigere Macht.
Für das moderne Russland ist so ein Neustart eine äußerst positive Erscheinung. Die Militäroperation in der Ukraine wird eine noch wichtigere Rolle für die Weltanschauungsabgrenzung vom Westen spielen, als die von dem NATO-Einsatz gegen Jugoslawien.
Im Großen und Ganzen haben die NATO-Osterweiterung und die damit verbundene Konfliktträchtigkeit in der Entstehung der modernen russischen Staatlichkeit so eine Rolle gespielt, die nicht überschätzt werden kann. Zum Schlüsselereignis in diesem Prozess wurde die Rede von Wladimir Putin in München (2007), die alle Hinweise auf alle russischen Besorgnisse und alle Signale an die westlichen damals noch Partner fasste, das Ignorieren von denen im Endeffekt zum 24. Februar 2022 geführt hat. Und der Ukraine-Konflikt ist eine wesentliche Stufe dieses Prozesses.
Mehr als das, man kann annehmen, dass der Konflikt in der Ukraine der Finalpunkt auch in der Geschichte Russlands Militärkonfrontation mit dem weltweiten Kolonialsystem wird. Erstens erschöpft sich Neokolonialismus wie eine geowirtschaftliche Strategie, noch lange bevor er den Höchstpunkt erreichen könnte, aber die Ressourcen für die nächste Welle der Quasikolonialpolitik wird der Westen schon keine haben.
Zweitens gibt es in Europa keine Akteure und keine werden erwartet, welche wie die der Vergangenheit in eine direkte Militärkonfrontation mit Russland treten könnten. Was wir in der Ukraine sehen, ist nach einer in der russischen Gesellschaft ziemlich verbreiteten Meinung Russlands Krieg gegen Russland. Einer sieht darin einen Krieg eines erneuten Russlands gegen das bis zum logischen Schluss geführten Russland der 90-er Jahre. Anderer – einen Krieg eines Kernstaates, der noch nicht ganz die Sozialkonstruktionen des Agrarreichs abgeworfen hat, gegen einen Peripheriestaat, ein tief archaisiertes Teil dieses ehemaligen (nicht ganz ehemaligen!) Agrarreichs.
Apropos, genau damit ist die nach dem modernen Maß ziemlich hohe Bereitschaft auf dem Gefechtsfeld zu sterben und zu töten verbunden: Damit, dass die postsowjetischen Staaten doch nicht ganz die Sozialkonstruktionen des Agrarreichs verlassen haben. Das war eigentlich für das historische Russland immer einer der wichtigsten Konkurrenzvorteile in den Kriegen des 19.-20. Jhd., dass seine Gesellschaft weniger als die europäische modernisiert war, doch auf dem Vergleichsniveau der militärtechnischen und industriellen Entwicklung.
In der Ukraine sehen wir einen Versuch, diese Karte gegen Russland zurück auszuspielen. Doch schon heute sieht man, dass dieser Versuch nicht gelungen wird.
Auch deswegen nicht, weil wie der Ehrenvorsitzende des Rats für Außen- und Verteidigungspolitik Sergei Karaganow ganz treffend sagte (2016), „Russland wird keinen Krieg mehr auf seinem Gelände führen.“ Diese These sollten alle in Betracht ziehen, die irgendwie mit der Kriegsplanung gegen das Land zu tun haben.
Die Zukunft des Repressivstaates
Der Krieg ist eine staatliche Sache. Besonders derartige, der in der Ukraine gezeigt wurde. Weltweit gibt es nur wenige einzelne Streitkräfte, die dazu fähig sind, solche Gefechtstätigkeit zu führen. (Die Ukraine, die die Rolle einer antirussischen Kamikaze-Schabe unter der US-Führung spielt, gehört zu denen nicht.) Die Fähigkeit oder Unfähigkeit eines Staates einen derartigen Krieg zu führen nimmt den wesentlichsten Einfluss auf die Transformation eines Staates wie einer Institution bis zur Mitte des 21.Jhd. Gut bekannt ist die neoliberale Rhetorik über die sich verringernde Rolle des Staates. Der Sinn dieser Rhetorik ist aber nicht, dass man den Staat nicht mehr braucht, sondern dass sich nicht alle einen leisten können. Und sogar, dass es nicht allen erlaubt wird, einen zu haben. Und nicht allen wird es erlaubt, seine Ressourcen und Möglichkeiten zu benutzen. Dadurch, dass großes Kapitel den Verzicht auf einen starken Staat propagiert, nutzt es gerne und eifrig die Möglichkeiten des Staates, um die eigenen Parolen durchzusetzen. Sei es der „grüne Umstieg“ oder Besonderheiten der Anti-Corona-Politik. Im Kontext der Gespräche über das Scheitern des Staates sehen wir einen in den letzten Jahrzehnten niedagewesenen Nachfrageanstieg nach den Repressivmöglichkeiten des Staates.
Der Staat ist das effektivste Instrument, um die Kapitalakkumulation zu gewährleisten oder die Akkumulation davon, das das Kapital in der neuen Digitalepoche ersetzt.
Nicht alle werden sich aber einen Staat leisten können. Das Abschließen der Globalisierung, der Verstädterung und der Industrialisierung, die den kolossalen Ressourcenüberschuss sicherten, stellt die Frage: Und womit soll der Staat unterhalten werden?
Während des Übergangsprozesses reichten die Ressourcen sowohl für die Kapitalakkumulation, als auch für den staatlichen Interventionismus sowie für Sozialprogramme. Dabei für viele Länder. Nun aber, wo sowohl die Globalisierung zu Ende ist, als auch die Erweiterung des eigentlichen westlichen Wirtschaftsareals in der Ukraine gestolpert ist, wird es an Ressourcen mangeln. Nun wird sich die Zahl der Glücklichen, die sich einen wirklich starken Staat leisten können, wesentlich reduzieren. Ein starker Staat hat zweifellos seine Schwachstellen. Hoch hierarchische Systeme schaffen es rechtzeitig nicht, sich den Veränderungen anzupassen. Dafür sammeln sie aber Ressourcen gut an. Und diese Funktion kann in einer neuen „vollen Welt“ (Der Club of Rome, 2018) sich als viel wichtigere erweisen, als das die Ausrufer der Metaversen darstellen.
Die Zukunft des Geldes
Es ist schon landläufig angenommen, dass der Krieg in der Ukraine den Anfang einer postamerikanischen Welt und den Untergang des auf dem Dollar basierenden Währungssystems kennzeichnet. In den ersten Monaten wurden zu diesem Thema gleich mehrere Vorträge und Artikel veröffentlicht, die Kompetenz und Informiertheit deren Autoren keinen Zweifel wecken. Was tritt aber an die Stelle?
Um einen Schluss zu ziehen, genügt es, zwei Karten zu vergleichen – die Länder, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben, und die Länder mit dem höchsten Schuldsatz pro Person. Sie decken sich. Die USA und Kanada, Australien und Japan, Europa. Im Grunde genommen geht es um einen Wirtschaftskrieg der Schuldner gegen den größten Ressourcenanbieter (Energieträger, Metalle, Dünge- und Lebensmittel).
Es ist klar: Der Hauptvektor der Transformation ist der Übergang vom Fiatgeld zu den mit Ressourcen gedeckten Währungen. Oder zu den Allianzen, wo Ressourcenanbieter eine Vereinbarung mit dem Industriezentrum haben (z.B. die Verhandlungen zwischen dem Königreich Saudi-Arabien und der Volksrepublik China über den Umstieg auf den Yuan bei Abrechnungen).
Das sind aber nicht alle schlechten Nachrichten für die Emittenten der ungedeckten Reservewährungen, die daran gewöhnt sind, die Inflation auf die Peripherie zu exportieren. Mit den Ressourcenwährungen zugleich werden ihr Dominieren auch Kryptowährungen untergraben.
Die Marktkapitalisierung der Kryptowährungen wird schon jetzt auf bis 20 Billionen Dollar taxiert (15 Prozent des weltweiten BIPs). Und bislang wurde dafür kein klares Regulierungssystem entwickelt. Es ist im ganzen nicht klar, wie die schwächer werdenden westlichen Staaten ihn kontrollieren können. Und je weniger sie ihn kontrollieren können, desto weniger Ressourcen werden in ihren Händen bleiben.
Wahrscheinlich schaffen es die USA mit ihrer Führung in der Digitalwelt, sich Positionen in einer neuen Kryptowelt zu sichern. Die Position der anderen westlichen Länder weckt aber in der Hinsicht großen Zweifel.
Jedenfalls verändert dieser Druck von zwei Flanken auf die klassischen (Fiat-) Geldsysteme in den nächsten zwanzig Jahren die Weltwährungskarte. Und nicht nur die Währungskarte, sondern auch die politische.