Afrikanische Rochade

Durch den Putsch in Niger droht dem Westen die nächste strategische Niederlage

Am 26. Juli putschte in Niger das Militär gegen Präsident Mohamed Bazoum und setzte ihn in der Hauptstadt Niamey fest. Bazoum wurde für abgesetzt erklärt, ein „Nationaler Rat zum Schutz des Vaterlandes“, dessen Führung der Chef der Präsidentengarde, General Omar Tchiani, an sich gezogen hat, hat die Regierungsgeschäfte übernommen. Einen Tag später kündigten die Putschisten die Truppenstationierungsverträge mit Frankreich auf – eine klare Ansage an den Westen.

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Der neue Machthaber in Niger, General Omar Tchiani (* 1. Januar 1964), Präsident des Nationalen Rates für den Schutz des Vaterlandes der Republik Niger, wendet sich vom Westen ab und sucht in Rußland einen neuen Partner.

Der Putsch in Niger ist bereits der sechste in der Region innerhalb weniger Jahre. Im Mai 2021 übernahm das Militär im Nachbarland Mali die Macht – und konnte sie in den darauffolgenden Monaten mit Unterstützung der russischen Wagner-Sölder erfolgreich behaupten. Noch im gleichen Jahr wurde auch in Burkina Faso, dem einstigen Obervolta, der Präsident Roch Kaboré abgesetzt, und in Tschad trat Idriss Déby, ebenfalls ein General, die Nachfolge seines ermordeten Vaters an. Alle abgesetzten Präsidenten galten als pro-westlich. Und alle drei Länder beharren unter ihren neuen Machthabern auf ihrer Souveränität gegenüber dem Westen.

Dieser sieht nun in der gesamten Region seine Felle davonschwimmen. Erst 2017 hatten Deutschland, Frankreich und die EU die „Sahel-Allianz“ aus der Taufe gehoben, der Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und der Tschad angehören. Die Allianz sollte als strategische Basis für den Zugriff auf zahlreiche Bodenschätze in der Region fungieren, nicht zuletzt auf die reichen Uranvorräte in Niger, die eine wichtige Rolle für den Betrieb der 56 französischen Atomkraftwerke spielen. Niger ist der siebtgrößte Uranproduzent der Welt und immerhin der zweitwichtigste Uranlieferant Europas.

Darüber hinaus hatte Brüssel Niger als Standort eines großen Gasknotenpunkts auserkoren. Die künftige Transsahara-Gaspipeline sollte das Land von Nord nach Süd durchqueren und schon bald afrikanisches Gas als Ersatz für das russische nach Europa pumpen – so das Kalkül. Das Gesamtvolumen des Projekts war auf 30 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr veranschlagt.

Aus alledem wird nun nichts. Wenn sich die Putschregierung in Niamey an der Macht halten kann, zöge sich mit einem Mal ein massiver Streifen von Staaten von West nach Ost – von Guinea bis in den Sudan –, die allesamt ihre Abhängigkeit vom Westen loswerden wollen und von emanzipierten, anti-westlichen Militärs regiert werden. Die ganze Bewegung ist ein kompakter Aufstand gegen den Westen und seine neokoloniale Rohstoffpolitik, die zu Lasten der Afrikaner geht.

Auch in Niger hatten die Europäer mit dem abgesetzten Präsidenten Bazoum auf das falsche Pferd gesetzt. Dieser ist bei der eigenen Bevölkerung seit langem extrem unbeliebt, zum einen wegen seiner Unentschlossenheit im Kampf gegen die jihadistischen Rebellen, zum anderen wegen seines rabiaten Vorgehens gegen die Opposition im Lande.  Es ist nicht überraschend, daß die Bevölkerung die neuen Machthaber unterstützt und Bazoum, der sich nur auf ausländische Appelle und Solidaritätsadressen stützen kann, zum Teufel wünscht.

Für den Westen ist guter Rat jetzt teuer. Weite Teile Afrikas drohen sich seinem Zugriff zu entziehen. Eigentlich ist das längst überfällig. Denn bis heute sind 14 Länder in West- und Zentralafrika noch immer im sogenannten „Kolonialvertrag“ (frz., pacte colonial) aus dem Jahr 1960 an Frankreich gebunden, in dem sie sich verpflichten mußten, 85 Prozent ihrer Devisenreserven bei der Bank von Frankreich anzulegen. Darüber hinaus hat sich Frankreich das Recht verbriefen lassen, strategische Rohstoffe auszubeuten, während umgekehrt Importe vor allem aus Frankreich erfolgen müssen. Die Afrikaner haben von alledem wenig.

Schon seit längerem macht sich in Paris die Sorge breit, der „Kolonialpakt“ könnte brechen und seine 14 afrikanischen Mitgliedsländer könnten auf die Idee kommen, sich für wirklich unabhängig zu erklären, ihre Rohstoffvorkommen zu verstaatlichen und zu ungleich besseren Preisen auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Auch in Afrika mehren sich die Anzeichen dafür, daß sich die globalen Gewichte verschieben und eine umfassende Neuorientierung erfolgt: weg vom Westen, hin zu neuen Akteuren wie Rußland und China.

Die US-Regierung zeigte sich in einer ersten Reaktion „zutiefst besorgt“ über die Entwicklung. Offenbar ist man nicht bereit, Westafrika kampflos aufzugeben. Weil aber bereits der Krieg in der Ukraine die eigenen Kräfte hoffnungslos überstrapaziert, sollen nun afrikanische Vasallen die Kastanien aus dem Feuer holen.

Hauptsächlich von Frankreich in Stellung gebracht, droht die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) mit einem militärischen Eingreifen. Doch für eine erfolgreiche Intervention in Niger dürften ihre Kräfte kaum ausreichen. Demgegenüber verfügt die Putschregierung in Niamey – ohne die Mobilisierung von Freiwilligen – über mindestens 12.000 Soldaten, höchstwahrscheinlich auch über russische Wagner-Söldner. Mit Interesse registrierten Beobachter, daß sich Wagner-Chef Prigoschin Ende Juli am Rande des zweiten Afrika-Gipfels in Sankt Petersburg zeigte und sich beim Händeschütteln mit afrikanischen Staatschefs fotografieren ließ. Ihre Solidarität mit Niger erklärten darüber hinaus auch die Nachbarländer Mali und Burkina Faso.

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Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft wurde am 28. Mai 1975 mit der Unterzeichnung des Vertrages von Lagos gegründet und trat 1976 in Kraft. 1978 folgte ein Nichtangriffsprotokoll und am 29. Mai 1981 ein Abkommen über gemeinsame Verteidigung durch die ECOWAS Monitoring Group (ECOMOG). Man will nun gegen die Putschisten in Niger, dessen Mitgliedschaft suspendiert worden ist, vorgehen. – Wer dahinter steckt, dürfte klar sein. Im Bild: ein nigerianischer ECOMOG-Soldat.

Einstweilen sieht es nicht so aus, als würden die neuen Machthaber in Niamey klein beigeben. Die berüchtigte US-Vizeaußenministerin Victoria Nuland ließen sie Anfang August kurzerhand abblitzen. Auch auf die Aussetzung westlicher Entwicklungs- und Finanzhilfen reagierten sie gelassen und gaben der US-Regierung den Rat, sie solle ihr Geld für sich behalten und es besser für die Millionen Obdachloser in den Vereinigten Staaten verwenden. Gleichzeitig untersagte die Putschregierung die Ausfuhr von Gold und Uran nach Frankreich – und trifft den Westen damit an seiner verwundbarsten Stelle, nämlich bei seiner Energie-Abhängigkeit.

Dennoch: die Gefahr eines weiteren Stellvertreterkrieges zwischen dem im Abstieg befindlichen Westen und dem sich formierenden afro-eurasischen Block unter der Führung Rußlands und Chinas ist real. Der Westen hat auch in diesem Konflikt die schlechteren Karten. Nach Mali und Burkina Faso entgleitet ihm gerade ein weiteres afrikanisches Land, das sich gegen die Bevormundung durch Brüssel und Washington stellt. Die Folgen könnten gravierend sein.

Titelphoto: Es geht – wie stets – um Geld, Rohstoffe, Klientelwirtschaft, und nicht um „Menschenrechte“, „Religionsfreiheit“ und „Demokratie“ und andere probate Worthülsen, welche die Globalisten gerne im Munde führen. Der Uranbergbau – im Bild der Tagebau bei der Stadt Arlit – im Niger ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des westafrikanischen Binnenstaates, denn Uran ist das wichtigste Exportgut. Im Jahr 2015 betrug der nigrische Anteil (aus zwei aktiven Bergwerken) etwa 7 % der Welturanförderung. U. a. darauf ist Paris scharf.

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