Seit vier Jahrzehnten wird der Welt das US-amerikanische Flugabwehrsystem MIM-104 „Patriot“ als Wunderwaffe präsentiert. Die erste öffentlichkeitswirksame Premiere hatte es 1991 im Golfkrieg. Über 40 irakische Scud-Raketen – sie basieren übrigens auf der „Wasserfall“-Flugabwehrrakete, welche in der Endphase des Zweiten Weltkrieges im Deutschen Reich entwickelt wurde – soll es damals über Israel und Saudi-Arabien abgewehrt haben – es war der erste Einsatz des Systems in einem militärischen Ernstfall.
Start eines „Patriot“-Lenkflugkörpers.
Für den Hersteller, den US-amerikanischen Rüstungskonzern Raytheon, stand nach der jahrzehntelangen Entwicklungsarbeit und immensen Investitionen in das Projekt eine Menge auf dem Spiel. Die Vorarbeiten reichten bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück. Weiterentwicklung und Tests dauerten bis 1981. Bei der US-Army wurde die erste Einheit 1984 in Dienst gestellt. Aber erst der Irakkrieg gegen Saddam Hussein (1991) und dessen aus sowjetischer Produktion stammende Scud-Raketen boten die Gelegenheit zur Erprobung unter Gefechtsbedingungen.
Der damalige US-Präsident George Bush präsentierte – bezeichnenderweise nach einem Besuch bei Raytheon – der Öffentlichkeit die Erfolgsquote: „42 Scuds bekämpft, 41 abgefangen.“ Schnell machten Berichte über eine Trefferquote von 80 Prozent und mehr die Runde. Diese Legende haftet dem „Patriot“-System bis heute an.
Raytheon Technologies Corporation – entstanden 2020 aus der Fusion der beiden Unternehmen Raytheon und United Technologies – ist ein multinationaler Mischkonzern mit Hauptsitz in Waltham (Massachusetts). Das Unternehmen entwickelt und produziert Technologie im Bereich der Verteidigung und der Luft- und Raumfahrt, darunter Flugzeugtriebwerke, Avionik, Cybertechnologie, Raketen, Luftverteidigungssysteme und Drohnen. Es ist einer der größten militärischen Auftragnehmer, welcher einen erheblichen Teil seiner Einnahmen aus Regierungsaufträgen erzielt. Einfahrt zur Firmenzentrale in Waltham.
Sie war aber von Anfang an eine Lüge. Bekanntlich ist man immer erst im nachhinein klüger. Die Wahrheit kam schon 1992 in einer unabhängigen Untersuchung ans Tageslicht. Jetzt war plötzlich nur noch von einer Erfolgsquote von „unter 10 Prozent“ die Rede. Im Abschlußbericht der Untersuchungskommission hieß es ohne Beschönigung: „Das Patriot-Raketensystem hatte im Golfkrieg nicht den spektakulären Erfolg, der der US-amerikanischen Öffentlichkeit weisgemacht wurde. (...) Öffentlichkeit und Kongreß wurden durch (...) die Regierung und durch Raytheon-Vertreter während und nach dem Krieg irregeleitet.“
Weitere Untersuchungen, aber ebenso die nächsten Einsätze unter Ernstfallbedingungen bestätigten die eher durchwachsenen Trefferquoten. Zum Beispiel im Syrienkrieg. Während das System gegen gegnerische Flugzeuge und Raketen zufriedenstellende Ergebnisse lieferte, zeigte es bei der Drohnenabwehr Schwächen.
Seit der Indienststellung in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts ist Hersteller Raytheon bestrebt, sein Vorzeigeprodukt ständig weiterzuentwickeln und zu optimieren. Infolgedessen gilt es heute als eines der wirksamsten Flugabwehrsysteme weltweit und bildet das Rückgrat der Luftverteidigung vieler Länder. Auch die Ukraine bekam im Rahmen ihrer Aufrüstung durch den Westen „Patriots“ geliefert – die deutsche Bundeswehr schwächte dafür ihre eigene Luftabwehr erheblich, weil sie zusätzlich noch weitere Systeme nach Polen verlegte. Seit Ende April schützen „Patriots“ nun den ukrainischen Luftraum.
Vor allem aber schützt der Westen seine selbstgestrickten Propagandamythen. Erneut wird der Weltöffentlichkeit das Bild einer unbesiegbaren Wunderwaffe suggeriert. Im Mai, behaupteten die ukrainischen Streitkräfte und ihre westlichen Lautsprecher, soll es gelungen sein, gleich sechs russische Hyperschallraketen vom Typ „Kinschal“ über Kiew abzufangen und zu zerstören.
Die Rakete Ch-47M2 „Kinschal“ (dt., „Dolch“) ist eine Hyperschall-Luft-Boden-Rakete aus russischer Produktion. Die Reichweite wird in verschiedenen Quellen zwischen 500 und 2.000 km angegeben. Da die „Kinschal“ flugzeuggestützt ist, kann die Waffe aus unvorhersehbaren Richtungen gestartet werden, was die Bekämpfung mit sektorgebundenen (nicht 360-Grad-fähigen) Radargeräten, wie sie beispielsweise bei dem Patriot-System eingesetzt werden, erschwert. Im Bild: Eine Ch-47M2 Kinschal an einer MiG-31K.
Aber das ist wenig glaubhaft. Auch westliche Experten sind sich einig darin, daß gegen die russischen Hyperschallwaffen bislang kein Kraut gewachsen ist: „Kinschal“ erreicht Geschwindigkeiten von bis zu zehnfacher Schallgeschwindigkeit (Mach 10) und kann dabei dennoch Änderungen der Flugbahn vornehmen – eine Abwehr ist praktisch nicht möglich. Auch für die westlichen „Patriots“ nicht, die es maximal auf vier- bis fünffache Schallgeschwindigkeit bringen. Sie sind schlichtweg zu langsam. Selbst mit einer inzwischen auf bis zu 1000 Kilometer gesteigerten Reichweite bleibt nur ein verschwindend kurzes Zeitfenster, um das Ziel zu erfassen und zu bekämpfen.
Inzwischen hat sich auch im Westen herumgesprochen, daß die Raketenteile, die im Mai in Kiew vom Himmel fielen, keine „Kinschal“-Trümmer waren, sondern von den zur Abwehr eingesetzten „Patriots“ stammten. Das Vertrauen in die westlichen Wunderwaffen stärken solche Erlebnisse nicht unbedingt. Auch unverwundbar ist das System keineswegs. Mitte Mai mußte auch das US-Verteidigungsministerium einräumen, daß mindestens eine „Patriot“-Abschußvorrichtung „Kinschal“-Angriffen zum Opfer fiel und zumindest beschädigt wurde.
Ohnedies hat das russische Militär inzwischen die Achillesferse des Systems entdeckt: es „überfordert“ die ukrainische Luftabwehr durch eine Vielzahl eingesetzter Raketen und Drohnen, mit der Absicht, daß der überschaubare Vorrat an teuren „Patriot“-Raketen irgendwann verschossen ist. Nota bene: ein einziger „Patriot“-Schuß kostet vier Millionen US-Dollar. Die westlichen Steuerzahler, die nicht gefragt wurden, lassen sich die Unterstützung des Selenskyj-Regimes viel Geld kosten – und Raytheon freut sich über traumhafte Profite.
Dennoch: die durchwachsene Erfolgsquote, die die vielgepriesene High-Tech-Waffe auch in der Ukraine an den Tag legt, sind für den US-amerikanischen Rüstungsgiganten keine Empfehlung. Auch wenn die Mainstream-Medien die unbequemen Fakten nach Kräften unter den Teppich zu kehren versuchen, kommt die Wahrheit – nach Nietzsches bekanntem Wort – auf Taubenfüßen daher: die „Patriots“ sind alles andere als eine Wunderwaffe. Von Mitte Mai bis Anfang Juni legte die Raytheon-Aktie an den Börsen eine beispiellose Talfahrt hin. Will sagen: „Kinschal“ hat ordentlich am Lack gekratzt. Der patriotische Mythos hat Risse bekommen.
Mit den „Patriots“ und Raytheon ist es wie mit dem Westen überhaupt: seine Stärke ist ein Potemkinsches Dorf. Sie beruht auf Spekulation und lebt vom jahrzehntelangen Vertrauen in die Überlegenheit der USA, ihrer Wirtschaft, ihrer Rüstung. Doch die Entzauberung hat längst begonnen. Das Erwachen aus der schönen Illusion ist schmerzhaft. Nicht nur in Kiew.