Keine Wunderwaffe

Hysterische Debatte: Deutschland soll „Leopard“-Panzer an die Ukraine liefern

Seitdem die Bundesregierung die Lieferung von „Marder“-Schützenpanzern an die Ukraine angekündigt hat, haben westliche Eskalationsbefürworter ein neues Lieblingsthema: sie rufen jetzt lautstark danach, auch schwere „Leopard“-Kampfpanzer in die Ukraine zu schicken.

Besonders stark engagiert sich Polen, der Musterschüler unter den europäischen NATO-Vasallen. Das Land verfügt derzeit über 347 „Leopard 2“, von denen aktuellen Berichten zufolge 14 Stück – eine Kompanie – an die ukrainischen Streitkräfte übergeben werden sollen. Zusammen mit Großbritannien, das 14 seiner „Challenger 2“-Kampfpanzer an Kiew liefern will, will man so den Druck auf Berlin verstärken – und Deutschland in die direkte Konfrontation mit Rußland treiben. Aber noch zögert die Bundesregierung.

Der „Leopard 2“ gehört zu den bei den europäischen NATO-Ländern am meisten verbreiteten Kampfpanzern. Allein das kleine Finnland verfügt über 100 „Leopard 2“ A6 und 100 Stück alte A4. Auch Schweden hat über 120 Exemplare der mittleren Entwicklungsstufe A5 im Dienst, Dänemark 44 A7. Die größten „Leopard“-Flotten werden von den Mittelmeerländern Spanien, Griechenland und Türkei unterhalten. Allein Spanien hat 219 Stück im aktiven Einsatz und 100 eingelagerte A4. Alles in allem sprechen Militärexperten von rund 2000 Stück, die derzeit bei den europäischen NATO-Partnern vorhanden sein sollen.

Aber: die Vorstellung, die Europäer könnten nun binnen kurzem ganze „Leopard“-Armeen in die Ukraine schicken, ist illusorisch. Erstens müßte das ukrainische Personal mindestens drei Monate lang intensiv ausgebildet werden, um mit dem „Leopard“ umgehen zu können, der sich in vielen Dingen von den älteren Panzern sowjetischer Bauart unterscheidet, mit denen die ukrainischen Panzersoldaten vertraut sind.

Zweitens verfügt die Ukraine über keinerlei Infrastruktur und Personal, um die Panzer reparieren und instandhalten zu können. Und drittens gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Versionen des „Leopard“. So handelt es sich bei den polnischen „Leos“ um die älteste Variante 2A4, die zwischen 1985 und 1987 produziert wurde – fast vierzig Jahre später ist dieser Entwicklungsstand technisch vollkommen veraltet. Auch die 100 finnischen Panzer sind veraltete 2A4. Beide Länder, die der Ukraine ihre Unterstützung zugesagt haben, sind vor allem daran interessiert, von Deutschland modernere Versionen zu erhalten – allerdings ist Polen inzwischen vom „Leopard“ abgerückt und will seine Panzerwaffe in den nächsten Jahren mit modernen koreanischen K2-Panzern aufrüsten.

Russische Experten und Militärs sehen einer etwaigen Lieferung deutscher „Leoparden“ an die ukrainische Front relativ entspannt entgegen. Man kenne ihre Schwachstellen und wisse, womit und worauf man zielen müsse. Es gebe genügend Erfahrungsberichte aus Syrien und Afghanistan. Ergebnis: „Die Kurden und islamistischen Kämpfer haben den deutschen militärisch-industriellen Komplex ‚deklassiert‘.“

Allein in der Schlacht um die syrische Stadt al-Bab (2016) verloren die türkischen Streitkräfte ein Drittel ihrer „Leopard 2A4“. Und diese Verluste wurden vor allem mithilfe selbstgebauter Sprengsätze und einfachster Panzerabwehrsysteme erzielt.

Das russische Militär müßte deshalb für einen etwaigen Kampf gegen die deutschen Panzer nichts neu erfinden. Die herkömmlichen russischen Panzerabwehrmittel wie die Panzerabwehrraketen „Fagot“ und „Kornet“ sowie übliche Panzerabwehrminen wären vollkommen ausreichend, von modernen Panzerjägern wie etwa dem „Terminator“-Spezialfahrzeug gar nicht zu reden. Auch die seit einigen Monaten bei der Bekämpfung von schwerem Gerät eingesetzten iranischen Kamikaze-Drohnen haben ihre Effizienz unter Beweis gestellt.

Allerdings ist diese Gefahr eher gering. Denn ehe die deutschen „Leoparden“ tatsächlich einsatzfähig sind und in die Ukraine geschickt werden können, vergeht viel Zeit – bis dahin ist der Krieg wahrscheinlich längst zu Ende. Ausgerechnet „Leopard“-Hersteller Rheinmetall dämpfte die Hoffnungen auf baldige deutsche Lieferungen. „Selbst wenn morgen die Entscheidung fällt, daß wir unsere ‚Leopard‘-Panzer nach Kiew schicken dürfen, dauert die Lieferung bis Anfang nächsten Jahres“ [2024], ließ Rheinmetall-Vorstandschef Armin Papperger dieser Tage die „Bild“-Zeitung wissen. Die Fahrzeuge müßten nämlich nicht nur neu lackiert, sondern für den Kriegseinsatz umgebaut, d. h. komplett auseinander- und wieder zusammengebaut werden.

Bis dahin hat sich das Schicksal der Ukraine vermutlich längst entschieden. Eine Handvoll „Leoparden“ wird daran nichts mehr ändern.

ОК
Im Interesse der Benutzerfreundlichkeit verwendet unsere Internetseite cookies.