Bankenkrise 2.0

Welche Gefahren schlummern in den Finanzmärkten?

Im März schreckten die US-amerikanische Silicon Valley Bank (SVB) und die Schweizer Credit Suisse kurz die Finanzmärkte auf, jedoch wiegen sich Politik und Bankenbranche wieder in Sicherheit. Man tut so, als bestünde kein Grund zur Sorge, weil die Verantwortlichen – wer auch immer sich dabei angesprochen fühlen mag – die Lage im Griff hätten.

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Die Silicon Valley Bank (SVB) war eine US-amerikanische Bank im Silicon Valley, die High-Tech-Unternehmen und mehr als 30.000 Start-ups förderte und eine Tochtergesellschaft der SVB Financial Group, zu der unter anderem auch die Firmen SVB Capital und SVB Securities gehörten. Die SVB war auf der Liste der größten Banken in den Vereinigten Staaten zuletzt an 16. Stelle und mit einem Marktanteil von 25,9 % die größte Bank im Silicon Valley. Im Bild: Der Hauptsitz der Silicon Valley Bank in Santa Clara, Kalifornien (2023).

Es darf nicht sein, was nicht sein soll, weshalb es keine Bankenkrise gibt, so stellte es zumindest der EU-Gipfel Ende März fest. Man fühlt sich fast ein wenig an die endlos lange, ebenso lediglich für temporär gehaltene Inflation erinnert, die nun nicht mehr zu weichen wollen scheint. Wenig beruhigend ist aber vor allem, daß die wiederkehrend aufkeimenden Probleme an den Finanzmärkten inklusive des darauf folgenden Prozederes einem bekannt vorkommen. Sollte aber, wonach es scheint, eine beharrliche Beratungsresistenz vorherrschen und aus der Finanzkrise von 2008 nicht gelernt worden sein, ist es berechtigt, die gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, es gäbe keine Bankenkrise, kritisch zu hinterfragen.

Rekapitulieren wir das jüngste Geschehen, um anhand von Fakten Schlußfolgerungen zu ziehen, bei denen nicht der Wunsch der Vater des Gedankens ist, sondern eine möglichst realistische Einschätzung der Lage. Es sei vorangestellt, daß es aufgrund der unverhältnismäßigen Verknüpfung mit der US-Wirtschaft nicht neu ist, daß Europa Schnupfen bekommt, wenn Amerika hustet.

Was sind die interessanten Erkenntnisse im Zusammenhang mit der SVB, mit der evtl. der erste Dominostein einer Finanzkrise 2.0 fiel? Nebenbei bemerkt: nicht zuletzt trugen auch die Pandemie-Lockdowns zu einem der Probleme in der US-Finanzbranche bei. Die SVB hatte aggressiv im großen Stil Einlagen eingesammelt, vornehmlich US-Staatsanleihen sowie staatlich garantierte US-Hypothekenpapiere. Aufgrund des Zinsrisikos erlitt die Bank wegen der inflationsbedingt veränderten Geldpolitik der Federal Reserve erhebliche Wertverluste.

Doch dieses Problem betrifft keineswegs allein nur die SVB: Die US-Banken hatten ihren Bestand an US-Staatspapieren zwischen 2007 und 2022 auf 20 Prozent nahezu verdoppelt. Die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) teilte im Februar mit, daß sich die nicht realisierten Verluste aus den zur Veräußerung verfügbaren und bis zur Fälligkeit gehaltenen Wertpapieren im gesamten (!) US-Bankensystem zum 31. Dezember auf 620 Milliarden Dollar beliefen. Ein Jahr zuvor, bevor die Fed begann, die Zinssätze zu erhöhen, betrugen hingegen die nicht realisierten Verluste nur acht Milliarden.

Ein weiteres Problem, das nicht allein nur auf die SVB beschränkt war, sind die unversicherten Einlagen. Bei der Silicon Valley Bank waren immerhin 93,8 Prozent der Einlagen nicht versichert. Während der erzwungenen wirtschaftlichen Friedhofsruhe durch die Pandemie-Politik trugen zahlreiche US-Amerikaner ihre Ersparnisse auf die Bank, wodurch der Anteil der Einlagen bei den Banken, die nicht über die 250.000-Dollar-Garantie des Einlagensicherungsfonds FDIC abgesichert waren, deutlich anstieg. Das gesamte

US-Bankensystem betreffend sind mittlerweile 45,9 Prozent der Einlagen nicht versichert.

Gemessen an den rhetorischen Beruhigungspillen, die SVB wäre quasi nur eine relativ unbedeutende Regionalbank, von der keine Ansteckungsgefahr ausginge, darf man sich über die Erklärung der Federal Reserve und der Regulierungsbehörden wundern, wonach der Zusammenbruch der Banken – man höre und staune – ein „systemisches Risiko“ darstelle und daher eine Ausnahme von den üblichen Beschränkungen der Einlagensicherung möglich sei. Der Plural „Banken“ wurde deshalb benutzt, weil kurz nach der SVB auch die First Republic mit ähnlichen Problemen ins Straucheln kam. Etwa die Hälfte aller SVB-Kunden waren überdies US-Start-ups, wobei sich die Frage stellt, ob diese Branche künftig entsprechend aufgefangen wird, um sich wirtschaftlich erfolgreich entwickeln zu können.

Allerdings weist bei weitem nicht nur die US-amerikanische Bankenlandschaft potenzielle Sollbruchstellen auf. Die Gefahrenmomente sind in Europa nicht geringer, vielleicht sogar noch höher. Es stellt sich die Frage, was sich Politik und Aufsichtsbehörden dabei denken, wenn der Bankengigant UBS durch die Übernahme einer anderen systemrelevanten Bank, sprich der Credit Suisse, eine maßlose Aufblähung erfährt. UBS war bereits weltweit führend in der Vermögensverwaltung, aber durch die Übernahme entsteht ein Gigant, der insgesamt rund 3,4 Billionen Dollar verwaltet. Nicht zuletzt werden schließlich die Probleme der Credit Suisse mit übernommen, nur ist im Falle einer Schieflage der UBS diese „much more too big too fail“.

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Die UBS Group AG ist eine Schweizer Großbank mit Sitzen in Zürich und Basel. Sie zählt zu den weltweit größten Vermögensverwaltern. Die Bank gehört zur Gruppe von 30 Großbanken, die vom Finanzstabilitätsrat (FSB) als systemisch bedeutsame Finanzinstitute eingestuft wurden. Im Bild: Das Logo der UBS enthält drei Schlüssel, die Sicherheit, Vertrauen und Verschwiegenheit symbolisieren sollen.

In einem Kommentar in der „Neuen Zürcher Zeitung“ hieß es hierzu am 19. 3. 2023: „Ein Zombie ist weg, aber ein Monster entsteht.“ Andrew Kenningham, Analyst bei Capital Economics, wies darauf hin, daß „die Erfolgsbilanz von Scheinehen im Bankensektor gemischt ist“, und auch der Vontobel-Analyst Andreas Venditti warnte davor, daß die Probleme, die den globalen Bankensektor derzeit belasteten, noch nicht ausgestanden seien.

Letztendlich wird irgendwann möglicherweise auch der Punkt erreicht sein, an dem sich vielleicht gar keine Banken mehr finden, die angesichts fragiler Finanzmärkte und nervöser werdender Gesetzgeber überhaupt noch größer werden wollen.

Wer zahlt dann am Ende die Zeche? Der bekannte Ökonom Prof. Hans-Werner Sinn äußerte sich im Kontext dieser jüngsten Entwicklungen wie folgt: „Es ist so, wie es immer war: Die Banken arbeiten mit ganz wenig Eigenkapital und gehen bei ihren Ausleihungen ins Risiko. Wenn es gut geht, dann haben sie schöne Erträge, die sie als Dividenden an ihre Eigentümer ausschütten. Wenn es schlecht geht, dann hofft man immer, daß der Staat mit einspringt.“

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Der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn (* 7. März 1948 in Brake bei Bielefeld) ist emeritierter Hochschullehrer an der Ludwig-Maximilians-Universität München und war von 1999 bis 2016 Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Seine eigenständigen Analysen decken sich nicht immer mit den Opportunitätsgedanken der „öffentlichen Meinung“.

Folgt man der Argumentation von Sinn, ist es auch allein mit der Erhöhung der Kernkapitalquoten nicht getan. Dies nutzt nämlich wenig, wenn auch die Investitionen in zinssatz-abhängig hochvolatilen Staatsanleihen gemessen am Marktwert zum Eigenkapital zählen, wenngleich sie Blasen bilden können, die sich dann als Luftnummern erweisen. „Die Kernkapitalquote ist ja selbst eine Mogelpackung. Da wird das Eigenkapital nicht durch die Bilanzsumme geteilt, sondern durch die Summe der risikogewichteten Aktiva. Das ist nicht ganz koscher. Das sind alles komische Berechnungsmethoden, die dringend auf den Prüfstand gehören“, fordert der ehemalige ifo-Chef Professor Hans-Werner Sinn.

Womöglich birgt die aktuell betriebene leichtfertige Entwarnung den Keim eines bösen Erwachsens in sich.

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