Marco Rubio, Jahrgang 1971, ist ein aus Florida stammender US-Senator mit kubanischem Hintergrund und Stellvertretender Vorsitzender des Geheimdienst-Ausschusses des US-Senats. Vor Jahresfrist sorgte er während einer Anhörung des US-Kongresses mit einer Frage für einiges Aufsehen: „Ich habe nur noch eine Minute (Redezeit – die Redaktion) übrig, darum lassen Sie mich fragen: Hat die Ukraine biologische Waffen?“ Die Frage richtete sich an Victoria Nuland, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt. Antwort: „Die Ukraine hat … (Pause) ... biologische Forschungseinrichtungen, über die wir, tatsächlich, sehr besorgt sind, daß sie unter Kontrolle der russischen Streitkräfte geraten.“ Deshalb werde mit der Ukraine daran gearbeitet, „wie wir verhindern können, daß diese Forschungsmaterialien den russischen Streitkräften in die Hände fallen, wenn sie näherkommen“.
Marco Antonio Rubio (* 28. Mai 1971 in Miami, Florida), ein US-amerikanischer Politiker der Republikanischen Partei, war Abgeordneter im Repräsentantenhaus von Florida und ist seit Januar 2011 Senator für Florida. Er steht in der Tradition neokonservativer Außen- sowie angebotsorientierter Wirtschafts- und restriktiver Fiskalpolitik.
Rubio wirkte sichtlich überrascht und hakte noch einmal nach: Ob Frau Nuland glaube, daß im Falle eines Angriffs oder Zwischenfalls mit B- oder C-Waffen Rußland dahinterstecken würde, worauf die Staatssekretärin entgegnete: „Daran besteht für mich kein Zweifel, Senator. Und es ist eine klassische russische Technik, dem anderen die Schuld für das zu geben, was sie selbst vorhaben.“
Zwei Tage vor der Anhörung hatte sich das russische Verteidigungsministerium über Twitter zu Wort gemeldet: Es seien Beweise gefunden worden, wonach Kiew „Spuren eines vom Pentagon finanzierten militärisch-biologischen Programms in der Ukraine beseitigt“. Die US-Denkfabrik Atlantic Council wiegelte ab: Die russische Seite suche nur nach einem weiteren Kriegsvorwand; es gebe keinerlei Beweise für die Behauptung, die Ukraine stelle B-Waffen her.
Russische Erfindungen?
Bis heute ist von „russischen Erfindungen“ die Rede. Auch werden vom Pentagon finanzierte Labore in den Bereich der Harmlosigkeit gerückt. Dazu bezog der chinesische Vertreter im UN-Sicherheitsrat bereits am 14. März 2022 klar Stellung: Wenn die USA die Position vertreten, Rußland streue Falschinformationen, könnten sie „uns einfach relevante Daten zur Klärung zur Verfügung stellen“. In der Weltöffentlichkeit herrsche Besorgnis angesichts der biologischen Aktivitäten des US-Militärs, das eigenen Angaben zufolge 336 entsprechende Labore auf dem Globus unterhalte.
Drei Monate später – im Juli 2022 – übergab die Moskauer Seite in Washington einen ausführlichen Fragenkatalog zu den militärbiologischen Aktivitäten der Vereinigten Staaten, ohne befriedigende Antworten bezüglich relevanter Daten zu erhalten. An der notorischen Intransparenz übte der russische Delegationsleiter Gennadi Gatilow auf der 9. Überprüfungskonferenz des „Abkommens über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer und von Toxin-Waffen“ (BWÜ) in Genf unüberhörbare Kritik. Gatilow am 28. November 2022 wörtlich: „In den jährlichen amerikanischen Berichten im Rahmen der vertrauensbildenden BWÜ-Maßnahmen, die von den Vertragsstaaten erarbeitet wurden, um Unklarheiten, Zweifel und Argwohn zu verhindern oder zu reduzieren, fehlen Angaben zu aktuellen außerhalb nationalstaatlicher Grenzen stattfindenden Programmen und Projekten sowie deren Finanzierung. Unsere mehrfachen Appelle an die amerikanische Seite, diese Aktivitäten erschöpfend zu erläutern, bleiben ohne gebührende Reaktion in der Sache. Diese Geheimhaltung und Mißachtung der russischen Anfragen durch die USA bestätigen nur, daß unsere Bedenken begründet sind.“
Im Hinblick auf die Ukraine gibt es offensichtlich recht klare Erkenntnisse. Unter Verweis auf Unterlagen, die dem russischen Verteidigungsministerium vorliegen, machte Rußlands ständiger Vertreter im UN-Sicherheitsrat, Wassili Nebensja, schon am 18. März 2022 darauf aufmerksam, „daß alle ernsthaften Hochrisikoforschungen in ukrainischen Biolabors direkt von US-Experten überwacht wurden, die diplomatische Immunität genossen“.
Wassili Alexejewitsch Nebensja (* 26. Februar 1962 in Wolgograd) war von 2013 bis 2017 stellvertretender Außenminister der Russischen Föderation. Seit 2017 ist er der Botschafter Rußlands bei den Vereinten Nationen und in deren Sicherheitsrat.
Ukraine: Forschungsresultate gingen an US-Militäreinrichtungen
Nebensja sprach unter Berufung auf Dokumente von einem „Netz von mindestens 30 biologischen Labors ..., in denen extrem gefährliche biologische Experimente durchgeführt werden, um die Eigenschaften von Pest, Milzbrand, Tularämie, Cholera und anderen tödlichen Krankheiten mit Hilfe der synthetischen Biologie zu verbessern“. Den russischen Erkenntnissen zufolge spielten dabei Forschungszentren in Charkow, Cherson, Dnjepropetrowsk, Kiew, Lemberg, Odessa, Tarnopol, Uschgorod und Winniza eine Rolle. Wie Nebensja weiter ausführte, wurden die Forschungsresultate „an die biologischen Zentren des US-Militärs geschickt, u. a. an das U.S. Army Medical Research Institute of Infections Diseases, das Walter Reed Army Institute of Research, die U.S. Naval Medical Research und die U.S. Army Biological Warfare Labs in Fort Detrick, die früher die wichtigsten Zentren des amerikanischen Biowaffen-Programms waren“.
Für den Arzt und ehemaligen Offizier Heiko Schöning hat das Zeitalter der Biowaffen im September 2001 mit dem skrupellosen Einsatz von Anthrax begonnen. In seinem Buch „GAME OVER: Anthrax 01 – Covid-19“ erläutert er anschaulich, warum. Aufmerksame Zeitgenossen werden sich vielleicht noch erinnern: 2001 quollen die Spalten der Zeitungen geradezu über vor Meldungen über Briefsendungen, in denen sich Anthrax befand. Die US-Fernsehsender kannten scheinbar kein anderes Thema. Schöning erwähnt unter anderem eine entsprechend präparierte Postsendung, die – eine Woche vor den Anschlägen vom 11. September – einen Medienverlag in Florida erreichte. Unmittelbar darauf wurden nach Washington zwei weitere Briefe mit tödlichen Anthrax-Bakterien verschickt. Ihre Adressaten: die Senatoren Tom Daschle und Patrick Leahy. Beide hatten zuvor Bedenken gegen den „Patriot Act“ angemeldet, jenes Bundesgesetz, das – nach offizieller Lesart – als direkte Reaktion auf „Nine-Eleven“ erstellt und durchgepeitscht wurde und letztlich die Bürgerrechte beschränkt. Die Terror-Briefe töteten fünf Menschen.
Milzbrandinfektion am Unterarm. Milzbrand oder Anthrax ist eine akute Infektionskrankheit, die durch Bacillus anthracis verursacht wird und meist Paarhufer, aber auch andere pflanzenfressende Tiere befällt. Auch Menschen können von dieser Zoonose befallen werden. Die USA haben bereits während des Zweiten Weltkrieges an Milzbrandbomben gearbeitet. So bat Churchill US-Präsident Franklin D. Roosevelt um eine beschleunigte Lieferung von 500.000 „N-Bomben“, die zuvor auf dem Testgelände Dugway Proving Ground entwickelt und getestet wurden. Der spätere Karlspreisträger und „große Europäer“ Sir Winston Churchill wollte sie über Deutschalnd abwerfen lassen.
Mehrere hundert US-Biolabore
Jetzt begann eine vom TV-Sender ABC initiierte Kampagne. Demnach hätte das Anschlagsmaterial Spuren von Bentonit enthalten. Schnell wurde jetzt eine Spur gelegt, die direkt in den Irak führte: Bentonit sei ein Markenzeichen von Saddam Husseins B-Waffen-Programm. Das erwies sich als eine faustdicke Lüge. Denn in Wahrheit hatte das in den Briefen enthaltene Material seinen Ursprung im Ames-Stamm, einer Art von Anthrax-Bakterien, die nach der US-amerikanischen Stadt Ames benannt sind. Eine Untersuchung, die im Dezember 2001 durchgeführt wurde, brachte dann auch ein eindeutiges Ergebnis: Das Anthrax stammte zu 100 Prozent aus Laboratorien der U.S. Army – und wie von Wunderhand bewegt, fuhren die Medien ihre Panik-Maschinerie „auf Null“ herunter.
Und heute? Wie der russische ständige Vertreter Wassili Nebensja vor Jahresfrist im UN-Sicherheitsrat erklärte, kontrollieren die USA „mehrere hundert Biolabore in 30 Ländern, unter anderem im Nahen Osten, in Afrika, Südostasien und entlang der Grenzen der ehemaligen UdSSR. Washington ist nicht bereit, sie einer internationalen Überprüfung zu unterziehen.“ Seit 2001 behinderten US-Regierungen „die Ausarbeitung eines verbindlichen Protokolls“ zum (1975 in Kraft getretenen) Übereinkommen über das Verbot von biologischen Waffen und Toxinwaffen, „das einen zuverlässigen Verifikations-Mechanismus zur Überwachung der Einhaltung des Übereinkommens durch die Staaten vorsehen sollte“. Daraus entstehe der Eindruck, „daß die Vereinigten Staaten etwas zu verbergen haben“.
Mit dieser Auffassung ist der Diplomat nicht allein.