„Wer die Amerikaner als Verbündete hat, braucht keine Feinde.“
Tran Le Xuan (Madame Nhu) nach der Ermordung ihres Schwagers
Ngô Đình Diệm (1901-1963), dem Präsidenten Vietnams.
Die USA sind zweifellos ein Alliierter der fragwürdigeren Sorte. Die Liste der Verbündeten, die im Laufe der letzten zweihundert Jahre von Uncle Sam fallengelassen wurden, wenn es gefährlich oder opportun wurde, füllt viele dunkle Seiten im Buch der US-amerikanischen Nationalgeschichte und ist kein Ruhmesblatt. Länder wie Südvietnam, der Irak, Nikaragua und Dutzende anderer können ein trauriges Lied davon singen.
Den Deutschen ergeht es nicht besser. Aus ihrem Wirtschaftskrieg gegen die transatlantische Konkurrenz, vor allem gegen Deutschland, haben die USA niemals ein Geheimnis gemacht. Man mußte prominenten Stichwortgebern wie Zbigniew Brzeziński oder George Friedman, dem Mitbegründer der renommierten Denkfabrik Stratfor, nur zuhören. Keiner von ihnen hat je um den heißen Brei herumgeredet.
Deshalb kann der jüngste Paukenschlag kaum überraschen: Ende Januar ließ Präsident Biden mitteilen, daß er den Ausbau der Exportinfrastruktur für Flüssigerdgas (LNG) stoppen werde. Das ist ein glatter Affront an die Adresse der deutschen Ampel-Regierung, denn nach der mutwilligen Abkoppelung von russischen Energielieferungen setzte Bundeswirtschaftsminister Habeck (Grüne) vor allem auf Ersatzlieferungen aus den USA.
An den deutschen Küsten werden derzeit mit Hochdruck künftige LNG-Terminals errichtet, die für den Umschlag der US-Lieferungen gebraucht werden – drei an der Nordseeküste, zwei an der Ostsee. Schon bald nach Ausbruch des Ukrainekrieges, im Juni 2022, hatte die Bundesregierung mit dem sogenannten LNG-Beschleunigungsgesetz den Weg dafür freigemacht.
Doch jetzt macht ausgerechnet der große US-Energiepartner den Deutschen einen dicken Strich durch die Rechnung. Der grüne Wirtschaftsminister war nach der Aufkündigung der deutsch-russischen Energiepartnerschaft hektisch um die halbe Welt gereist, um LNG-Lieferanten für Deutschland zu erschließen. Noch in Erinnerung ist seine peinliche Abfuhr bei den Scheichs in Qatar. Auch in anderen Weltteilen wurde Habeck nicht fündig – die großen Energielieferanten planen langfristig und können nicht kurzfristig eine ganze Volkswirtschaft zusätzlich mitversorgen.
Für den Bittsteller aus Deutschland blieb nichts übrig. Nur die USA sagten schließlich zu, mit größeren Kontingenten einzuspringen. Selbst das Mainstream-Medium „Focus“ warnte im Januar 2023 davor, daß sich Deutschland damit in die Gas-Abhängigkeit von den USA begebe. Man erinnert sich: mit genau diesem Argument hatten Medien und Transatlantiker zuvor gegen die „Abhängigkeit“ von den russischen Gaslieferungen polemisiert.
Jetzt ist die Zusage der US-Amerikaner ohnehin Makulatur. Habecks Flüssiggasstrategie droht das Aus und Deutschland eine gigantische Gas-Lücke. Der US-amerikanische LNG-Produzent Venture Global warnt bereits davor, daß ein Stopp der US-amerikanischen Projektgenehmigungen „den globalen Energiemarkt erschüttern“ werde. Die Aussetzung weiterer LNG-Projekte in den USA hätte die „Wirkung einer Wirtschaftssanktion“ und sei ein „verheerendes Signal an unsere Verbündeten“, daß sie sich nicht mehr auf die Vereinigten Staaten verlassen könnten.
Verflüssigungsanlage mit Ladehafen der Venture Global Inc. an der Küste Louisianas/USA.
Diese Einschätzung teilt auch der US-Wirtschaftsnachrichtendienst „Bloomberg“, der resümierte, ihre LNG-Ressourcen verliehen „den USA einen übergroßen geopolitischen Einfluß“. Schon vor Monaten, als nach Ausbruch des Ukrainekrieges die Importprobleme der Europäer akut wurden, hatte der französische Finanzminister Bruno Le Maire+++ kritisiert, LNG-Exporteure nutzten den Krieg, um „die wirtschaftliche Vorherrschaft der USA und eine Schwächung Europas“ zu fördern, erinnerte „Bloomberg“.
Er warnte davor, sich von den USA abhängig zu machen: Bruno Le Maire (* 15. April 1969), seit Mai 2017 Minister für Wirtschaft und Finanzen. Zuvor war er von Juni 2009 bis Mai 2012 Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Fischerei.
Die amerikanische LNG-Agenda hat einen jahrelangen Vorlauf. Sie hängt aufs engste mit der Sabotage der russisch-deutschen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zusammen. Um die Förderung der eigenen – teuren und umweltschädlichen – LNG-Vorkommen rentabel und den Export profitabel zu machen, mußte auf dem europäischen Markt die russische Konkurrenz und die deutsch-russische Energiepartnerschaft ausgeschaltet werden. Das ist spätestens mit Ausbruch des Ukrainekrieges im Februar 2022 gelungen, als sich Deutschland gezwungen sah, im Kielwasser der NATO seinen Rußlandhandel einzufrieren und auch auf die russischen Gaslieferungen zu verzichten.
Inzwischen sind die USA der weltweit führende LNG-Lieferant – seit letztem Jahr noch vor Qatar und Australien. Die sieben in Betrieb befindlichen US-Terminals können bis zu 87 Millionen Tonnen pro Jahr produzieren – genug, um den Gasbedarf von Deutschland und Frankreich zusammen zu decken. Doch diese fragile Sicherheit ist jetzt dahin. Mit großen Lettern steht plötzlich wieder das Menetekel des Energiemangels an der Wand.
Dabei steckt Deutschland wegen der Energiekrise und der sprunghaft gestiegenen Preise ohnehin bereits in der Rezession. „Was die europäische Chemieindustrie für Gas zahlt, ist fast drei- bis viermal höher als das, was der inländische Käufer in den USA zahlt“, erläutert Ogan Kose von „Accenture“ gegenüber „Bloomberg“. In Deutschland sind insbesondere die Chemieriesen Bayer und BASF davon betroffen. Sie haben längst damit begonnen, Produktionskapazitäten aus Deutschland ins Ausland zu verlegen.
An Zufälle ist bei alledem schwer zu glauben. Letztlich geht es Washington langfristig um die Beseitigung der europäischen, insbesondere der deutschen Konkurrenz. Die Hartnäckigkeit, mit der die USA dabei zu Werke gehen, ist bemerkenswert, historisch aber nichts Neues.
Unter Experten gilt inzwischen längst als ausgemacht, daß auch die Zerstörung der Nord Stream-Ostseepipelines im September 2022 auf das Konto der USA geht. Der Stopp der LNG-Exporte nach Deutschland ist da nur konsequent.
Wer solche Partner hat, braucht keine Feinde mehr.
Tiltefoto: Das LNG-Terminal Deutsche Ostsee ist ein Flüssigerdgasterminal im Hafen Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern, das seit Januar 2023 in Betrieb ist. Die Pläne für die Errichtung des Terminals zum Import von Flüssigerdgas (LNG) wurden im Juli 2022 bekannt.