„Der Gebildete mag konservativ gesinnt sein aus Vernunftgründen, der Bauer ist es kraft seiner Sitte.“
Der Begründer der Empirischen Kulturwissenschaft Prof. Dr. Wilhelm Heinrich Ritter von Riehl (1823-1897).
Die Landwirtschaft steht nicht erst seit den aktuellen Demonstrationen, die Anfang 2024 Fahrt aufnahmen, unter politischem Beschuß, und auch geht es keineswegs nur um die deutsche Landwirtschaft. Dies zeigt sich unter anderem an den vergleichbaren Bauern-Protesten in Frankreich und Brüssel sowie auch an der geradezu bauernfeindlichen Politik, die in 2023 in den Niederlanden zu massiven Protesten führte. Nicht zuletzt deshalb sprechen regierungskritische Köpfe auch von einer konzertierten WEF-/Great Reset-Agenda.
Daß die Global Player und deren Institutionen alles andere als Interessenvertreter des Bauernstands darstellen, ist nicht zu leugnen. Kristalina Georgiewa, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), hat die Regierungen in Europa sogar davor gewarnt, den Landwirten zu sehr entgegenzukommen. In ganz Deutschland rollen jedenfalls seit Januar unentwegt die Traktoren, um gegen die geplante Streichung der Steuerrückvergütung beim Dieselkraftstoff und der Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge zu demonstrieren, da dies den Wettbewerb mit der globalen Konkurrenz erheblich erschwert. Allerdings ist dies nur der aktuelle Anlaß, der zu bereits bestehenden agrarpolitischen Baustellen hinzukam.
Möchte keine großen Zugeständnisse an die rebellischen Bauern: die bulgarische Politikerin und Ökonomin Kristalina Iwanowa Georgiewa (* 13. August 1953 in Sofia) ist seit Oktober 2019 geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Den Schwenk von der am Sofioter Hohen Wirtschaftsinstitut „Karl Marx“ praktizierten reinen Lehre des Dialektischen Materialismus zum liberal-kapitalistischen, sozio-kulturell evolutionären Fabianismus der London School of Economics schaffte sie karriereknickfrei.
Doch die Politik lenkt auch betreffend ihrer jüngsten Beschlüsse bisweilen nur teilweise ein und hält im Haushaltsbeschluß 2024 an der mittelfristigen Streichung des Agrardiesels fest. Die Bundesrat-Sitzung endete mit einer Vertagung des Themas Agrardiesel. Die nächste reguläre Sitzung des Bundesrats findet erst wieder am 22. März statt.
Im Zuge der Einigung Europas, der Globalisierung und der Vereinheitlichung der Gesellschaft wurde versucht, den Bauernstand in Westdeutschland systematisch zu zerschlagen. Allein von 1949 bis 1975 mußten von 1,6 Millionen Landwirten 0,7 Millionen aufgeben. Die Zahl der in der Landwirtschaft beschäftigten Personen fiel in dieser Zeit in Westdeutschland von 4,7 auf nur noch 1,2 Millionen. Nur noch weniger als 400.000 Vollerwerbsbetriebe waren um 1985 vorhanden. Noch 1995 verzeichnete Gesamt-Deutschland mehr als 550 Tausend Landwirte, 2020 waren es nur noch 262.000, d. h. gut 52 Prozent weniger. Allein in den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland um zwölf Prozent zurückgegangen.
Das Bauernlegen ist – insbesondere nach dem Plan des holländischen Sozialisten Sicco Mansholt (1908-1995), selbst ein Bauernsohn und 1958 bis 1972 als Präsident der Europäischen Kommission stark beeinflußt vom Club of Rome – seit den sechziger Jahren von der CDU/CSU zu verantworten und wurde von allen Bonner Parteien unterstützt und zielgerichtet umgesetzt.
Die Bauern wurden frech von den vorgeblich „christlich-sozialen“ und „demokratischen“ Politikern angelogen. Dem Verfasser dieser Zeilen klingen heute noch die Phrasen örtlicher CSU-Politiker in Oberfranken in den Ohren: „Wir werden die landwirtschaftliche Struktur Oberfrankens erhalten! Zählt auf uns – wählt uns!“ Traumergebnisse von über 70 % im jeweiligen, agrarisch geprägten Wahlkreis waren die Folge dieser Vorspiegelung falscher Tatsachen. Das Erwachen kam zu spät.
Zwischen diesen Plakaten liegen 70 Jahre. – Die hinter ihnen lauernde Propagandalüge ist mindestens genau so alt.
Das genaue Gegenteil war nämlich der Fall. Es überlebten in den meist kleinen Bauerndörfern meiner Heimatregion von etwa je 10-15 Bauern zwei bis drei. Letztere hatten meist ein CSU-Parteibuch in der Tasche und wurden von ihren Parteispezis schon frühzeitig über die überlebensnotwendige Spezialisierung in Kenntnis gesetzt. Die anderen fielen durch den Spaltenboden in die ökonomische Gülle, das Inventar landete auf dem Misthaufen, der Bauer wurde zum Proletarier oder durfte als Gemeindearbeiter sein Gnadenbrot fressen.
Verwaister Bauernhof in Ahornberg zwischen Frankenwald und Fichtelgebirge in Oberfranken.
Doch kehren wir zurück zur eher trockenen Statistik! – Der Anteil der Erzeugererlöse an den Verbraucherausgaben ist seit Jahrzehnten in einem kontinuierlichem Sinkflug. Lag dieser Anteil beispielsweise beim Weizen 1972 noch bei 18,2 Prozent, waren es 2022 nur noch sieben Prozent. Bei Kartoffeln sank dieser Anteil von damals 58,3 auf 36,4 Prozent und beim Fleisch von 46,4 auf 25,2 Prozent. Zusätzlich erleiden immer mehr Höfe den Erstickungstod durch eine Unzahl an Auflagen und überbordender Bürokratie.
Während die Bauern mit der Dokumentation von Pflanzenschutz- und Düngemaßnahmen beschäftigt sind, weil die Regierung offensichtlich kein Zutrauen in deren fachliche Qualifikation hat, und mehr und mehr Stunden im Büro anstatt auf dem Feld oder im Stall verbringen, ist Deutschland Nettoimporteur bei Agrarerzeugnissen. Die wichtigste Aufgabe der deutschen Landwirtschaft ist aber die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, wie es auch der Verband Freie Bauern fordert. Diesbezüglich wird zudem eine statistische Augenwischerei betrieben.
Beispielsweise suggeriert man, daß Deutschland betreffend Schweinefleisch einen sogar 120-prozentigen Selbstversorgungsgrad hätte und Überschüsse exportieren müßte. Hinter diesem Zahlenspiel verbirgt sich jedoch die Tatsache, daß Deutschland jährlich ca. zehn Millionen Ferkel importiert, die bei uns lediglich gemästet werden. Hinzukommen rund zwei Millionen weitere Schweine, die nur nach Deutschland gelangen, um hier geschlachtet zu werden. Einzig deshalb kommt man auf die trügerischen 120 Prozent. Käme besagter Warenverkehr zum Erliegen, betrüge der Selbstversorgungsgrad gerade einmal nur noch etwa 50 Prozent.
Wenn in der Viehhaltung die Genehmigungsprozesse für Stallbauten wegen stets erhöhter Anforderungen ohnehin schon kaum zu bewältigende Ausmaße annehmen, ist es erst recht ein Wahnsinn, wenn Novellierungen von Nutztierhaltungsverordnungen in einer Taktung aus Brüssel erfolgen, daß sie die Bauern noch inmitten ihrer vorherigen kostspieligen Umbauten erreichen. Es existiert keinerlei vernünftiger Bestandsschutz bei Umbauten. Dergestalt werden Viehbetriebe geradezu systematisch aus der Produktion gedrängt. Aktuell existieren nicht einmal mehr 6000 Schweinehalter bundesweit, sprich so wenige, daß diese in einem mittelgroßen Eishockey-Stadion Platz fänden. Überdies fördert man Flächenstilllegungen, weil offensichtlich einer Selbstversorgungsfähigkeit keinerlei Wert mehr zugesprochen wird.
„Landwirtschaftliche Böden in Deutschland sind sehr ungleich verteilt, außerlandwirtschaftliche Investoren und Großbetriebe nutzen Boden zunehmend als Anlageobjekt. Das läßt die Bodenpreise steigen und führt zur Konzentration von viel Fläche in den Händen weniger, profitorientierter Akteure. Kleinere und mittlere Betriebe können sich Agrarflächen kaum noch leisten“, stellt der „Kritischen Agrarbericht“ fest, den das AgrarBündnis auf der Internationalen Grünen Woche vorstellte.
Wir brauchen nicht wenige große, sondern viele starke Betriebe, lautet ein Motto der Freien Bauern, allerdings sind die Rahmenbedingungen so gestrickt, daß ein politisch induziertes „Wachse oder Weiche“ die Realität bestimmt. Die Preise für Agrarflächen steigen immer weiter an. In den letzten 15 Jahren haben sich die Kaufpreise in den westdeutschen Bundesländern verdoppelt, in Ostdeutschland teils mehr als vervierfacht. Die Pachtpreise sind von 2010 bis 2020 durchschnittlich um 62 Prozent, bei Neupachtungen sogar um 79 Prozent gestiegen. Infolgedessen erwirtschaften gerade einmal 14 Prozent der größten Betriebe in Deutschland knapp zwei Drittel der Landwirtschaftsfläche.
Die Europäische Agrarpolitik müßte insgesamt gerechter gestaltet werden. „Ackerland gehört in Bauernhand – eine Stellschraube hierzu ist eine höhere Grunderwerbssteuer für jene, die bereits sehr viel Land besitzen“, fordert Xenia Brand, Geschäftsführerin der AG bäuerliche Landwirtschaft.
Das AgrarBündnis kritisiert zudem die Vorhaben der EU-Kommission in Sachen Neuer Gentechnik. Mit Brüsseler Kommissionsplänen zur nahezu vollständigen Deregulierung dieser Risikotechnologie werde – ganz im Sinne der Gentechnikkonzerne – ein Systemwechsel mit ungeahnten Folgen vollzogen: weg vom bislang gültigen Verursacher- und Vorsorgeprinzip hin zu einer weitgehend ungeprüften Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen unter Verzicht auf jegliche Transparenz und Kennzeichnung.
Dies deckt sich in keiner Weise mit den mehrheitlichen Vorstellungen der Verbraucher in Deutschland. Und deshalb wird deren starke Solidarisierung mit den Bauernprotesten mit nahezu jeder Entscheidung aus Berlin oder Brüssel auch nachvollziehbarer.
Tiltefoto: Verlassener Bauernhof in Schlüte in der Wesermarsch. Das Ende nach Jahrhunderten freien Bauerntums bewirkten die Brüsseler Eurokraten, nicht die Feudalherrschaft des deutschen Adels.