Kommt in der westlichen Welt Chinas Engagement auf dem afrikanischen Kontinent zur Sprache, wird streckenweise mit dem Faktor Angst gespielt: Die Volksrepublik betreibe eine „Schuldenfallen-Diplomatie“. „Gemeinsam für Afrika“, eine Kampagne von rund einem Dutzend Hilfswerken und Non-Profit-Organisationen, erkennt die chinesische Bereitschaft an, in Afrika über wirtschaftliche Belange hinaus aktiv zu werden. Deutlich werde dies bei der Beteiligung an Maßnahmen der Friedenssicherung und Konfliktlösungen auf dem Kontinent, womit China durchaus einen Beitrag zur politischen Stabilität in der Region leiste.
In der Tat hat China laut dem „Stockholm International Peace Research Institute“ (SIPRI) merklich zur UN-Friedenssicherung auf dem schwarzen Kontinent beigetragen, indem sich beispielsweise mehr als 2500 chinesische Soldaten an verschiedenen Missionen beteiligt haben. Andererseits jedoch wird Chinas Wirken als „nicht-interventionistisch“ eingestuft, indem ökonomische Interessen über Aspekte wie Menschenrechte und Minderheitenschutz gestellt würden. „Dabei wäre es insbesondere für Afrika von großer Bedeutung, die wirtschaftliche Zusammenarbeit gleichzeitig mit dem Aufbau von demokratischen, rechtsstaatlichen Strukturen zu fördern, um eine umfassende und nachhaltige Entwicklungspartnerschaft zu gewährleisten“, heißt es auf dem Portal Gemeinsam für Afrika.
Der chinesische Präsident Xi Jinping trifft den südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa.
Vergessen wird dabei allerdings gern, daß unser Globus aus verschiedenen Kultur- und Religionskreisen besteht, in denen unterschiedliche Wertvorstellungen herrschen. „Menschenrechte“ als ideeller Exportschlager des Westens werden in anderen Ländern eher verhalten bis ablehnend eingestuft, da die Phraseologie oft mit militärischen Aktionen verbunden ist, die letztlich der Durchsetzung ökonomisch und geopolitisch motivierter Interessen der USA und ihrer Hilfswilligen dienen.
Westliches Gesellschaftsverständnis als heuchlerisch angesehen
Einer eher nüchtern gehaltenen Analyse wurde das Engagement Chinas, aber auch das Rußlands und der Türkei in Afrika im April des vergangenen Jahres auf der Netzseite finanzmarktwelt.de unterzogen: „Ihr Entwicklungsansatz hat gegenüber demjenigen der westlichen Staaten durchaus Attraktivität. Sie werden nicht als frühere Kolonialmächte angesehen (was im Lichte des osmanischen Einflusses in Nordafrika bemerkenswert ist), ihr Fokus ist auf harte Entwicklungspolitik (Infrastruktur, Militärkooperation, Wohnungsbau) ausgerichtet und legt (bisher) keinen Wert auf gesellschaftliche Reformen, gute Regierungsführung oder Wertefragen. Zudem gelten diese Länder auch als Alternativen gegenüber dem Siegeszug des westlichen Gesellschaftsverständnisses, das in vielen Teilen Afrikas als bigott und hypokrit angesehen wird.“
Die VR China kommt insofern mit einem unbefleckten Kleid daher. Die Begründung der Zusammenarbeit mit dem schwarzen Kontinent erfolgte im Jahr 2000 durch das China-Afrika-Kooperationsforum. Belief sich die finanzielle Unterstützung seitens der Chinesen 2006 noch auf fünf Milliarden US-Dollar, waren es zwölf Jahre später bereits 60 Mrd. USD. Das Handelsvolumen kann sich ebenfalls sehen lassen. Nach Angaben der Allgemeinen Zollverwaltung Chinas (GACC) vom August 2023 stieg der Handel zwischen Afrika und China im Zeitraum von Januar bis Juli des vergangenen Jahres im Vergleich zu 2022 um 7,4 Prozent auf 1,14 Billionen Yuan, was etwa 158,36 Mrd. USD entspricht. Bezogen auf die letzten zehn Jahre ist China Afrikas größter Handelspartner geblieben.
China investiert in Afrika viel Geld und finanziert große Projekte.
2013 wurde das China-Afrika-Kooperationsforum durch die Initiative „Neue Seidenstraße“ („Belt and Road Initiative“, BRI) abgelöst. Das Mammutvorhaben umfaßt große Infrastrukturprojekte zu Wasser, zu Lande und in der Luft, eine Kooperation im IT- und Kommunikationssektor und natürlich die Erschließung und Exploration von Rohstoffen. Chinas Volkswirtschaft ist bekanntermaßen recht rohstoffhungrig, und gerade auf diesem Sektor hat der afrikanische Kontinent so einiges zu bieten: Lagern doch hier die größten Reserven an Diamanten, Kobalt und Uran weltweit, dazu mehr als 40 Prozent des auf der Welt vorhandenen Goldes und bis zu 90 Prozent der Chrom- und Platinvorkommen. Hinzu kommen zwölf Prozent der globalen Ölvorräte und sieben Prozent des Erdgases, nicht zu vergessen Seltene Erden sowie 30 Prozent der globalen Mineralreserven.
Vorwurf: "Schuldenfallen-Diplomatie"
Auch für China ist dieses Füllhorn an Bodenschätzen von großem Interesse. Denn im Hinblick auf die Transformation der kommenden Dekaden – als Stichworte mögen hier „De-Karbonisierung“ und „Digitalisierung“ genügen – ist die Volksrepublik auf die Ressourcen des afrikanischen Kontinents angewiesen.
Nach derzeitigem Stand stellt sich die Kooperation zwischen Afrika und China als Win-win-Situation dar, da zum einen Produktionsstätten errichtet werden und die chinesische Seite zum zweiten anstrebt, durch massive Infrastrukturprojekte – Straßen, Häfen, Eisenbahnen – die interkontinentalen Transportwege zu verbessern. Nach einem 2021 herausgegebenen Bericht der Brooking Institution, einer US-Denkfabrik mit Sitz in Washington, D.C., betrugen Chinas Finanzierungszusagen allein im Transport- und Energiesektor Afrikas 148 Mrd. USD.
Bliebe noch der – vor allem (und ausgerechnet) von den USA in die Welt gesetzte – Vorwurf, China praktiziere eine „Schuldenfallen-Diplomatie“. Die in London ansässige Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) „Debt Justice“ begab sich auf Spurensuche – und kam zu interessanten Ergebnissen. So berechnete die NGO 2022, daß afrikanische Länder bei westlichen Gläubigern dreimal mehr Schulden als bei in China ansässigen Kreditgebern hatten. Außerdem verlangten westliche Geldverleiher im Durchschnitt doppelt so hohe Kreditzinsen.
Zu einer sachlichen Einschätzung gelangte auch die „Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) – Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit“, eine der bedeutendsten deutschen Forschungseinrichtungen für außen- und sicherheitspolitische Fragen. In der 2023 erschienenen Studie mit dem Titel „Schuldenerleichterungen in Afrika: Interessenkonflikt zwischen dem Westen und China als Stolperstein multilateraler Lösungen“ wird unter anderem festgestellt: „Statt in große, staatlich vollfinanzierte Infrastrukturprojekte, die zur Staatsverschuldung afrikanischer Länder teilweise erheblich beigetragen haben, investieren chinesische Akteure zunehmend in kleinere, profitable Projekte mit privatem Finanzierungsanteil, wie zum Beispiel Mautstraßen.“
Rückgang der Investitionen
Auf jeden Fall ließ das chinesische Vordringen auf dem afrikanischen Kontinent in Brüssel und Washington die Alarmglocken schrillen, wuchs die Angst vor einer Vormachtstellung des „Roten Drachen“. Die Zahlen der letzten Jahrzehnte sprechen in der Tat für sich. So verlor beispielsweise die EU im Hinblick auf die Exporte Afrikas an Bedeutung. Im Zeitraum von 2000 bis 2020 sank der Anteil der Europäischen Union an den Ausfuhren Afrikas von knapp 50 auf 35 Prozent. In derselben Zeitspanne stieg der Anteil Asiens um fast 20 Prozentpunkte auf zirka 30 Prozent. Und was die Einfuhren anbelangt, überholte Asien die EU bereits im Jahr 2013 als Hauptimportregion des afrikanischen Kontinents.
Die USA haben auf Chinas Aktivitäten mittlerweile reagiert. 2022 schlossen sie sich mit anderen Ländern der G7 zu einer 600 Mrd. USD umfassenden Partnerschaft für globale Infrastruktur und Investitionen (PGII) zusammen. Und auch Brüssel kündigte eine neue Afrika-Politik an.
Ein Mutmacher ist – aus Sicht jener Machtzentren und auf den ersten Blick – der Rückgang chinesischer Investitionen auf dem afrikanischen Kontinent. 2022 hat Peking seinen finanziellen Einsatz, wie finanzmarktwelt.de im Frühjahr 2023 berichtete, auf einen neuen Tiefstand zurückgefahren. In besagtem Jahr fielen die Investitionen, die im Zusammenhang mit der „Belt-and-Road“-Initiative stehen, demnach um 55 Prozent auf 7,5 Mrd. USD. China sei im Zusammenhang mit seinem Seidenstraßen-Projekt gezwungen, immer mehr Notkredite zu vergeben. Viele Gläubiger vor allem in Afrika zeigten sich nicht in der Lage, Darlehen zurückzuzahlen.
Zudem verschulde sich China, um die eigene Wirtschaft anzukurbeln, wie nie zuvor. In der Tat: 2019 – vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie – bewegte sich die chinesische Staatsverschuldung noch bei 60 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts. Die immensen Kosten im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie ließen die Verbindlichkeiten dann laut der europäischen Ratingagentur Scope bis 2022 auf 77 Prozent steigen. Bis 2027 könnten sie den Analysten zufolge über die 100-Prozent-Marke klettern. Chinas Haushaltsplan für 2023 enthält Vorhaben der Regierung in Peking, die eine Erhöhung der Kreditaufnahme der Zentralregierung um etwa 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr beinhalten, um ein etwas größeres Haushaltsdefizit zu finanzieren. Auf diese Weise soll den Provinzen bei der Bewältigung des zunehmenden finanziellen Drucks geholfen werden. Vorgesehen sind auch Investitionen in die Modernisierung der Infrastruktur.
Chinesischer Vorsprung
Der Rückgang der chinesischen Investitionen in Afrika läßt sich an weiteren Zahlen festmachen. Wie aus dem UN World Investment Report 2023 hervorgeht – er umfaßt die beiden vergangenen Jahre –, findet sich China nicht unter den Top 3 derjenigen Länder, die auf dem afrikanischen Kontinent investieren. Konkret belegt China demnach Rang fünf mit insgesamt 44 Mrd. USD an Gesamtinvestitionen. Die aktuellen Kreditvergaben an afrikanische Staaten liegen nur noch bei zehn Prozent des Höchststandes von 2016. Platz eins der Rangliste nimmt Großbritannien mit 60 Mrd. USD ein, gefolgt von Frankreich und den Niederlanden (jeweils 54 Mrd. USD) und den USA (45 Mrd. USD). Auf finanzmarktwelt.de wird unter dem 29. März 2023 aber auch der „Vorsprung“ Chinas anerkannt. „Seine (Chinas) Investitionen in Infrastruktur und Kommunikation haben chinesischen Unternehmen, die auf dem Kontinent tätig sind, einen erheblichen Vorteil verschafft“, heißt es dort weiter. Die chinesischen Gesamtinvestitionen in Infrastruktur-Projekte Subsahara-Afrikas betrugen in den letzten beiden Jahrzehnten 155 Mrd. USD.
Und noch einen Trumpf haben die Chinesen im Ärmel – bzw. sie legen diesen in schöner Regelmäßigkeit auf den Tisch. Seit 2000, also seit dem offiziellen Beginn der chinesisch-afrikanischen Zusammenarbeit, gewährt China Nationen Afrikas regelmäßig Schuldenerlaß. Dabei streicht China zinslose Kredite, die in einem bestimmten Jahr fällig werden. Besonders großzügig zeigte sich Peking während der Corona-Pandemie. So versprachen die chinesischen Verantwortlichen im Juni 2020, „die Schulden relevanter afrikanischer Länder in Form von zinslosen Staatskrediten, die bis Ende 2020 fällig werden, erneut zu erlassen“. Die Regelung betraf Länder mit mittlerem Einkommen wie etwa Botswana. Im Februar 2021 teilten chinesische Beamte mit, daß China 15 afrikanischen Staaten zinslose Kreditschulden gekündigt habe, die Ende 2020 fällig geworden waren. Und im November 2021 kündigte Präsident Xi Jinping an, China werde die Schulden der am wenigsten entwickelten Länder des schwarzen Kontinents mit Fälligkeit Ende 2021 befreien.
Studentenprogramme und feinfühlige Diplomatie
Matthias Schäfer, Mitarbeiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Algier, betont in einer Analyse auch den humanen Faktor. Er schreibt: „China hat seinen Einfluß in Afrika nicht nur durch harte Infrastruktur-Programme und den Zugang zu Seltenen Erden und Rohstoffen gesichert. Statt dessen hat China seine Softpower durch Studentenprogramme und eine auf die Diskussionskultur der afrikanischen Länder abgestimmte Diplomatie ausgebaut. Durch die Bereitstellung von Studentenprogrammen hat China die Möglichkeit geschaffen, junge afrikanische Talente an seinen Universitäten auszubilden und so eine enge Bindung zu ihnen aufzubauen.“ Gleichzeitig werde eine Diplomatie praktiziert, die auf die Diskussionskultur afrikanischer Länder abgestimmt sei. Sie „berücksichtigt die spezifischen Anliegen und Bedürfnisse der afrikanischen Länder und fördert einen zielgerichteten Austausch von Ideen und Meinungen“.
Die Beziehungen zwischen China und Afrika tragen durchaus symbiosenhaften Charakter. So profitiert Chinas rohstoffhungrige Ökonomie einerseits von den exorbitanten Vorkommen an Bodenschätzen, doch leisten Unternehmen aus dem Reich der Mitte zugleich einen starken Beitrag bei der Entwicklung der Infrastruktur. Außerdem werden Investitionen in die Ausbildung talentierter afrikanischer Kräfte getätigt.
Und: Durch Zinsdruck ausgesogene Länder nutzen China schon auf mittlere Sicht eher wenig. Die derzeitige, von Kulanz gekennzeichnete Praxis erzeugt – sowohl ideell als auch materiell – eine langfristige Bindung. Eine stärker „interventionistische“ Politik (wie vom Westen in bezug auf „Demokratie“ und „Menschenrechte“ gefordert) würde der Volksrepublik China den Ruf einer Kolonialmacht einbringen. Und daß sie als eine solche nicht wahrgenommen wird, ist ja gerade einer ihrer maßgeblichen Trümpfe in Afrika. Im übrigen steht der Rote Drache in China zwar auch für Reichtum, doch symbolisiert er zudem Güte, Glück und Intelligenz.