Nicht wenige Ministerkarrieren in der Bundesrepublik Deutschland beginnen mit einem Meineid.
Boris Ludwig Pistorius legte ihn ohne Skrupel ab. Am Donnerstag, dem 19. Januar 2023, schwor er – als gestandener Sozialdemokrat ohne die Formel „... so wahr mir Gott helfe“ – im Berliner Reichstag vor Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Mitglied der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion (PL): „Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“
Es darf gelacht und vom genauen Gegenteil ausgegangen werden.
Vorbild für derartige, rechtlich unverbindliche Schwüre von BRD-Politikern: Ein deutscher Bürgermeister und fünf Polizisten schwören einen Amtseid vor einem US-amerikanischen GI (1945).
Vereidigung Boris Pistorius' auf das von den Westalliierten den Deutschen oktroyierte Grundgesetz.
Nun ist Boris Ludwig Pistorius also der zwanzigste Verteidigungsminster der BR Deutschland. Manche sprechen vom „letzten Aufgebot des Kanzlers“, denn nach dem Rücktritt der nur noch peinlichen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) mußte rasch Ersatz her. Scholz wurde schnell fündig. Schon zwei Tage nach Lambrechts Rücktritt präsentierte er der Öffentlichkeit mit dem bisherigen niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius einen Nachfolger.
Beobachter des Berliner Politikbetriebes, die seit vielen Jahren nur inkompetente Frauen im Amt der Verteidigungsministerin erlebt haben, vermerkten positiv: der „Neue“ ist zumindest keine Frau, und anders als seine Amtsvorgängerin kennt er die Dienstgrade der Bundeswehr. Seit vielen Jahren ist Pistorius der erste Ressortchef, der selbst gedient hat. Er habe von 1980 bis Ende 1981 seinen Wehrdienst bei der Flugabwehr in Bremen geleistet, teilte er Medienvertretern mit. Tatsächlich war er nach der Grundausbildung beim Flugabwehrregiment 11 in der Steuben-Kaserne in Achim (Niedersachsen). Er wisse, was in der Bundeswehr Thema sei, und wolle sie „stark machen für das, was vor uns liegt“.
Da wird Pistorius, der als Minister künftig ein üppiges Monatsgehalt von 16.815 Euro plus 3600 Euro steuerfreie Pauschale einstreicht, viel zu tun haben. Denn die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland sind eine einzige Baustelle. Es fehlt an allem, von Ersatzteilen über Schlafsäcke bis hin zu modernem Gerät. Im Ernstfall hätte die Bundeswehr Munition für gerade einmal zwei Tage.
Eine unhaltbare Situation, nicht nur mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Dieser setzt den neuen Verteidigungsminister gleich doppelt unter Druck, denn noch nicht im neuen Amt vereidigt, gab Pistorius eine brisante Stellungnahme ab: Deutschland, sagte er, sei zumindest „indirekt“ am Krieg in der Ukraine beteiligt. Wörtlich: „Das Verteidigungsministerium ist schon in zivilen, in Friedenszeiten, eine große Herausforderung und in Zeiten, in denen man als Bundesrepublik Deutschland an einem Krieg beteiligt ist [sic!], indirekt, noch einmal besonders.“ Gerade das wies die Bundesregierung immer strikt von sich – weshalb sich Kanzler Scholz mit deutschen Panzerlieferungen bislang zurückhaltend verhielt. Doch der Druck vonseiten der NATO-Verbündeten – will sagen: vonseiten Washingtons – wird stärker.
Doch „charakterstarke“ Personen vom Schlage Pistorius reagieren auf derartige Signale umgehend, und zwar wie gewünscht. Dabei befürwortete der Russisch sprechende Pistorius lange Zeit einen eher rußlandfreundlichen Kurs. Er war auch Mitglied der deutsch-russischen Freundschaftsgruppe des Bundesrates, die im April 2022 aufgelöst wurde. Im Jahr 2018 meinte Pistorius, es gebe keine europäische Friedenspolitik ohne Rußland. Mit Erinnerung an die Brandt'sche Ostpolitik solle der Umgang mit Rußland freundschaftlich-kritisch sein. Er wollte auch die Sanktionen abgeschafft sehen. Ja, so ändern sich die Zeiten...
Kritiker aus den Reihen der Opposition wenden zurecht ein, daß Pistorius als niedersächsischer Innenminister zwar auch in seiner bisherigen Ämterkarriere bereits mit Sicherheitsfragen zu tun hatte, aber eben nicht mit Fragen der äußeren und militärischen Sicherheit. Auch in seiner Zeit als Osnabrücker Oberbürgermeister nahm ihn die Öffentlichkeit eher als glatten Amtsverwalter denn als effizienten, geschweige denn volksnahen „Macher“ wahr.
In unguter Erinnerung ist Pistorius auch als linientreuer SPD-Apparatschik mitsamt der einschlägigen Schwerpunktthematik. Angesichts der jüngsten Silvesterkrawalle in vielen deutschen Städten fabulierte er allen Ernstes, die Randalierer seien „überwiegend junge Männer und zum Teil aus dem rechtsextremen Milieu“ gewesen. Schon länger profilierte er sich im Bereich der Migrationspolitik als Schmusetier.
- Den niedersächsischen Rückführungsvollzug änderte er als Innenminister dahingehend, daß Betroffene im voraus über ihren Abschiebetermin informiert werden und untertauchen können. Darüber hinaus ermöglichte er die erneute Einreise bereits abgeschobener Migranten.
- Obwohl bereits Innenminister von Niedersachsen, wollte er die Ermordung des Lackierers Daniel Siefert durch Türken am 10. März 2013 in Kirchweyhe weder kommentieren noch der Familie kondolieren. Sein Sprecher wiegelte die entsprechende Anfrage mit den Worten „Es gibt so viele Fälle dieser Art“ ab. Später egalisierte er: „Es spielt keine Rolle, ob jemand hier geboren ist oder nicht, welche Hautfarbe oder welchem Kulturkreis er angehört.“ (Fehler im Original)
- Um die Multikulti-Politik seiner Regierung nicht zu gefährden, setzte er sich bis auf bundespolitische Ebene gegen die Beobachtung von Salafisten ein.
- Im Mai 2013 nahm er als Ministerpräsident an der Jahresversammlung des multikulturalistischen Vereins „Niedersächsischer Flüchtlingsrat“ teil und stellte dort seine Pläne für einen „Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik“ vor.
- Zitat Pistorius: „Für uns als Niedersächsische Landesregierung sind und bleiben Abschiebungen nur die Ultima Ratio, weil sie für die Betroffenen natürlich extrem belastend sind.“ – Über die Belastungen, denen „Menschen, die schon länger hier leben“ (Angela Merkel), also die eingeborenen Deutschen, durch die kriminellen Taten von „Fachkräften“ und „Kulturbereicherern“ ausgesetzt sind, schwieg und schweigt sich der Herr Minister aus.
Den Kampf gegen die patriotische Opposition betreibt Pistorius schon länger. Als damaliger Vorsitzender der Innenministerkonferenz war er maßgeblich an der Einleitung des zweiten Verbotsverfahrens gegen die NPD (= Nationaldemokratische Partei Deutschlands) beteiligt. Als es im Januar 2017 scheiterte, zeigte sich Pistorius gleichwohl zufrieden und erklärte, das Urteil habe „eine klare rote Linie aufgezeigt und deutlich gemacht, daß in Parteien kein Platz für Rassismus, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit sein darf. An dieser roten Linie müssen sich nun alle Parteien orientieren.“
Nach der NPD wandte sich Pistorius mit gleichem Eifer der konservativ-patriotischen AfD zu, der er in der „Bild“-Zeitung unterstellte: „Generell versucht die AfD das Gleiche, was die NSDAP Ende der 20er-Jahre auch gemacht hat: in die Sicherheitsorgane, in die Justiz vorzudringen. Das macht die AfD ganz gezielt und strategisch.“ (Daß eher ausländische Clans zielgerichtet insbesondere die Berliner Poizeistrukturen unterwandern, indem sie den Polizeiapparat personell infiltrieren, scheint Pistorius übersehen zu haben.)
Die Zeit sei zwar noch nicht reif für ein AfD-Verbot, erklärte er, aber: „Wir müssen hingucken, prüfen und sammeln, damit wir den Zeitpunkt nicht verpassen.“ Bis dahin sei die Polizei „als Brandmauer gegen die Feinde der Demokratie“ enorm wichtig. Offenbar hält es Pistorius für eine der Hauptaufgaben der deutschen Polizei, nicht etwa Verbrechern, sondern der AfD – der derzeit größten deutschen Oppositionspartei – das Leben schwer zu machen.
Probleme mit Andersdenkenden ließ der 1960 in Osnabrück geborene SPD-Mann immer wieder in seiner Laufbahn erkennen. Im Februar 2021, auf dem Höhepunkt der „Pandemie“, war er über die Kritik des Göttinger Polizeipräsidenten am niedersächsischen Corona-Management derart ungehalten, daß er ihn per Telefonanruf seines Postens enthob.
Bereits kurz nachdem er 2013 Minister geworden war, entließ er vier von sechs Polizeipräsidenten und ersetzte sie in mindestens zwei Fällen durch SPD-Parteifreunde.
Im Jahr 2021 beteiligte er sich am Kesseltreiben gegen den unabhängigen Messengerdienst Telegram und forderte Google und Apple auf, Telegram aus ihren App-Stores zu entfernen – Pistorius halluzinierte Terroranschläge.
Wer in der von Absprachen, Filz und Abhängigkeiten durchzogenen Republik der Bundesbrüder etwas werden will, muß zumindest eine Leiche im Keller haben, um gegebenenfalls unter Druck gesetzt werden zu können. So auch im Fall Pistorius. Ein gegen Pistorius aufgrund schwerer Korruptionsvorwürfe eingeleitetes Strafverfahren ruht, da er aufgrund von Minister-Privilegien derzeit nicht dafür belangt werden kann. Bei den Vorwürfen geht es um insgesamt 820.000 Euro an „Prämien für herausragende Leistungen“, die sich Pistorius und andere Arbeiterführer sowie engagierte Ökologen gegenseitig zugeschoben haben sollen.
Die „Neue Osnabrücker Zeitung“ berichtete dazu am 2. März 2013: „Zum Teil waren Zielvereinbarungen für Teams gebildet worden, damit alle Beamten Prämien erhalten konnten. Zum Teil waren die Zulagen mit der Gießkanne verteilt worden. In der Stadt Osnabrück [Pistorius war von November 2006 bis Februar 2013 Oberbürgermeister der Stadt] geht es nach Angaben der Ermittlungsbehörden um insgesamt 370.000 Euro, im Landkreis Osnabrück sollen knapp 450.000 Euro Beamtenprämien geflossen sein.“
Jan-Christoph Oetjen von der F.D.P. kommentierte laut „Bild“-Zeitung vom 3. April 2013: „Es ist erstaunlich, mit welcher Dreistigkeit SPD und Grüne in den ersten Wochen nach der Wahl die eigenen Leute bedienen.“
Ersichtlich ist also: der gut geschmierte Pistorius profilierte sich vorzugsweise als williges Vollzugsorgan bundesdeutscher Mainstream-Dogmen. Insofern wundert es nicht, daß er sich auch im Ukraine-Konflikt sofort auf der „richtigen“ Seite positionierte: im Frühjahr 2022 war er einer der ersten Länder-Innenminister, die im öffentlichen Zeigen des Buchstabens „Z“ unstatthafte „Zustimmung zum Angriffskrieg von Rußlands Präsidenten Putin auf die Ukraine“ witterten und es unter Strafe stellten.
Was man von Pistorius als frischernanntem Verteidigungsminister erwarten soll, wird sich zeigen. Als übereifrige Großinquisitorinnen im staatlicherseits mit Milliarden subventionierten „Kampf gegen Rechts“ versuchten bisher noch alle seine Vorgängerinnen zu punkten. Hier kann auch der „Neue“ wenig falsch machen.
Vor dem Hintergrund des bedrohlich eskalierenden Konflikts mit Rußland wird das aber nicht ausreichen, um die Bundeswehr endlich krisentauglich zu machen. Viel Zeit hat Pistorius nicht, um seinen markigen Ankündigungen Taten folgen zu lassen. F.D.P.-Vize Wolfgang Kubicki traf vermutlich das Richtige. Er nannte ihn „die letzte Patrone von Olaf Scholz. Dann geht ihm die Munition aus.“
Womit sich der Kreis schließt und wir wieder beim diesem Artikel vorangestellten Diensteid des Boris Ludwig Pistorius angelangt sind.
„Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle meiner Partei und der hinter ihr stehenden Lobby widmen, ihren Nutzen mehren, Schaden von ihr wenden, die in Washington getroffenen Entscheidungen flugs umsetzen und die ungeschriebenen Gesetze meiner Bundesbrüder wahren und verteidigen, meine wahren Pflichten gewissenhaft ignorieren und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde, der unserer Meinung ist.“