Keine Beileid für Rußland

Nach dem Moskauer Terroranschlag blieb die deutsche Politik einsilbig – dennoch gab es einige wenige Gesten der Anteilnahme.

Das Brandenburger Tor in Berlin ist in der Vergangenheit schon in allen erdenklichen Farben angestrahlt worden. Meist war der Anlaß dazu kein freudiger: die Berliner Stadtverwaltung, die für die Beleuchtung zuständig ist, bringt meist ihre Anteilnahme mit den Opfern von Terroranschlägen oder anderen Katastrophen zum Ausdruck, indem sie das berühmte Wahrzeichen farbig beleuchten läßt. Zum Beispiel in den Nationalfarben der Ukraine, die längst zu einer Art Ersatzidentität der Deutschen geworden ist. Oder in den Farben Frankreichs, wo Amokläufe und islamistischer Terror inzwischen zum Alltag gehören. Auch Israel kann sich zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit der Solidarität Berlins sicher sein, von den kindischen Regenbogenfarben, dem Symbol der LGBT-Bewegung, ganz zu schweigen.

Rußland, das am 22. März ebenfalls von einem verheerenden Terroranschlag heimgesucht wurde, kann auf vergleichbare Solidaritätsbekundungen nicht hoffen: das Brandenburger Tor blieb dunkel. Natürlich war auch das ein Symbol – allerdings nur für den abgrundtief schäbigen Stil, der in der deutschen Politik mittlerweile herrscht.

keine-beileid-fuer-russland
Das Brandenburger Tor bleib dunkel nach dem heimtückischen Attentat auf Zivilisten in der Moskauer Crocus Stadthalle.

So blieb es auch vonseiten offizieller Vertreter bei minimalen Bekundungen der Anteilnahme: Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte auf X (vormals Twitter) den „schrecklichen Terrorangriff auf unschuldige Konzertbesucher in Moskau“, der nach aktuellem Stand mindestens 144 Todesopfer forderte, und schrieb: „Unsere Gedanken sind mit den Angehörigen der Opfer und allen Verletzten.“

Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock twitterte: „Wir trauern mit den Familien der Opfer des Anschlags bei Moskau. Unschuldige Menschen, die einfach nur zu einem Rockkonzert gehen wollten, wurden kaltblütig ermordet. Wir verurteilen feigen, unmenschlichen Terror – an jedem Ort. Den Menschen in Rußland gilt unser Mitgefühl.“ Baerbocks Ministerium verurteilte den „furchtbaren Angriff auf unschuldige Menschen“ und kondolierte den Angehörigen der Opfer. Die Hintergründe des Angriffs müßten rasch aufgeklärt werden, hieß es.

Selbst Bundespräsident Steinmeier ließ sich zu einer Trauerbekundung herbei. Sein Mitgefühl gelte „den Familien der Ermordeten sowie den vielen Verletzten“, twitterte er. Bundeswirtschaftsminister Habeck (Grüne) wiederum sprach von „furchtbaren Nachrichten aus Moskau“. Auch er bekundete laut einer Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums sein Beileid „den Opfern und ihren Familien, die jetzt trauern und um die Verletzten bangen“.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) zeigte sich ebenfalls erschüttert und betonte, daß es keine Legitimation für solche Gewalt gebe. Sein Mitgefühl drückte auch der österreichische Präsident Alexander von der Bellen aus und zeigte sich schockiert.

Das ist nicht viel an offiziellen Beileidsadressen aus Deutschland – in Zeiten einer hysterischen, maßgeblich von den USA befeuerten Rußland-Hysterie sind aber selbst solche kleinen Gesten besser als gar nichts. Daß sich die notorisch bekannten Rußlandhasser aus dem Berliner Politikbetrieb gar nicht erst äußerten, überrascht nicht – es war aber sicher besser so. Kein Mucks also von Roderich Kiesewetter (CDU), der es bekanntlich gut fände, wenn „der Krieg nach Rußland getragen“ würde; kein Mucks natürlich auch von der megärenartigen, offensichtlich verhaltensgestörten Rüstungslobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (F.D.P.), vom grünen cholerischen Maulhelden Anton Hofreiter und vielen anderen.

Eine eigene Geschichte war, was zur gleichen Zeit in den deutschen Medien vor sich ging, die sich gerne viel auf ihr journalistisches Ethos zugutehalten. Sie wußten noch am Abend des Anschlags Antworten auf alle Fragen – ausgerechnet sie, die nach eineinhalb Jahren immer noch keine Ahnung haben, wer Nord Stream 2 gesprengt haben könnte, und ihrer Regierung auch keinerlei noch so harmlose Frage dazu stellen. Jetzt hingegen, schon eine Stunde nach dem Moskauer Terroranschlag, berichteten sie im Brustton der Überzeugung, daß der „Islamische Staat“ dahinter stecke. Die Konzerthalle brannte noch, die Täter steckten noch im Stau auf der Moskauer Ringautobahn, da hatten deutsche Journalisten bereits alles aufgeklärt – eine bemerkenswerte Leistung. Sie folgten geradezu einem Standardprogramm, das in solchen Fällen stets abgespult wird: alles wurde von Putin erfunden, um einen Grund zu haben, die Ukraine zu beschuldigen; alles ist eine Inszenierung des FSB – und so weiter, und so fort.

Die einzige Zeitung, die die vorherrschende US-amerikanische Version zumindest in Frage stellte, war die „Berliner Zeitung“, die dem offiziösen Märchen vom „IS-Khorasan“ dezent widersprach: „Ist diese kleine, im Westen fast unsichtbare Gruppe wirklich in der Lage, einen so professionellen und gut organisierten Anschlag zu verüben?“ Heute, Wochen später, sind wir klüger: nein, ist sie nicht. Und natürlich gibt es Hintermänner, auch im Westen.

Aufs Ganze gesehen, machten die weitestgehend gleichgeschalteten deutschen Medien ihrem Ruf aber traurige Ehre. Jahrelange Gehirnwäsche durch renommierte Zeitungen wie die „Frankfurter Allgemeine“, „Welt“ und „Süddeutsche“ sowie das öffentlich-rechtliche Fernsehen haben ganze Arbeit geleistet. Der Konsument der Mainstreammedien ist infolgedessen weitgehend empathielos gegenüber Russen. Er sorgt sich über das Klima, über abschmelzende Eismassen in der Antarktis. Aber nicht über 144 russische Terroropfer.

So blieb es der persönlichen Initiative einer beherzten, anständig gebliebenen Minderheit vorbehalten, mit Rußland solidarisch zu sein und dies auch zu zeigen. So wie jene rund 200 Teilnehmer eines dreitägigen Friedensfestes in Retgendorf am Schweriner See in Mecklenburg-Vorpommern, die sich am Tag nach dem Anschlag  mit einem Beileidsschreiben an den russischen Botschafter in Deutschland, Sergei Netschajew, wandten. Oder die vielen hundert Leser des – in Deutschland offiziell blockierten – russischen Nachrichtenportals RT, die trotz der Zensur im Internet Wege fanden, der Redaktion in Mails und Briefen ihre Anteilnahme zu bekunden.

RT bedankte sich mit warmen Worten dafür und schrieb: „Nicht nur die schiere Vielzahl der Einsendungen war überwältigend – und ist es bis heute, denn es kommen immer noch weitere Beileidsbekundungen –, sondern berührend waren auch die durchgängig zum Ausdruck gebrachte Trauer, das Mitgefühl und die guten Wünsche für die Angehörigen und Nahestehenden der Opfer.“

keine-beileid-fuer-russland
Deutsche Bürger legten zum Andenken an die Opfer des feigen Attentates Blumen am Zaun der russischen Botschaft in Berlin nieder.

Aber selbst in der realen Welt kam es zu Gesten des Anstands und der Anteilnahme. Hunderte Menschen legten in den Tagen nach dem Anschlag am schmiedeeisernen Zaun der russischen Botschaft in Berlin Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Die Polizei errichtete ein Absperrgitter, um mögliche Konfrontationen mit Andersdenkenden zu verhindern – das Anwachsen der Blumenberge zu einem beachtlichen Monument der Mitmenschlichkeit wurde dadurch aber nicht verhindert. Nach wenigen Tagen war der Zaun vor der Botschaft in seiner ganzen Breite mit Blumen und Trauerbekundungen bedeckt. Auch hier handelte es sich zum großen Teil um engagierte Ost-Berliner und kleinere örtliche Friedensinitiativen, die sich menschliches Empfinden und diplomatischen Anstand bewahrt haben.

„Die meisten solidarisieren sich hier generell mit Rußland und seiner aktuellen Politik“, kommentierte der Sender RBB24 das Geschehen und lag mit dieser Einordnung durchaus richtig: die jahrelange antirussische Propaganda in Deutschland hat dafür gesorgt, daß selbst einfache Gesten der stillen Anteilnahme zur politischen Botschaft werden. Eigentlich kennt man so etwas nur aus Diktaturen.

ОК
Im Interesse der Benutzerfreundlichkeit verwendet unsere Internetseite cookies.