Die Stimmung kippt

Tendenzen aus Deutschlands Innenleben

Offizielle Lesart und tatsächlicher Zustand sind nicht zwingend kongruent, und die Dimension der Kluft dazwischen mag ein interessanter Indikator für die potenzielle Instabilität eines Staatswesens sein. Auf die Bundesrepublik Deutschland bezogen erlebt man einen immer lautstärker propagierenden, mit den (noch) sanften Mitteln der politischen Korrektheit abgesicherten Mainstream, aber bei näherem Besehen auch anschwellende Unterströmungen, die sich möglicherweise als Vorboten einer Aufkündigung der Gefolgschaft interpretieren lassen.

Insofern ist es interessant, einen Blick auf allgemeine Stimmungsbilder, neu aufkommende Entwicklungen und Stimmen relevanter Bereiche zu werfen, die sich allesamt nicht unter die Vorgaben der Regierung subsumieren lassen. Derartige Diskrepanzen finden sich in Deutschland mittlerweile zuhauf, und dies alles andere als nur marginale Fragen betreffend.

Folgende Beispiele belegen, daß sich bezüglich bedeutsamer Entwicklungen erhebliche Diskrepanzen zwischen dem Meinungsbild an der Basis und dem Regierungsprogramm auftun. So machen sich gut zwei Drittel der Teilnehmenden an einer im Oktober durchgeführten „NDR fragt“-Umfrage zufolge Sorgen, daß derzeit zu viele Migranten nach Deutschland kommen. Weiter vertreten gemäß einer Forsa-Umfrage vom Oktober vergangenen Jahres 57 Prozent die Ansicht, die gegen Rußland verhängten Sanktionen würden Deutschland mehr schaden als Rußland.

Derartige Diskrepanzen zwischen Regierten und Regierenden in entscheidenden Fragen, sprich betreffend Angelegenheiten von Tragweite, sind unter demokratischen Gesichtspunkten bedenklich, insbesondere dann, wenn dies politisch wirkungslos bleibt. Auch 1998 war – wie eine Umfrage im Auftrag des Handelsblattes seinerzeit ergab – die Mehrheit der Deutschen gegen die Einführung des Euro. Eingeführt wurde er dennoch. Eine Statista-Umfrage von Mitte dieses Jahres ergab sogar, daß aller medialer EU-Lobhudelei zum Trotz nicht geringe 21 Prozent Deutschland besser für die Zukunft gerüstet sähen, wenn es nicht Mitglied der EU wäre. Jedenfalls ist es gegenwärtig so, daß sich die Zustimmungswerte für die regierende Ampel-Koalition im freien Fall befinden. Im Rahmen der Sonntagsfrage von Insa/YouGov vom 19. November erreichten SPD, Grüne und FDP zusammen gerade einmal nur noch 35 Prozent.

Spurlos geht diese zunehmende Abwendung breiter Teile der Bevölkerung vom Elfenbeinturm des Establishments nicht an der politischen Landschaft vorüber. Eine stärkere Regierungsbeteiligung der Freien Wähler in Bayern, der Aufwind der Alternative für Deutschland (AfD) und die Parteineugründung der Salonbolschewistin Sarah Wagenknecht, gepaart mit immer mehr übers Land verteilten Protestformationen, die sukzessive in die Kommunal- bzw. absehbar vielleicht Landespolitik dringen, wie beispielsweise die „Freien Sachsen“, wecken Erinnerungen an eine „Weimarisierung“ des deutschen Parlamentarismus.

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Die „Freien Sachsen“ fordern einen effektiven Grenzschutz im Einklang mit den geltenden Gesetzen.

Die Parteienlandschaft splittert sich auf, wodurch es schwieriger werden dürfte, mittels koalitionärer Absprachen in gewohnt kleiner Runde durchzuregieren. Die Nachhaltigkeit von Mehrparteienkoalitionen dürfte nachlassen bzw. die Herausforderung, mit Minderheitenregierungen Mehrheiten zu integrieren, zunehmen; mit anderen Worten: eine geringere Halbwertszeit von Regierungen ist nicht unwahrscheinlich.

Außenpolitisch hätte dieser Prozeß jedoch eine weitere Schwächung Deutschlands zur Folge. Ob sich die Partei Sarah Wagenknechts langfristig wird etablieren können, insbesondere in Anbetracht der organisatorischen Herausforderungen, ist zu diesem frühen Zeitpunkt noch schwer zu beurteilen. Anzunehmen ist, daß sie dort, wo sie antritt, der AfD einige Stimmen kosten, allerdings diese nicht existenziell gefährden wird, sondern neben Wählerpotenzial der Linkspartei das Gros vor allem aus dem Repertoire der Nichtwähler ziehen dürfte.

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Sarah Wagenknecht – der Joker des Parteienkartells, um bei der gefährlichen AfD Stimmen abzugraben, oder die zentrale Figur eines wirklich ernstzunehmenden sozialistischen Neuanfanges, der die Interessen des Volkes ernst nimmt?

Im Großen und Ganzen zeigt sich zunehmend deutlich, daß der Wählerauftrag in Richtung einer konservativen Politik ginge, für die allerdings eine Union erforderlich wäre, die sich von der Mitte-Links-Tendenz seit Merkel abkehrt und mit der AfD koaliert. Da dies jedoch aufgrund der anders gelagerten ideologischen Dominanz in Medien und staatlichen Institutionen, die sich den Staat zur Beute machten, unmittelbar nicht zu erwarten ist, muß von einer zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung ausgegangen werden.

Über welchen politischen Transmissionsriemen auf welche Art sich ein solches dann möglicherweise explosives Gemisch ableiten wird, darüber ließe sich trefflich spekulieren. Daß aber, wenn auch für geraume Zeit, so doch nicht unbegrenzt, ein Regieren gegen das Volk nicht möglich ist, zeigt die geschichtliche Erfahrung der ehemaligen DDR. Zahlreiche Proteste, die seit den PEGIDA-Aufmärschen ab 2015 und den Protestspaziergängen gegen die Corona-Politik nicht mehr verschwanden, sind Belege für einen nach wie vor vorhandenen Widerstandsgeist. Hinzukommen vermehrt kritische Wortmeldungen aus tragenden Bereichen der Wirtschaft. Hier ist nicht die globalisierte Konzernlobby gemeint, sondern vor allem die nicht minder den Staat aufrecht erhaltenden Familienunternehmen und die mittelständische Wirtschaft.

Die Quartalsumfrage der Familienunternehmer und der Jungen Unternehmer vom Oktober bezeugte eine steigende Investitionszurückhaltung. Immer mehr Unternehmer lassen Vorsicht walten und halten sich mit Investitionen in ihr Unternehmen zurück. Nur noch 24 Prozent wollen ihr Unternehmen durch Investitionen erweitern. Dies ist der niedrigste Wert seit Beginn der Erhebung der Quartalszahlen vor 13 Jahren. Nicht einmal zur Hochzeit der Coronakrise lag die Bereitschaft zu investieren so niedrig wie gegenwärtig. Dies liegt vermutlich darin begründet, daß sich die mittelständischen Unternehmen in Deutschland mehrheitlich von den politischen Akteuren unverstanden und nicht ernst genommen fühlen, wie aus einer Umfrage des Bundesverbands Mittelständische Wirtschaft (BVMW) vom August hervorgeht. Auf die Frage „Haben Sie das Gefühl, daß die politischen Entscheidungsträger Ihre Anliegen verstehen und ernst nehmen?“, antworteten mehr als 75 Prozent der befragten Unternehmer mit „Nein“.

Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Bundesverbands der Familienunternehmer, stellte Wirtschaftsminister Habecks jüngst vorgelegter Industriestrategie – Der Kolumnist berichtete – ein vernichtendes Zeugnis aus. „Wichtige grundlegende Reformen will der Wirtschaftsminister gar nicht angehen. Dabei ist Deutschland aufgrund struktureller Mängel trotz gewaltiger Subventionen immer unattraktiver geworden, was jetzt nur noch schlimmer wird. Statt mit Fördergeldern um sich zu schmeißen, sollte Minister Habeck begreifen, wie viel wichtiger es wäre, die Milliardensummen in dringend notwendige Reformen zu investieren“, mahnte Ostermann und führte überdies aus: „Die Zeit – wohlgemerkt längst nicht nur während der Ampel – die Wirtschaft mit überzogener Regulierung zu strangulieren und die Probleme anschließend mit Subventionsorgien zu kaschieren, ist vorbei! […] Alle Ausgaben, die nicht wachstumsorientiert oder sicherheitsrelevant sind – Sozialetat, Subventionen, staatliches Personal – gehören auf den Prüfstand!“

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Die Unternehmerin Marie-Christine Ostermann, seit 2023 ist sie Präsidentin des Verbandes Die Familienunternehmer, kritisiert die rot-grüne-gelbe Plan(los)wirtschaft stark.

Der Problemdruck ist hoch, die Fehler hausgemacht, und eine Lösung gegen das Volk schwerlich vorstellbar. Auch die als Migration bekannte neuzeitliche Völkerwanderung stellt sich in ihrer Ausgestaltung mehr als Problem denn als Lösung dar, weil die Immigration überwiegend in die Sozialsysteme und nicht in den Arbeitsmarkt erfolgt. Selbst der Vizepräsident des Deutschen Städtetages, Burkhard Jung, fand hierzu Mitte Oktober gegenüber der Rheinischen Post deutliche Worte, indem er ausführte: „In den letzten Wochen ist immer deutlicher geworden, daß der gesellschaftliche Zusammenhalt, das Vertrauen in unsere Demokratie und insbesondere die Akzeptanz für die Aufnahme von Geflüchteten zunehmend schwindet. […] Wir stoßen bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten aber zunehmend an unsere Grenzen. … Ein einfaches ,Weiter-so' können wir uns angesichts der aktuellen Zahl von Geflüchteten nicht leisten“, lautet sein Fazit.

Dieser Befund trifft mittlerweile auf nahezu sämtliche Bereiche der bundesrepublikanischen Politik zu.

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