Verblaßte Macht II – Die Wittelsbacher

800 Jahre lang im Zentrum der Macht

Seit dem Mittelalter gehörten die bayerischen Wittelsbacher zur Führungselite des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Zu den ältesten und einflußreichsten deutschen Fürstengeschlechtern, die jahrhundertelang die Geschicke Deutschlands mitgestalteten, zählen zweifellos die bayerischen Wittelsbacher. Noch das moderne Bayern – das 1918, nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, als „Freistaat“ neu gegründet wurde – kann seine Ursprünge unmittelbar auf die Wittelsbacher zurückführen.

wilted-power-ii-the-wittelsbachs
Das Wappen der Grafen von Bogen, ab 1242 der bayerischen Herzöge aus dem Hause Wittelsbach (um 1300).

Der Aufstieg des Geschlechts vollzog sich im 12. Jahrhundert, als Otto I., vormaliger Pfalzgraf, vom Stauferkaiser Barbarossa wegen seiner militärischen Verdienste bei dessen Feldzügen nach Italien mit dem Herzogtum Bayern belehnt wurde.

In den darauffolgenden Jahrhunderten rückten Bayern und Wittelsbach in der Hierarchie des Deutschen Reiches kontinuierlich nach oben. Im 13. Jahrhundert wurde mit Ludwig IV. erstmals ein Wittelsbacher Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, und Bayern konnte eine Reihe stattlicher Ländereien erwerben, unter anderem Holland/Holtland („Holzland“ oder „Waldland“) sowie weitere Territorien im Westen des Reiches.

Bedeutsam für die weitere Entwicklung des Hauses wurde im 17. Jahrhundert der verheerende Dreißigjährige Krieg, der weite Teile Deutschlands verwüstete und mit einem katastrophalen Bevölkerungsschwund einherging. Die Wittelsbacher freilich konnten von ihrer Treue zum Kaiser profitieren und ihren Landbesitz weiter ausdehnen. Mit Karl VII. konnte das Haus Wittelsbach in der Folge sogar nochmals einen Kaiser stellen (1742 – 1745).

Unter Napoleon schließlich wurde Bayern Königreich, und der bisherige Wittelsbacherherzog nannte sich fortan König Max I. Joseph. Anders als Preußen und Österreich beschloß Bayern, seinen Frieden mit dem Franzosenkaiser zu machen und im Rahmen des sogenannten „Rheinbundes“ das Bündnis mit dem Korsen zu suchen.

Infolgedessen mußte auch Bayern ein eigenes Truppenkontingent für Napoleons Feldzug gegen Rußland stellen – mehr als 30.000 bayerische Soldaten kamen dabei ums Leben. Allerdings stattete der Franzosenkaiser seinen neuen Verbündeten mit weiteren Ländereien aus – Franken und das heutige Bayerisch-Schwaben konnten erworben werden. Damit erhielt Bayern seine modernen Grenzen, die sich bis heute nicht mehr nennenswert verändert haben.

wilted-power-ii-the-wittelsbachs
Die bayerischen Kroninsignien in der Schatzkammer der Münchner Residenz.

In den Jahrzehnten nach Napoleon zeichneten sich die bayerischen Wittelsbacher-Könige vor allem durch eine großzügige Förderung der Wissenschaften und Künste aus. Ludwig I. baute die Residenzstadt München durch seine üppige Kulturförderung zu einer der führenden Kunstmetropolen Europas aus. Nach seiner Abdankung übernahm 1848 sein ältester Sohn Max II., ein Freund und Förderer der Wissenschaften, die Krone.

Der wohl bekannteste Wittelsbacher ist freilich dessen Sohn Ludwig II., der Erbauer der „Märchenschlösser“ Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee sowie Mäzen des Komponisten Richard Wagner. Er ist durch seinen tragischen und niemals aufgeklärten Tod im Starnberger See (1886) bis heute in Erinnerung. Nach ihm übernahm sein Onkel Luitpold als Prinzregent die Regierung, der wegen seines einfachen und leutseligen Auftretens in der Öffentlichkeit äußerst beliebt war. Als er 1912 hochbetagt starb, trat sein Sohn Ludwig III. das Erbe an. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg mußte er 1918 auf den Thron verzichten. Bayern wurde Republik.

Heute können sich die Wittelsbacher – auch ohne Krone – über einen großzügigen Unterhalt durch den bayerischen Staat freuen. Das Geld dafür stammt aus einer öffentlichen Stiftung, dem eigens angelegten Wittelsbacher-Ausgleichsfonds (WAF). Im Jahresabschluß 2017 wies er eine Bilanzsumme von stattlichen 421 Millionen Euro aus. Der Fonds wurde bereits nach dem Ersten Weltkrieg gegründet, weil es der zivilen bayerischen Staatsregierung in den Wirren der Revolution nicht gelang, das staatliche und das private Vermögen der Familie Wittelsbach zu trennen. Zum Fondsvermögen gehören heute viele Bilder und andere Kunstgegenstände in bayerischen Museen, die irgendwann, wenn die Familie aussterben sollte, in staatlichen Besitz übergehen werden.

Die herausragendsten Köpfe der Wittelsbacher.

wilted-power-ii-the-wittelsbachs
Otto I. (1117-1183) war 1156 als Otto VI. Pfalzgraf von Bayern und von 1180 bis zu seinem Tod Herzog von Bayern. – Undatiertes Gemälde in „Die Chronik Bayerns“, 1987.

wilted-power-ii-the-wittelsbachs
Ludwig IV., bekannt als Kaiser Ludwig der Bayer (1282/86-1347). – Spätgotisches Epitaph aus rotem Marmor in der Münchner Frauenkirche.

wilted-power-ii-the-wittelsbachs
Kaiser Karl VII. (1697-1745). – Bild von George Desmarées, posthum um 1766, heute Schloß Nymphenburg.

wilted-power-ii-the-wittelsbachs
König Max I. Joseph (1756-1825) im Krönungsornat. – Gemälde von Joseph Karl Stieler, 1822.

wilted-power-ii-the-wittelsbachs
König Ludwig I. (1786-1868). – Foto von Franz Hanfstaengl (um 1860).

wilted-power-ii-the-wittelsbachs
König Maximilian II. Joseph (1811-1864). – Gemälde von J. Stieler (Maximilian als Kronprinz).

wilted-power-ii-the-wittelsbachs
König Ludwig II. (1845-1886). – Gemälde von Ferdinand Piloty, 1865.

wilted-power-ii-the-wittelsbachs
Prinzregent Luitpold Karl Joseph Wilhelm von Bayern (1821-1912).

wilted-power-ii-the-wittelsbachs
König Ludwig III. (1845-1921) – der letzte als bayerischer König amtierende Wittelsbacher.

Heute sorgt die frühere Königsfamilie nur noch selten für Schlagzeilen – wie etwa kürzlich anläßlich der prunkvollen Hochzeit des Prinzen Ludwig in München. Die Familienmitglieder haben Wohnrecht im Nymphenburger Schloß (wo das heutige Familienoberhaupt, der 89-jährige Herzog Franz, einen Seitenflügel bewohnt), im Würzburger Residenzschloß und im Alten Schloß auf Herrenchiemsee. Sie dürfen die Gruft der Theatinerkirche und der Michaelskirche in München benutzen, zudem sind ihnen Fischerei- und Jagdrechte garantiert.

Auch wenn sie heute keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden, halten sich die Wittelsbacher – zumindest Teile der Familie – noch immer für einen gewichtigen gesellschaftlichen Faktor. So bescheinigt die Historikerin Marita Krauss, die gerade gemeinsam mit Herzog Franz dessen Lebenserinnerungen in Buchform gebracht hat, dem Familienoberhaupt: „Sein Ehrgeiz ist ein Ehrgeiz für Bayern.“ – Das gelte etwa für Kunst und Wissenschaft.

Dementsprechend engagiert sich Franz für zahlreiche Museen, von den Pinakotheken bis zum New Yorker Museum of Modern Art, er zeigt sich als großzügiger Kunstmäzen und sammelt fleißig Spenden für soziale Projekte. Außerdem legt er Wert darauf, daß bei vielen Veranstaltungen immer ein Vertreter des Hauses zugegen ist. Generell sei dem Oberhaupt der früheren Herrscherfamilie wichtig, „daß Bayern eine eigene Stimme behält“.

wilted-power-ii-the-wittelsbachs
Franz von Bayern (* 1933), heutiger Chef des Hauses Wittelsbach, im Ornat des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem.

Pläne für eine Rückkehr der Wittelsbacher an die Staatsspitze gibt es heute nicht mehr. Unmittelbar nach dem Ende der Monarchie 1918 und selbst noch nach dem Zweiten Weltkrieg war dies anders. „Da gab es durchaus noch Monarchisten, sowohl bei den Wittelsbachern als auch in der Bevölkerung, die zumindest von einer parlamentarischen Monarchie in Bayern träumten“, erklärt die Familienhistorikerin Marita Krauss.

Aber spätestens nach 1945 schoben die alliierten Siegermächte solchen Überlegungen endgültig einen Riegel vor. Als US-amerikanisches Besatzungsprotektorat beendete auch Bayern seine über 800-jährige eigenständige Geschichte.

ОК
Im Interesse der Benutzerfreundlichkeit verwendet unsere Internetseite cookies.