Glaubt man der etablierten Politik und deren Leitmedien, dann sieht sich die Bundesrepublik einer bestandsgefährdenden Terrorismusgefahr ausgesetzt. Nicht seitens des Islamischen Staates oder einer neuen RAF-Generation, sondern von sogenannten Reichsbürgern. Ist dies nach jahrzehntelang forciertem „Kampf gegen Rechts“, und fast 80 Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs glaubwürdig? Jedenfalls haben rund 280 Einsatzkräfte am 23. November in acht Bundesländern mehrere Objekte im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen „Reichsbürger“ durchsucht, wobei laut dpa-Informationen 20 Beschuldigten die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird. Ein derartiges Spektakel erlebt man in Deutschland bald alle paar Monate. Bereits vergangenes Jahr, am 7. Dezember 2022, wurden 3000 Polizeikräfte gebunden, um den Staat vor einem – genauer betrachtet – Reichsrentner-Putsch der berühmt-berüchtigten Marinebrigade „Rollator“ zu schützen.
Ein Reisepaß gehört neben einem eigenen KfZ-Kennzeichen für einen Reichsbürger einfach dazu.
Wer sind eigentlich diese Terroristen, die „das beste Deutschland aller Zeiten, in dem wir gut und gerne leben“, in einer Weise gefährden, die immigrierte höchst kriminelle Ausländer-Clans und fanatische Islamisten in den Schatten stellt? In den Berichten über die jüngsten Razzien vom 23. November werden „Reichsbürger“, derer es – so der Verfassungsschutz – deutschlandweit etwa 23.000 geben soll, als Menschen definiert, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Allen vorangegangenen Razzien und Festnahmen zum Trotz soll deren Kreis im vergangenen Jahr um etwa 2000 Personen angewachsen sein.
Diese Reichsbürger-Szene mag vielleicht so skurril sein, wie sie inhomogen ist, aber ist sie tatsächlich gefährlich? Reicht es hierzu aus, ihr eine Nichtanerkennung der demokratischen Strukturen der BRD nachzusagen? In diesem Zusammenhang ist der Wikipedia-Eintrag zu den Reichsbürgern interessant, zumal man dieser Internet-Enzyklopädie keineswegs eine politische Neutralität bzw. Ausrichtung nachsagen kann, die den Reichsbürgern zugunsten käme. Dort ist über besagte Reichsbürger zu lesen: „Die Anhänger gehen üblicherweise davon aus, daß das Deutsche Reich fortbestehe, da die Weimarer Reichsverfassung von 1919 niemals abgeschafft wurde.“
Dies hieße, daß man die Reichsbürger unabhängig ihrer Haltung zur BRD zumindest nicht als per se antidemokratisch einstufen dürfte, da die Weimarer Verfassung die eines demokratischen Staatswesens war.
Sei es wie es sei, denn tatsächlich gibt es unter den Reichsbürgern zahlreiche „Verfassungsfraktionen“, doch ohne Zweifel steht natürlich fest, daß auch diese ihre politischen Reformvorstellungen, mögen sie noch so umfangreich und einschneidend sein, über den mehrheitsorientierten Meinungsbildungsprozeß zu verfolgen haben, ohne sich ein irgendwie geartetes Gewaltmonopol anzumaßen. Wie verhält es sich also diesbezüglich?
Was die aktuellen Razzien vom 23. November betrifft, kommunizierte diese Gruppe höchstkonspirativ über die gängigen Messenger-Dienste, was für terroristische Untergrundgruppen ein Novum sein dürfte. Immerhin wurden am 23. November laut dem bayerische Innen- und Justizministerium eine Schreckschußwaffe sowie Reizstoffgeräte sichergestellt. „Alle Beweismittel werden akribisch ausgewertet“, ließ Bayerns CSU-Innenminister Herrmann wissen. Allerdings handelt es sich hierbei überwiegend nur um Datenträger. Die Gruppe habe – so nahezu unisono in den Medien kolportiert – „im großen Stil bundesweit staatliche Einrichtungen beleidigt und teilweise massiv bedroht, hauptsächlich über Social Media“.
Der Jurist Joachim Herrmann, seit dem 16. Oktober 2007 Bayerischer Staatsminister des Innern, will hart gegen die „Gefahr von Rechts“ durchgreifen.
Nun mag dies nicht ins demokratische Harmoniebild passen, ja sicherlich auch strafbar (Beleidigung: §185 StGB; Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole: § 90a StGB), jedoch stellt man sich unter Terrorismus landläufig etwas zur Gänze anderes vor. Zumal es nach Erkenntnissen der Ermittler bisher nicht zu Übergriffen gekommen sei.
Wenngleich der Staat mit derartigen formvollendeten Grotesken eine Law-and-Order-Haltung suggerieren möchte, kann man sich bei näherem Besehen dennoch des Eindrucks nicht erwehren, dass die BRD Schritt für Schritt zum Weltanschauungsstaat mutiert, und zwar zulasten des Rechtsstaats. Festnahmen im Rahmen von Geheimaktionen vor nicht selten zum Termin des Zugriffes bestellten Medien – siehe 7. Dezember 2022 – oder das Metastasieren angeblich krimineller Vereinigungen, weil jemand durch den Erwerb eines Notstromaggregats putschverdächtig wurde, lassen angesichts einer sorgfältig orchestriert erscheinenden Berichterstattung die bekannte Frage nach dem „cui bono“ hinter einem solchen Budenzauber aufkommen.
Auffällig ist auch, daß Ereignisse solcher Art stets mit einem Drehen an der Repressionsschraube verbunden sind. Meist wird sogleich der Ruf nach einer Verschärfung des Waffenrechts laut, der zumindest dazu führt, daß Jäger und Sportschützen sich eine Selbstzensur angewöhnen, um keinesfalls aufgrund einer Kritik an irgendwelchen politischen Verhältnissen in eine bestimmte Ecke gedrängt zu werden. Selbst von „Behördensäuberungen“ ist regelmäßig die Rede, ja sogar die Beweislastumkehr wurde bereits zur Diskussion gestellt.
Dasselbe Programm wird vermutlich erneut abgespielt werden, immerhin schrieb rbb24 über die jüngst ins Visier geratene Gruppe: „Übergeordnetes Ziel sei es gewesen, die Bundesrepublik Deutschland und ihre Einrichtungen zu destabilisieren und rechtmäßiges staatliches Handeln zu verhindern oder zumindest zu erschweren“, als ob es hierzu Reichsbürger bedürfte – dies schafft die Ampel-Koalition auch ganz gut alleine. Die BRD sollte allerdings bedenken, daß sie leicht ihre internationale Glaubwürdigkeit als selbsternannter Gralshüter der Demokratie verliert, wenn sie selbst durchschaubar mit Kanonen auf Spatzen schießt.
Die BRD als Staatsform ist heute sicherlich nicht von einer Handvoll Reichsbürger bedroht, und wenn Prof. Dr. Carlo Schmid (SPD), Vorsitzender des Hauptausschusses des das Grundgesetz erarbeitenden Parlamentarischen Rates, die westdeutsche Staatlichkeit seinerzeit als eine „Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft“ bezeichnete, dürfte man heute bei diesem Ausdruck vermutlich vorrangig an den Brüsseler Souveränitätsschwamm EU denken.
Carlo Schmid (* 3. Dezember 1896 in Perpignan, Frankreich; † 11. Dezember 1979 in Bonn) gehört zu den Vätern des Grundgesetzes und des Godesberger Programms der SPD. Er setzte sich stark für die europäische Integration und die deutsch-französische Aussöhnung ein.
Neben der oben zitierten Feststellung eines der Gründerväter des Grundgesetzes der BRD, des renommierten Staatsrechtlers Schmid, gibt es mehrere juristische Angelpunkte, an denen nicht eine von den Westalliierten quasi im Verordnungswege den Deutschen oktroyierte BRD, wohl aber das Deutsche Reich in seiner Form von 1871 bzw. 1919 festgemacht werden kann. Diesbezügliche Ausführungen wären eine eigene Abhandlung wert und würden den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen.
Es sei hier nur beispielhaft aus dem Urteil des höchsten Gerichtes der BRD, des Bundesverfassungsgerichtes vom 31. Juli 1973 zitiert:
„Das Grundgesetz [...] geht davon aus, daß das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte, noch später untergegangen ist; das ergibt sich aus der Präambel, aus Art. 16, Art. 23, Art. 116 und Art. 146 GG. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, an der der Senat festhält. Das Deutsche Reich existiert fort […], besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig.“ BVerfGE 36, 1 (15 ff.) – Grundlagenvertrag
So viel zum durch die Herrschenden ausgenutzten „Bedrohungsszenario“, für das u. a. die „Reichsbürger“ herhalten müssen.
Der vom „Bundeskanzler der Alliierten“ Konrad Adenauer, von seinem Nachfolger Georg Kiesinger und vom späteren FDP-Außenminister Klaus Kinkel beschworenen „normativen Kraft des Faktischen“ als Existenzgrundlage des neuen westdeutschen Staatswesens stehen juristische Verbindlichkeiten entgegen, die nur mittels ethikfreier Machtpolitik ignoriert werden können.
Wie entsteht nun diese „normative Kraft des Faktischen“?
Den Begriff führte der aus Leipzig stammende, in Österreich-Ungarn praktizierende deutsch-jüdische Staatsrechtler Georg Jellinek (1851 – 1911) in die empirische Debatte ein. Nähere Ausführungen hierzu finden wir in seinem Buch „Allgemeine Staatslehre“, erschienen 1900, ein Meilenstein der deutschen Staatslehre und wohl Jellineks wichtigstes Werk. Aus diesem Werk stammt auch seine Drei-Elementen-Lehre, nach der zur Anerkennung eines Staates als Völkerrechtssubjekt die drei Merkmale „Staatsgebiet“, „Staatsvolk“ und „Staatsgewalt“ erforderlich seien. In unserem Zusammenhang ist der soziologisch inspirierte Begriff der „normativen Kraft des Faktischen“ allerdings von größerem Interesse.
Georg Jellinek (* 16. Juni 1851 in Leipzig; † 12. Januar 1911 in Heidelberg), Sohn des Rabbis Adolf Jellinek, Prediger der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, war zunächst Privatdozent für Rechtsphilosophie in Wien und ab 1883 außerordentlichen Professor für Staatsrecht an der dortigen Universität. 1889 wurde er ordentlicher Professor in Basel, ab 1891 Ordinarius für Allgemeines Staats- und Völkerrecht in Heidelberg.
Im Zuge der „normativen Kraft des Faktischen“ wird durch einen relativ kleinen Personenkreis (Westalliierte und die von ihnen ausgewählten deutschen Kollaborateure) zwecks Erschaffung einer neuen institutionellen Strukturform (BRD) zuerst eine Strukturvorlage (Grundgesetz) kreiert; und zwar nach den Interessen alleine dieses Personenkreises. Steht die neue Form dank des angeheuerten Personals, wird der Gesellschaft suggestiv über die lizenzierten Medien beigebracht, daß diese Struktur entweder schon aktiv gewesen sei oder es bald werde. In jedem Fall sei es hilfreich und löblich, sich nach dieser Struktur zu richten.
Beliebt ist in diesem Zusammenhang auch die Verwendung des Mittels der positiven Konditionierung, d. h. eine frühzeitige Annahme der Struktur hat Belohnungen zur Folge (DM, Aufbau, Wirtschaftswunder, Wohlstand).
Ist ein demokratischer Beschluß zur Durchsetzung der Struktur vonnöten, so wird deren Alternativlosigkeit (Bedrohung durch den Ostblock, kalter Krieg) betont.
In der Folge tritt bei den an der Struktur teilnehmenden Akteuren eine Gewöhnung ein sowie ein durch die teilnehmenden bewirkter Anpassungsdruck auf die nicht teilnehmenden.
Abschließend wird die neue Struktur offiziell als gültig gewählt oder proklamiert, wobei zur Wahl nur eine Varietät in verschiedenen Subvarietäten aufgestellt ist.
Die an diesem soziologischen Spiel Beteiligten nennen sich Demokraten.
Fazit: Traditionalistische Rechtsethik und die (nachträglich als Normalität gebilligte) Umformung staatsrechtlicher Strukturen vermittels der „normativen Kraft des Faktischen“ stehen sich demnach unversöhnlich gegenüber.
Als rechtstreuer Staatsbürger steht man verlegen neben den Konfliktparteien, greift sich an die Nase und fragt sich mit Schiller:
„Jahre lang schon bedien' ich mich meiner Nase zum Riechen;
Hab' ich denn wirklich an sie auch ein erweisliches Recht?“
Friedrich Schiller (Hrsg.): Musen-Almanach für das Jahr 1797; J. G. Cottaische Buchhandlung, Tübingen, 1797, S. 295