Erst Wehrhaftigkeit, dann Wehrpflicht!

Von Sinn und Unsinn der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in einem nicht souveränen Land

„Wir haben angefangen, die Kunst des Krieges höher als die militärischen Tugenden zu schätzen. Dies war der Untergang der Völker in allen Zeiten. Tapferkeit, Aufopferung, Standhaftigkeit sind die Grundpfeiler der Unabhängigkeit eines Volkes. Wenn für diese unser Herz nicht mehr schlägt, so sind wir schon verloren, auch selbst in dem Laufe der großen Siege.“

Gerhard von Scharnhorst, April 1806.

Droht Gefahr, rollt sich der Igel zu einer Kugel zusammen und richtet seine Stacheln empor. Der kleine Kerl ist also stets und ständig wehrhaft. Viele Menschen hingegen, gerade wenn sie in den vor Dekadenz nur so strotzenden Überflußgesellschaften der westlichen Hemisphäre leben, tragen ihre mit oft chemisch „angereicherten“ Lebensmitteln gespeisten Wohlstandsbäuche wie eine Monstranz vor sich her. Sind sie im Vergleich zu den Kraft- und Kampfsport treibenden Angehörigen ausländischer Clans überhaupt noch verteidigungsbereit? Die Frage muß – leider – mit einem klaren „Nein!“ beantwortet werden.

Etwas mehr als 200 Jahre ist es her, als in den deutschen Landen ein kleiner Kreis entschlossener Männer sich über das Problem der Wehrhaftigkeit Gedanken machte. Die Situation war heikel: In Deutschland standen im Gefolge der verlorenen Schlacht bei Jena und Auerstedt (Oktober 1806) napoleonische Truppen. Die Höchststärke des preußischen Heeres wurde von Napoleon 1808 auf 42.000 Mann begrenzt. Immerhin befanden sich in leitenden Funktionen im Kriegsministerium – und das sollte sich als Glücksfall erweisen – intelligente, weitblickende Offiziere: Gerhard von Scharnhorst (1755-1813), Wilhelm von Hake (1785-1866), August Neidhart von Gneisenau (1760-1831), Hermann von Boyen (1771-1848), Carl von Clausewitz (1780-1831) und Leopold von Rauch (1787-1860).

Sie verfaßten 1810 eine Stellungnahme, in der sie auf die Gefahr militärischer Versäumnisse in Friedenszeiten verwiesen. Diese könnten in einem Moment äußerer Bedrohung nicht unbedingt leicht wettgemacht werden. Die dann notwendigen restriktiven Maßnahmen würden bei den Bürgern Unwillen und Vertrauensverlust erzeugen. Deshalb sei eine kontinuierliche Vorbereitung auf den Ernstfall bereits in Zeiten des Friedens die einzige Alternative.

Gesagt, getan:

1.) Die preußischen Offiziere fügten verschiedene Mosaiksteinchen zu einem harmonischen Gesamtbild zusammen. Zunächst führte Scharnhorst das sogenannte Krümpersystem ein. Der volkstümliche Ausdruck bezeichnet ein in Preußen von 1808 bis 1812 praktiziertes System, bei dem – über die zugelassene Höchststärke von 42.000 Mann hinaus – durch kurze Ausbildung von überplanmäßigen Soldaten eine Reserve von ca. weiteren 38.000 Mann geschaffen wurde.

2.) Am 17. März 1813 erging die Verordnung über die Bildung der Landwehr in Preußen, die de facto die Vorprägung eines stehenden, sich aus Wehrpflichtigen rekrutierenden Volksheeres darstellte. Hier standen Söhne von Bürgern, Bauern und Adligen nebeneinander.

3.) Im Monat zuvor wurde die Verordnung über die Aufhebung aller Befreiungen von der Kantonpflicht herausgegeben. Das Kantonsystem war 1733 von Friedrich Wilhelm I. eingeführt worden. Er ließ das Land in Bezirke (Kantone) einteilen, aus denen jeweils ein Regiment seinen Rekrutenersatz zu entnehmen hatte.

Auf diese Offiziere ist es historisch zurückzuführen, daß die deutschen Armeen nach der Epoche des Absolutismus gemäß progressiven Methoden geschult und strukturiert worden sind. Standesunterschiede schmolzen mit der Zeit ab, der berüchtigte Kadavergehorsam wurde durch die revolutionäre Auftragstaktik ersetzt, die den Intellekt der einfachen Soldaten, der Unteroffiziere und unteren Offiziersränge herausforderte.

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Generalleutnant Gerhard Johann David von Scharnhorst (* 12. November 1755 in Bordenau bei Neustadt am Rübenberge/Niedersachsen; † 28. Juni 1813 in Prag) war neben August Graf Neidhardt von Gneisenau – als Vorsitzender der Militärreorganisations-Kommission seit Juli 1807 – der entscheidende Organisator der folgenreichen Preußischen Heeresreform und Begründer des Kriegsministeriums. Da er am deutlichsten den Zusammenhang zwischen Militärreform und gesellschaftlichen Veränderungen erkannte, gilt Scharnhorst noch heute als der Vorbildlichste der Militärreformer der Zeit der Befreiungskriege. Vor seinem Tode war er Chef des Generalstabes von Feldmarschall von Blücher. Gemälde von Friedrich Bury, vor 1813.

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Generalmajor Wilhelm Joachim Friedrich von Hake (* 10. Dezember 1785 auf Genshagen/Mark Brandenburg; † 7. Januar 1866 in Frankfurt/Oder) entstammte als Offizier dem Krümpersystem.

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Generalfeldmarschall Dr. phil. August Wilhelm Anton(ius) Neid(t)hardt, ab 1814 Graf Neid(t)hardt von Gneisenau (* 27. Oktober 1760 in Schildau, Kurfürstentum Sachsen; † 23. August 1831 in Posen) war als Heeresreformer sehr erfolgreich. Gemälde von George Dawe.

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Generalfeldmarschall Ludwig Leopold Gottlieb Hermann von Boyen (* 23. Juni 1771 in Kreuzburg/Ostpreußen, † 15. Februar 1848 in Berlin) trat 1787 in die Preußische Armee ein und hörte 1788 Vorlesungen Kants in Königsberg, die seine späteren Vorstellungen einer „Armee als Schule der Nation“ beeinflußten. Von Boyen wurde 1803 von Gerhard Johann David von Scharnhorst in die Militärische Gesellschaft aufgenommen, 1808 als Major in die Militärreorganisationskommission berufen, 1810 zum Direktor des Allgemeinen Kriegsdepartements ernannt. 1814 wurde er erstmals preußischer Kriegsminister. Er setzte das Wehrgesetz vom 3. 9. 1814 durch, mit dem die allgemeine Wehrpflicht eingeführt sowie eine Landwehr und ein Landsturm aufgebaut wurden. Von reaktionären Kräften angegriffen, trat er 1819 zurück. Seit 1841 leitete er nochmals das Kriegsministerium, bis er 1847 als Generalfeldmarschall seinen Abschied nahm. Neben Scharnhorst, Gneisenau und Clausewitz gilt von Boyen als der bedeutendste preußische Heeresreformer.

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Generalmajor Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz (* 1. Juli 1780 in Burg bei Magdeburg, † 16. November 1831 in Breslau) war ein weltweit renommierter Militärtheoretiker und -philosoph. Von Clausewitz wurde durch sein Hauptopus „Vom Kriege“ bekannt. Seine Theorien und Thesen über Strategie, Taktik und Philosophie hatten immense Auswirkungen auf die Entwicklung des Kriegswesens und der Kriegskunst in allen europäischen Ländern sowie darüber hinaus. Seine Gedankenmodelle werden bis zum heutigen Tag an wichtigen Militärakademien doziert und im Feld der Unternehmensführung sowie in der Werbung verwendet. Kopfportrait Johann Jakob Kirchhoffs, 1825.

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Generalmajor Gustav Adolf Leopold von Rauch (* 27. Februar 1787 in Königsberg/Ostpreußen; † 26. November 1860 in Trziblitz/Böhmen) wurde während der Befreiungskriege als Adjutant der Garde-Reservebrigade, beim Chef des Generalstabes des II. Armeekorps und als Adjutant der 1. Gardebrigade verwendet und mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. In der Schlacht bei Kulm 1813 erlitt Leopold von Rauch eine so schwere Verwundung, daß er von da an nur noch in Adjutanturen bzw. in militärischen Stäben verwendet werden konnte. Herzog Karl zu Mecklenburg-Strelitz, Kommandeur der Gardebrigade und Bruder der preußischen Königin Luise, beurteilte seine Adjutanten Rauch: „Gleich tätig und fähig. Er hat eine treffliche Haltung in seinem ganzen Benehmen und ist sehr empfehlenswert.“ 1833 wechselte Rauch als Mitglied in die Direktion der Allgemeinen Kriegsschule in Berlin, das heißt der späteren preußischen Kriegsakademie, um dort künftige Stabsoffiziere und Generalstäbler auszubilden. Lithographie von Gabriel Decker, um 1850.

Unterschiedliche Auffassungen im patriotischen Lager

Ab 1814 galt die allgemeine Wehrpflicht auch in Zeiten des Friedens. 200 Jahre später, genauer 2011, erfolgte ihre „Aussetzung“, lies: Abschaffung. Das kommt nicht von ungefähr. Denn aus Warte der momentan am Ruder befindlichen Politikerkasten – als Wurmfortsatz der US-Hegemonialpolitik – kann auf eine Wehrpflichtarmee als „Schule der Nation“ getrost verzichtet werden. Stattdessen reicht eine Berufsarmee, die unter der Flagge von „Demokratie“, „Freiheit“ und „Menschenrechten“ als Vasall Washingtons segelt.

Der Krieg in der Ukraine hat endgültig eine Wiederbelebung des Diskurses über die Wehrpflicht bewirkt. Wie aber wird diese Diskussion im deutschen patriotischen Lager geführt? Auf den ersten Blick müßte hier doch ein absoluter Konsens zugunsten einer Wiedereinführung der Wehrpflicht herrschen, sollte man meinen. Aber weit gefehlt!

Es haben sich – grob betrachtet – zwei Lager herausgebildet, die allerdings beide gute Argumente geltend machen können, wobei in einem Punkt Einigkeit herrscht: Jeder junge Mensch hat nach Beendigung seiner schulischen Ausbildung Dienst an der Gemeinschaft zu leisten. So weit, so gut. Doch ist die Bundesrepublik Deutschland in das NATO-Korsett gezwängt und immer noch ein besetztes Land, also nicht souverän. Vielen Patrioten erscheint es deshalb als absurd, für diesen Staat, der sich am Gängelband Washingtons und der EU befindet, auch nur einen Finger krummzumachen, und sei es in Gestalt des Wehrdienstes bzw. der Wehrpflicht. Deren Wiedereinführung wird von dieser Gruppe abgelehnt, da eine Einziehung von Wehrpflichtigen beim jetzigen Stand eine Stärkung des Westens und der NATO bedeuten würde. Und trotz aller Lippenbekenntnisse der Verantwortlichen ist die Bundeswehr eben keine Territorial- bzw. Verteidigungsarmee, sondern ein Instrument für die Durchführung westlicher Hegemonial- und Kolonialkriege.

Die Wehrpflicht-Unterstützer können die soeben beschriebene Gruppe durchaus verstehen, geben aber zu bedenken, daß zum politischen Einmaleins eine durch nichts zu erschütternde Tatsache gehört: Wir leben in einer vom Grundsatz her nicht unbedingt friedlichen Welt. Wer hier ohne Blessuren oder gar Dauerschäden davonkommen will, müuß – in technischer, aber auch personeller Hinsicht – gerüstet sein. Und gewiß, so die Befürworter einer Wiedereinführung der Wehrpflicht, ist die BRD – seit 1945 – ein fremdbestimmtes Land. Das müsse aber nicht so bleiben, zumal der Kampf der patriotischen Kräfte ja gerade auf eine vollumfängliche Wiederherstellung der Souveränität abzielt. Und dann werde Deutschland nicht umhinkommen, eine (Wehrpflichtigen-)Armee zu schaffen.

Zunächst Schaffung des Fundaments

Eine andere Gruppe rät in diesem Zusammenhang dazu, bei dieser bedeutsamen Frage systematisch vorzugehen, sprich, zunächst – wie beim Hausbau – mit den Ausschachtarbeiten zu beginnen und das Fundament zu legen. So sei es notwendig, bereits die Kleinen in den Kindertagesstätten – natürlich auf spielerische Weise – an die verschiedenen Kampfsportarten heranzuführen. Und nicht zuletzt müßte die Politik – wie von einigen Medizinern seit Jahren gefordert – an den Schulen ein Fach Ernährungskunde etablieren.

Diese Forderung kommt nicht von ungefähr. Sind doch in der Bundesrepublik zirka 15 von 100 Kindern zwischen drei und 17 Jahren übergewichtig, mehr als sechs davon sogar schon fettleibig. Auch haben die koordinativen Fähigkeiten in den vergangenen Jahrzehnten deutlich nachgelassen. Ein weiteres Problem ist die geringe Zahl studierter Sportlehrer an den Grundschulen. Der Deutsche Sportlehrerverband (DSLV) forderte bereits 2020 in einem Positionspapier, „politisch dafür einzutreten, daß Sportlehrer/innenbildung mit entsprechenden Ressourcen ausgestattet, angemessen gewichtet und nicht als ,Schmalspurausbildung‘ (wie zum Teil im Grundschullehramt) heruntergefahren wird“. Zudem betrachtet es der DSLV als wichtig, an Hochschulen und sportwissenschaftlichen Einrichtungen für die Sportlehrer-Heranbildung einzustehen. Als entsprechende Mittel werden Eignungsprüfungen, Praxisphasen und schulsportbezogene Lehrveranstaltungen angesehen. Eine Erhöhung der Ausbildungs-Qualität bei den (Sport-)Lehrenden wäre durchaus ein Beitrag für mehr Wehrhaftigkeit.

In dieser Zusammenschau kann ein Grundstein gelegt werden, auf dem dann die Wehrpflicht aufbaut, zumal regelmäßige sportliche Betätigung zu Disziplin und Gemeinschaftsgeist erzieht. Eine Patriotin aus dem bayerischen Raum brachte es kurz und bündig auf den Punkt: „Und seien wir mal ehrlich: Wer ist wirklich attraktiver? Ein körperlich gestählter Mann in schicker Uniform oder ein herumschlurfender Junghippie mit Puddingarmen? Ich denke, die Antwort erübrigt sich.“

Von ewigem Charakter sind auch die Erkenntnisse der Verhaltensforschung. Ihr zufolge zeichnen sich Menschengruppen u. a. durch Territorialverhalten aus – sofern sie gesund bzw. wehrhaft sind, verteidigen sie ihren Lebensraum gegen Aggressoren.

Das wußten bereits lebenserfahrene und weitblickende Männer wie der römische Militärschriftsteller Vegetius (400 n. Chr.). Er schrieb im Vorwort zu Buch III seines Werkes „De re militari“ (dt., „Über militärische Angelegenheiten“):

„Qui desiderat pacem, bellum praeparat.“

„Wer (den) Frieden will, bereitet (den) Krieg vor.“

Denken wir dabei immer wieder an den Igel, der sich im Augenblick der Gefahr zusammenrollt und seine Stacheln emporreckt!

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