Schiffahrt: Deutscher Erfindergeist lebt!

Die deutsche Ingenieurskunst gibt unverändert kraftvolle Laute von sich.

In sehr vielen Bereichen verkörpert die Bundesrepublik allenfalls noch mittelmäßiges Niveau. Die deutsche Ingenieurskunst hingegen gibt unverändert kraftvolle Laute von sich. So wurden im Hinblick auf alternative Antriebssysteme in der Schiffahrt in jüngerer Vergangenheit deutliche Fortschritte erzielt.

Im Mittelpunkt der Anfang September 2022 durchgeführten SMM, der Weltleitmesse für die maritime Wirtschaft in Hamburg, stand dabei das sogenannte „Green Shipping“. In diesem Zusammenhang spricht die maritime Wirtschaft von „einer weitgehenden Dekarbonisierung des Schiffsverkehrs“ – weg also von der Verwendung fossiler Energieträger hin zu Brennstoffzellen-Systemen. Hierbei werden die Derivate des grünen Wasserstoffs zu E-Fuels verarbeitet, synthetischen, mittels Strom aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellten Kraftstoffen, die Brennstoffzellen-Systeme betreiben. Mit dem Projekt „e4ships – Brennstoffzellen im maritimen Einsatz“ ist die Bundesrepublik „auf dem Kurs zu einer nachhaltigen Schiffahrt einen substantiellen Schritt vorangekommen“, wie es in einer Pressemitteilung des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) heißt.

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„Green Shipping“ als Alternative zum Gas- und Ölantrieb von Schiffen.

Dabei gab es vier Demonstrationsvorhaben, darunter ELEKTRA. Dessen Ziel bestand in der Erprobung und Einführung von mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellen in Verbindung mit Batterien für die komplette Energieversorgung in einem kommerziell betriebenen Binnenschiff. Die Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft läßt sich hier recht gut ablesen. So gehörten zu den Projektpartnern u. a. die in Derben (Jerichower Land, Sachsen-Anhalt) ansässige Schiffswerft Hermann Barthel, die Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft (BEHALA), die Schiffselektronik Rostock (SER) GmbH und die Technische Universität Berlin mit ihrem Fachgebiet Verkehrs- und Maschinensysteme.

Kräftige Pflöcke eingeschlagen

Ebenfalls kräftige Pflöcke eingeschlagen haben die SER GmbH und die gleichfalls in Rostock beheimatete Maridis GmbH. Sie liefern u. a. elektrotechnische und elektronische Ausrüstungen für den Schiffbau, aber auch Analyse- und Optimierungssysteme für den Schiffsmotorenbetrieb. In Bremerhaven startete kürzlich das Großprojekt „MariSynFuel“, für das die Bundesregierung aus dem Förderprogramm „Entwicklung regenerativer Kraftstoffe“ 6,5 Millionen Euro bereitstellte. Beteiligt sind neben dem Technologie-Transfer-Zentrum (ttz) das Alfred-Wegener-Institut (AWI), das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) sowie die Unternehmen UTG Unabhängige Tanklogistik GmbH, Green Fuels GmbH und die Reederei F. Laeisz.

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Prof. Dr.-Ing. Gerhard Schories ist Institutsleiter beim Technologie-Transfer-Zentrum.

Wie Prof. Dr.-Ing. Gerhard Schories, Institutsleiter beim Technologie-Transfer-Zentrum, im Januar gegenüber der „Nordsee-Zeitung“ erklärte, werde mit dem Projekt das maßgebliche Ziel verfolgt, „flüssige, synthetische Kraftstoffe für die Schiffahrt zu etablieren, um durch wasserstoffbasierte Energieträger die CO2-Emissionen fossiler Energieträger zu vermeiden“. Der Kern des Vorhabens besteht in der Entwicklung und dem Aufbau einer Anlage zur synthetischen, „grünen“ Methanolherstellung im Demonstrationsmaßstab. Der Kraftstoff soll dabei direkt für das neu gebaute Forschungsschiff „Uthörn“ des Alfred-Wegener-Instituts Verwendung finden. Die Nachfrage nach synthetischen Kraftstoffen, so Schories‘ Prognose, dürfte in den kommenden Jahren stetig steigen, da künftig immer mehr Seeschiffe mit einem entsprechenden Antrieb versehen werden. Das Projekt leiste einen Beitrag zur Dekarbonisierung im Verkehrssektor.

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Die neue „Uthörn“ wird mit Methanol angetreiben.

Überhaupt wird der Bereich „Forschung und Entwicklung“ für die maritime Wirtschaft an Bedeutung gewinnen, ja, er bildet den Hauptteil ihres Stützapparats. Erfindungsreichtum und eine schnelle Überführung von Neuerungen in die Praxis werden geradezu überlebensnotwendig sein, um gegen die mit opulenten staatlichen Zuwendungen versehene ostasiatische Dumping-Konkurrenz im Schiffbau überhaupt noch eine Chance zu besitzen.

Dazu ein paar Zahlen: Wie der VSM im Herbst des vergangenen Jahres informierte, gingen 2021 sage und schreibe 46 Prozent aller Schiffbauaufträge nach China. 40 Prozent entfielen auf Südkorea, neun Prozent auf Japan. Europa – Norwegen und Großbritannien mit eingerechnet – brachte es nur noch auf ein kümmerliches Prozent. Mit Folgen: Von 2019 bis 2021 wuchsen die Wertvolumina der eingegangenen Aufträge für die chinesischen Werften um 110 Prozent auf 48,3 Milliarden US-Dollar, jene für den südkoreanischen Schiffbau um 93 Prozent auf 44,1 Mrd. US-Dollar. Europas Schiffbau hingegen erlebte in der gleichen Zeitspanne einen schwindelerregenden Absturz: von 22,7 Mrd. auf 4,9 Mrd. US-Dollar.

Verstärkung des Konzentrationsprozesses im Schiffbau

Der Konkurrenzdruck aus Asien wird den Konzentrationsprozeß auch im deutschen Schiffbau eher noch verstärken. 2030, spätestens 2035, könnte der Bau von Schiffen in deutschen Landen nur noch von drei großen Gruppen beherrscht werden. Damit rechnet zumindest Thorsten Ludwig, Forschungsleiter der Bremer Agentur für Struktur- und Personalentwicklung mbH (AgS), im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Der Schiffbauumfrage 2022 zufolge entfielen drei Viertel aller bestehenden Arbeitsplätze auf fünf große Werftgruppen: die FSG-Nobiskrug Holding in Flensburg und Rendsburg, die Lürssen-Gruppe, die Meyer-Gruppe mit ihren Werften in Papenburg und Rostock, ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) mit Standorten in Emden, Hamburg und Kiel sowie die MV Werften in Wismar, Rostock und Stralsund. Letztere gingen durch den coronabedingten Einbruch der Kreuzfahrtbranche allerdings in die Insolvenz. In Stralsund ist ein maritimer Gewerbepark im Entstehen; der Werftstandort Rostock befindet sich seit dem 1. August 2022 in der Hand des Bundes. Die Deutsche Marine wird das Areal als Reparaturstützpunkt für ihre Schiffe nutzen.

Zählten 2021 in der Bundesrepublik zum Kernbereich Schiffbau noch 91.477 Beschäftigte, waren es im Vorjahr nur noch 84.611.

Doch wo liegt für die europäischen und damit auch für die deutschen Werften der Ausweg, nachdem das Segment Container-Schiffbau bereits an Asien verloren ging? Prof. Dr. Burkhard Lemper, Geschäftsführer des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik in Bremen, erblickt die Chancen für die hiesigen Werften vor allem in der „Konzentration auf Spezialschiffe mit hohem technischem Anspruch, unter anderem Kreuzfahrt, Jachten, auf größere Reparaturen und Umbauten sowie in Zukunft auf die Umrüstung von vorhandenen Schiffen auf alternative Kraftstoffe beziehungsweise zur Erfüllung anderer Umweltregularien“, so Lemper gegenüber der „Nordsee-Zeitung“.

Der vielgerühmte deutsche Erfindergeist wird also weiter gefragt sein. Wie eingangs erläutert, ist er noch quicklebendig.

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