Lappland – ein menschenleeres Wunderland

Die nazistische Theorie der Rassenüberlegenheit wurde gar nicht in Deutschland formuliert...

Lappland ist ein geografisches und historisches Gebiet in Nordeuropa, das auf dem Gelände von vier Staaten liegt: Finnland, Russland, Norwegen und Schweden. Das Land der malerischen Kuppen, blauen Seen und unberührten Natur. Das Stammvolk dieser Gegend ist Nomadenvolk der Rentierzüchter von Samen. Ihre Beziehungen zu der Regierung waren nie ungetrübt…2016 kam der Film „Das Mädchen aus dem Norden“ von gemeinsamer schwedisch-norwegisch-dänischer Produktion heraus. Er schockierte die europäischen Zuschauer mit dem Erzählen davon, wie in den 30-er Jahren des vorigen Jahrhunderts „kultivierte“ Schweden „stinkende Samen“ assimilierten.

Weit gen Nord schimmert Sápmi

sanft

Die Samen sind eines der nicht zahlreichen finno-ugrischen Völker. Im Laufe ihrer ganzen dreitausendjährigen Geschichte schafften die Samen es niemals, ihren eigenen Staat zu gründen. Sie strebten allerdings nie danach. Gleichzeitig haben die Samen ihre eigenen Flagge und Hymne:

Weit gen Nord schimmert Sápmi

sanft im Schein des Großen Bären:

Weite strecket sich an Weite,

See an See soweit das Auge reicht.

Hänge, Grate, kahle Felsen

heben sich zum Himmelszelt.

Flüsse brausen, Wälder rauschen,

stahlgraue, steile Felsenspitzen schießen

sich gegen das wilde Meer hinaus.

Die Flagge und die Hymne wurden im August 1986 auf der XIII. Internationalen Samikonferenz ausgewählt, die in der schwedischen Siedlung Åre stattfand. In Schweden leben heute etwa 20 Tausend Samen, 50 Tausend leben in Norwegen, 7 Tausend in Finnland und etwa zwei Tausend – im Gebiet von Murmansk in Russland.

Eine einheitliche Sprache haben Samen nicht. Stattdessen gibt es etwa zehn Dialekte. Die Herkunft des Volks ist dunkel. Die meisten Wissenschaftler einigen sich darauf, dass die Samen durch Verschmelzung einiger ethnischer Gruppen entstanden. Die traditionellen Gewerbe der Samen sind Rentierzucht, Jagd und Fischfang.


Eine samische Familie, 1900.

Die Unterrasse

Während des ganzen zwanzigsten Jahrhunderts wurden die Samen in der schwedischen Kunst als nicht vollwertige Wilde, schon fast Tiere dargestellt. Am meisten traf den Schweden, dass Samen sich niemals wuschen. Hieraus folgt das Verhalten der schwedischen Gesellschaft zu ihnen. Es ist etwa das gleiche, wie bei anderen Völkern Obdachlosen gegenüber. Es ging aber nicht nur um die Hygiene. Schweden meinten, die geistige Entwicklung der Samen lasse sie unter „normalen Menschen“ nicht leben. Deswegen glaubten sie einerseits, dass Samen isoliert werden sollen, versuchten aber andererseits mit aller Mühe sie zu assimilieren.

Die Assimilationsaufgabe erfüllten die sogenannten Internatsschulen, wo samische Kinder an zivilisatorische Bequemlichkeiten gewöhnt wurden. Die Aufgabe scheint edel zu sein, doch die Methoden ihrer Erfüllung waren weit von den humanen entfernt. In solchen Schulen durften Kinder ihre Muttersprache sogar unter sich nicht sprechen. Die Verletzter des Verbots wurden schonungslos geprügelt oder anderen demütigenden Aktionen unterzogen. Häufig besuchten solche Schulen schwedische Anthropologen wie Herman Lundborg, von dem die Rede weiter ist. Und dann begannen „wissenschaftliche“ Untersuchungen. Kinder und Jugendliche wurden in aller Öffentlichkeit ausgezogen und zynisch fotografiert.

Eigentlich vermittelten solche Schulen keine besonderen Kenntnisse. Samischen Kindern Schwedisch beizubringen, war schon fast das einzige Ziel der schwedischen Lehrkräfte. Samen wurden doch offiziell für eine minderwertige, geistig nicht ganz entwickelte Rasse erklärt, die zur normalen Schulung unfähig ist. Ihnen war verboten, mit schwedischen Kindern gewöhnliche Schulen zu besuchen. Ganz klar, dass in so einer Lage Hochschulen für Samen geschlossen waren. Ganz zu schweigen vom Abstimmungsrecht und anderen Demokratieunmäßigkeiten…


Samen.

Akademischer Rassismus

1922 eröffnete in der schwedischen Stadt Uppsala das Staatliche Institut für Rassenbiologie. Das Parlament beschloss einstimmig seine Gründung. Zum Direktor wurde Genetiker und Anthropologe Herman Lundborg genannt, der offen faschistische Positionen vertrat. Die Hauptziele des Instituts für Rassenbiologie waren „Erforschung der Menschendegeneration, die Rassenmischung verursachte“ sowie „Erkennung des hochwertigsten Rassenmaterials“. 1923 unternahm das Institut eine Expedition nach Lappland mit dem Zweck, das Folgende zu beweisen: Dass Samen im Vergleich zu Schweden eine „Unterrasse“ waren und dass die Rassenmischung nicht nur schädlich, sondern auch sträflich war.


Eine Szene aus dem Film „Das Mädchen aus dem Norden“.

Von Lundberg stammen solche Bücher mit den sprechenden Namen wie „Rassenbiologie und Rassenhygiene“, „Von Rassenbiologie und genealogischen Untersuchungen“, „Rassenbiologische Beschreibung des Menschen“ und viele andere.

Zur Mitte der 20-er Jahre wurde Uppsala fast das internationale Hauptzentrum für Untersuchung der Rassenprobleme. Meiste deutsche Genetiker und Anthropologen, die schon bald Hitler und seine Ideen „der Minderwertigkeit von Juden“ bedienen werden, verbrachten Praktiken ausgerechnet am Uppsalaer Institut.

Zur Sternstunde dieser Institution wurde die Internationale skandinavische Konferenz der Rassenbiologie und Anthropologie, die in Uppsala am 25.-28. August 1925 stattfand. Eifrig besprachen die Teilnehmer Fragen der Überlegenheit von einigen Rassen über die anderen und kamen zum Schluss, dass „die moderne Kultur an vielen Seiten der Welt  ausschließlich dank der nordischen Rasse weiterlebt“.

Es ist ganz interessant, dass das Institut für Rassenbiologie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und sogar nach den Nürnberger Prozessen, die die faschistische Rassentheorie verurteilten, nicht fiel, sondern wohlbehalten bis zum Jahr 1958 seine Forschungen weiterführte.

Die außerordentliche Maßnahme

Keine letzte Rolle spielten die Forschungen des Staatlichen Instituts für Rassenbiologie auch bei der Verabschiedung von zwei Sterilisationsgesetzen 1934 und 1941 von dem schwedischen Parlament. Um die Reinheit der nordischen Rasse zu verteidigen, wurde eine Reihe der Maßnahmen getroffen. Nach diesen Gesetzen unterlagen der Sterilisation die Bürger, die Gesundheits- oder Sozialbehörden für geistig oder rassisch nicht vollwertig erklärten. Nach Lundborgs Einstufung passten Samen sowohl in die erste, als auch in die zweite Kategorie. Offiziellen Angaben zufolge wurden in Schweden zwischen 1935 und 1975 63 Tausend Menschen der Sterilisation unterzogen, 27 Tausend davon – mit Gewalt. Das waren natürlich nicht nur Samen, sondern Vertreter auch anderer „Unterrassen“, vor allem Zigeuner. Der Sterilisation wurden auch physisch und geistig nicht vollwertige, asoziale und kriminelle Individuen unterzogen. 2003 erklärte Schweden diese Handlungen für  offiziell rechtswidrig und fing mit den Entschädigungsauszahlungen an die von Sterilisationsprogrammen Betroffenen an. Dafür stellte man 300 Millionen Kronen (33 Millionen Euro) bereit. Zum heutigen Tag haben solche Auszahlungen schon etwa zwei Tausend Menschen erhalten.

Saam lives matter

So einen Slogan haben Samen natürlich nie auf die Tagesordnung gestellt. Doch Mitte der 1970-er begannen die samischen Gemeinden von der schwedischen Regierung zu fordern, die Gleichberechtigung auf der Gesetzgebungsebene anzuerkennen. Dieser Kampf führte dazu, dass 1977 Schweden Samen als Stammvolk anerkannte. So eine Anerkennung ist kein Routinekompliment. Danach folgte eine Reihe der Maßnahmen, die auf die Anerkennung des samischen „Urgeländers“ gezielt waren, ihres Rechts auf das Land und die Bodenschätze, auf die Vertretung in Regierungsbehörden, Spracheerhaltung sowie auf das „Überwinden des Umgangsnationalismus, der sich über Jahrhunderte der Samenunterdrückung festsetzte“.


Moderne Samen in den nationalen Kleidern.    

Im Januar 2017 wurden als Stammvölker Samen und zwei andere Staaten, Mitglieder des Nordischen Rats, anerkannt: Norwegen und Finnland. So wurden Samen das einzige offiziell anerkannte Stammvolk Europas, das auf dem Gelände mehrerer Länder lebt.

Als Schlussakkord dieser Geschichte ertönte die Bußrede der Erzbischöfin Antje Jackelén, die sie am 24. November 2020 in der Kathedrale in der schwedischen Stadt Uppsala hielt. Der Stadt, wo jahrzehntelang seine kriminelle Tätigkeit das Staatliche Institut für Rassenbiologie trieb. Im Namen aller Schweden bat Jackelén das samische Volk um Verzeihung für ihre jahrlange Demütigung und schloss ihre Rede mit den Worten ab: „Anstatt in samischen Brüdern und Töchtern das Gottesbild zu erschauen, versuchten wir, sie nach unserem Bild und Gleichnis zu ändern.“

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