Antifaschistische NS-Erben

Was verband die sozialistische DDR mit dem national-sozialistischen Deutschen Reich?

In den silbrig glänzenden Ständern vor den gelben Zeitungskiosken der Sowjetischen Besatzungszone und Ost-Berlins fand der am nationalen und internationalen Geschehen interessierte Medienkonsument ab dem 22. März 1948 ein neues Produkt: „National-Zeitung“ prangte in dicken schwarzen Lettern im Kopf des Blattes. Gleich die erste Ausgabe erinnerte an eine Phase deutscher Geschichte, die einen kleinen Wimpernschlag der Geschichte zuvor zu Ende gegangen war.

Plutokraten und fremde Mächte wollten das besiegte Deutschland auseinanderreißen und das deutsche Volk versklaven, hieß es im Leitartikel nicht etwa einer Nachfolgepublikation des „Völkischen Beobachters“. Dagegen gelte es anzugehen. Die Zeitung sei das Sprachrohr von „Abermillionen deutscher Volksgenossen“. – Man las und staunte! Ja, dort stand schwarz auf weiß „Volksgenossen“, nicht „Parteigenossen“...

Wenige Wochen später, genauer am 25. Mai, wurde in Halle an der Saale eine Partei ins Leben gerufen, deren Zentralorgan die N.-Z. werden sollte: die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, kurz: NDPD. Bis dato bestanden auf dem Gebiet der sowjetischen Zone vier Parteien, die im Sommer von der Sowjetischen Militär-Administration (SMAD) zugelassen worden waren: neben der KPD und der SPD waren dies die CDU und die Liberal-Demokraten. Die beiden letztgenannten hatten bei den 1946 durchgeführten Landtagswahlen gute Ergebnisse erzielt.

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Das Haus des Parteivorstandes der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD) in der Berliner Friedrichstraße.

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Die Parteiflagge der NDPD.

Herbst, Ranke und Winkler konstatieren in Band 2 ihres 1994 bei Rowohlt in Hamburg erschienenen Werks So funktionierte die DDR, daß mit der NDPD eine Art künstlicher Konkurrenz geschaffen werden sollte. Diese These streift den Kern bestenfalls. Vielmehr galt es, die auf dem Boden der späteren DDR lebenden 1,5 Millionen ehemaligen NSDAP-Mitglieder in das neue System einzubinden. Hätten die neuen Machthaber sie pauschal vor den Kopf gestoßen, wäre ein gewaltiges Protestpotential entstanden, was auch und gerade nicht im Sinne der Sowjetunion sein konnte.

Stalin hatte denn auch im März 1948 bemerkt, es sei an der Zeit, „die Trennlinie zwischen ehemaligen Nazis und Nicht-Nazis aufzuheben“. Bereits einen Monat zuvor wurde durch den SMAD-Befehl Nr. 35 die Entnazifizierung in der SBZ beendet. Fortan bestand für „nichtbelastete“ einstige NSDAP-Mitglieder die Möglichkeit, „an der Sicherung der Einheit und der demokratischen Entwicklung Deutschlands“ mitzuwirken. Mit dem 8. Mai 1945 begann die höhere Moral der Sieger und ihrer ethischen Kategorisierungen in die Arena des Krieges einzuziehen.

NDPD als Auffangbecken

Die NDPD betrachtete sich als Auffangbecken für jenen Personenkreis der „Nichtbelasteten“, aber auch für ehemalige Offiziere sowie Vertriebene. Pikanterweise aber fanden sich – wie der Historiker Klaus Schroeder herausgearbeitet hat – in der SED wesentlich mehr vormalige Angehörige der NS-Staatspartei als in der NDPD. In letzterer schlossen sich in der Hauptsache nationalkonservativ ausgerichtete Angehörige des Mittelstandes und Kriegsheimkehrer zusammen.

An der Spitze der Partei indes stand zunächst ein Emigrant: Lothar Bolz (1903-1986), von Beruf Rechtsanwalt, hatte sich 1928 der KPD angeschlossen. Nach der Machtübergabe an Adolf Hitler begab sich Bolz ins Ausland. In der Sowjetunion, wo er sich von 1939 bis 1945 aufhielt, arbeitete er im Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) mit, einer 1943 von kommunistischen Emigranten gegründeten Organisation deutscher Kriegsgefangener, die zum Abfall von Hitler aufrief. In der DDR bekleidete Bolz dann hohe Funktionen, so war er Aufbau-Minister (seit 1949), stellvertretender Ministerpräsident und Außenminister (1953-1965).

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Lothar Bolz (* 3. September 1903 in Gleiwitz, Oberschlesien; † 29. Dezember 1986 in Berlin) war der erste Vorsitzende der DDR-Blockpartei NDPD. Am 12. Oktober 1949 wurde Bolz zum Minister für Aufbau der DDR ernannt. Er gehörte ab 1950 dem Präsidium des Nationalrates der Nationalen Front an und war ab demselben Jahr Mitglied der Volkskammer. Von 1950 bis 1967 war er außerdem Stellvertretender Ministerpräsident bzw. Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der DDR. Von Januar 1953 bis Juni 1965 bekleidete er das Amt des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten der DDR. Von 1968 bis 1978 war er Präsident der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft.

Ebenfalls maßgeblich im NKFD betätigte sich Heinrich Homann (1911-1994). Der in Bremerhaven geborene Sohn eines Reederei-Direktors trat am 1. Mai 1933 der NSDAP bei und wurde 1934 Berufssoldat der Reichswehr. In der Wehrmacht brachte es Homann bis zum Major. 1943, während der Schlacht um Stalingrad, geriet er in sowjetische Gefangenschaft. Homann durchlief die Antifa-Schule in Krasnogorsk. Von 1972 bis 1989 war er Parteivorsitzender der NDPD, die neben einer Förderung des Mittelstandes u. a. die Eingliederung der vormaligen Berufsbeamten, eine umfassende Bodenreform und die Enteignung der Konzerne forderte.

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Das NSDAP-Mitglied Heinrich Homann (* 6. März 1911 in Bremerhaven; † 4. Mai 1994 in Berlin) war Berufssoldat der Wehrmacht mit letztem Dienstrang Major. Als Student trat er dem pflichtschlagenden Corps Thuringia Jena (1930) und dem pflichtschlagenden Corps Brunsviga Göttingen bei. Er wurde Abgeordneter der Volkskammer (1949), Präsidiumsmitglied des Nationalrats der Nationalen Front (DDR) (1957) und stellvertretender Vorsitzender des Staatsrates der DDR (1960). Von 1952 bis 1967 war er stellvertretender Vorsitzender der NDPD. 1972 wurde er Vorsitzender der Partei. – Im Bild: Homann 1989. Deutlich sind die zwei Schmisse in seinem unteren Gesichtsbereich zu sehen.

Zur Mitgliedschaft der Partei zählten auch einige Kulturschaffende wie die Schlagersängerin Regina Thoss oder der Dirigent Hermann Abendroth (1883-1956), während der NS-Zeit Leiter der Fachschaft Musikerzieher und Chorleiter der Reichsmusikkammer. Überdies stellte die NDPD einen echten Exoten, und das weniger aufgrund seiner adligen Herkunft: Ferdinand Graf von Thun und Hohenstein (1921-2022), geboren in Tetschen in der Tschechoslowakei, war der einzige DDR-Botschafter, der einer Blockpartei angehörte. Er vertrat die DDR im Iran. Aber auch vormalige Wehrmachtsoffiziere wie Arno von Lenski und Vincenz Müller trugen das NDPD-Parteibuch in der Tasche.

"Wir werden wieder eine Wehrmacht haben"

Sie hatten der – wie es im offiziellen DDR-Sprachgebrauch hieß – „faschistischen deutschen Wehrmacht“ angehört. Das Problem: die SED-Oberen benötigten, auch oder gerade wegen des rasch heraufziehenden Kalten Krieges, eine bewaffnete Streitmacht. Im Dezember 1944 hatte der Kommunist und spätere erste DDR-Präsident Wilhelm Pieck sich für den Fall einer Niederlage des Reiches grundsätzlich gegen eine völlige Entwaffnung Deutschlands ausgesprochen. In einer Rede, gehalten vor Führungsoffizieren der Roten Armee, betonte er, daß ein solcher Schritt „im Interesse des deutschen Volkes“ verhindert werden müsse. Pieck wörtlich: „Wir werden wieder eine Wehrmacht haben – aber eine demokratische – dem Frieden und den Interessen des Volkes dienende.“

Knapp zwölf Jahre später, am 18. Januar 1956, erfolgte per Gesetz die Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA). Kurz zuvor war in Westdeutschland die Bundeswehr geschaffen worden. Bis dato hatte sich die DDR-Führung um Pieck eher abwartend verhalten, wenngleich sie auf militärischem Gebiet nicht untätig gewesen war. So entstanden als NVA-Vorläufer die Deutsche Verwaltung des Innern (DVdI), die Hauptverwaltung Ausbildung (HVA) und aus dieser schließlich Einheiten der Kasernierten Volkspolizei (KVP). Die KVP-Uniform ähnelte im Schnitt noch der Heeresuniform der Sowjetarmee, Grundfarbe war zuerst dunkelblau, später Khaki. Dies sollte sich bald ändern...

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Die Kasernierte Volkspolizei (KVP) war der Vorläufer der Nationalen Volksarmee der DDR. Am 1. Juli 1952 wurden die Bereitschaften (Regimenter) der Hauptverwaltung Ausbildung des Ministeriums des Innern der DDR (MdI) in Divisionen der Landstreitkräfte formiert. Der Hauptstab lag anfangs in Berlin-Adlershof (Rudower Chaussee) und ab Juni 1954 in Strausberg. Nach der Gründung der Bundeswehr wurde die rund 100.000 Mann zählende Kasernierte Volkspolizei 1956 als Nationale Volksarmee zum offiziellen Militär der DDR. – Im Bild: Parade der KVP am 1. Mai 1953 auf dem Marx-Engels-Platz in Berlin.

Die NVA-Kasernen waren nicht nach Kriegshelden der Wehrmacht oder früherer deutscher Armeen benannt. Statt dessen bildete sich eine eigene militärische Tradition heraus, die sich auf die Bauernkriege des 16. Jahrhunderts, die antinapoleonischen Befreiungskriege von 1813 bis 1815, die bürgerliche Revolution von 1848/49, den Kieler Matrosenaufstand des Jahres 1918 oder die kommunistisch bestimmten Internationalen Brigaden des Spanischen Bürgerkrieges (1936-1939) berief.

Der pragmatische Weg

Aber irgendwie mußte der NVA ein Grundgerüst verliehen werden. Und vor allem: Wer sollte es schaffen? Die SED entschied sich für den pragmatischen Weg, indem sie die alten (sich durch militärfachliche Kompetenz auszeichnenden) Eliten in den Aufbau der NVA miteinband. Und das in einem gehörigen Maße, wie der Historiker Daniel Niemetz in seinem Buch Das feldgraue Erbe – Wehrmachtseinflüsse im Militär der SBZ/DDR herausgearbeitet hat. Demnach waren mit Stichtag 1. Januar 1958 im 20.399 Mann starken Bestand der NVA rund 2600 Mannschafts- und etwa 1600 Unteroffiziers-Dienstgrade sowie 400 Offiziere als ehemalige Angehörige der Wehrmacht – das waren um die 23 Prozent – vertreten.

Hohe SED-Funktionäre sprachen sich anerkennend über ihren Einsatz aus, der bei Offizieren vorwiegend im Ministerium, an Schulen und in Kommandostellen erfolgte. Von 82 höheren Kommandoposten in der Armee waren 61 von ehemaligen Wehrmachts-Angehörigen besetzt. Ein Lebensbund sollte die Symbiose indes nicht werden. Ein Beschluß des Politbüros vom 15. Februar 1957 legte fest, daß bis Ende der fünfziger Jahre alle vormaligen Offiziere der Wehrmacht schrittweise aus der NVA entlassen und pensioniert werden sollten. Trotzdem hatten, wie Niemetz schreibt, noch am 1. Januar 1960 von insgesamt 653 NVA-Offizieren im Nomenklaturkader-Bestand 338 einen Wehrmachts-Hintergrund.

Hinsichtlich der Uniformen suchten die DDR-Verantwortlichen bewußt nach einem Erscheinungsbild, das der deutschen Tradition entsprach. Zunächst aber waren die ersten militärischen Einheiten – jene der Hauptverwaltung Ausbildung (HVA) – in Polizeiblau gekleidet. Und mit der 1952 erfolgten Umstrukturierung zur Kasernierten Volkspolizei (KVP) wurden khakifarbene Uniformen eingeführt, die in Schnitt und Farbton recht stark an das sowjetische Vorbild erinnerten. 1956 aber – im Jahr der Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA) – erfolgte die Einführung neuer Uniformen, die sich stark an denen der Wehrmacht orientierten. Zu nennen sind hierbei der ähnliche Schnitt als auch die Farbe, das steingraue Tuch.

In bester Erinnerung ist auch der (abgeflachte) Helm, den Angehörige der Nationalen Volksarmee trugen. Auch hier konnte die Führung auf Vorarbeiten zurückgreifen, die während der NS-Zeit geleistet worden waren. So hatte Adolf Fry mit seinem Mitarbeiter Günther Hänsel von der Chemisch-Technischen Reichsanstalt des Institut für Wehrtechnische Werkstoffkunde Berlin ein Versuchsmuster mit der Bezeichnung „B/II“ entwickelt, das sich 1943 in der Erprobung befand, aber nicht mehr zum Einsatz gelangte.

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Bei dem Stahlhelm Modell 45 (kurz M45), auch als Typ B II bezeichnet, handelt es sich um ein deutsches Versuchsobjekt eines Stahlhelmes, der ab 1943 erprobt wurde. Er bildet die Grundlage für den späteren Stahlhelm M56, welcher der Standard-Stahlhelm der Nationalen Volksarmee der DDR war.

Auf diese Traditionslinie verwies die Neue Berliner Illustrierte (NBI) in einem 1956 erschienenen Beitrag über den NVA-Stahlhelm ganz offen: „Besser geschützt sind die Angehörigen der Nationalen Volksarmee unserer DDR durch den neuen Stahlhelm aus erstklassigem Material mit der überschrägen Form. Er wurde nach dem früheren deutschen Stahlhelm unter Berücksichtigung der neuesten Erfahrungen geschaffen und gewährleistet Beobachtungs- und Bewegungsfreiheit.“

Willy Stoph, von 1955 bis 1960 DDR-Verteidigungsminister, und Walter Ulbricht, Erster stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats, ging es dabei darum, den „Nationalcharakter“ der NVA zu betonen und sich zudem auch rein äußerlich von den „US-Söldnern“ der Bundeswehr abzuheben.

Auf dem Gebiet von Körperkultur und Sport kam es 1945 – zunächst – zu einem gewaltigen Schnitt: Das Kontrollratsgesetz Nr. 2 vom 10. Oktober 1945 – es betraf die Auflösung und Liquidierung  nationalsozialistischer Organisationen – schloß auch ein Verbot des Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen (NSRL) mit ein. Die im NSRL erfaßten Vereine wurden infolge der Kontrollrats-Direktive Nr. 23 vom 17. Dezember 1945 verboten.

Nach sowjetischem Muster?

In den folgenden Jahren entwickelte sich der organisierte Sport auf deutschem Territorium sehr unterschiedlich. Während in den Westzonen die alten bürgerlichen Vereine nach und nach wieder zugelassen wurden, entstanden auf dem von sowjetischen Truppen besetzten Gebiet, der späteren DDR, ab 1948 unter dem Dach des Deutschen Sportausschusses (DS) Betriebs-Sportgemeinschaften. Als Initiatoren traten der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) und die Freie Deutsche Jugend (FDJ) hervor.

Über jene Gemeinschaften heißt es im Bertelsmann-Lexikon der siebziger Jahre: „… die kleinste Einheit der Industriesportvereinigungen der DDR, die nach sowjetischem Muster gebildet worden sind“. Dieser Eintrag läßt auf einen Traditionsbruch schließen, der in der Realität aber in keiner Weise stattfand. Gab es doch auch im Dritten Reich unter dem Dach von Unternehmen viele Sport-Vereinigungen. Beispiel Rostock. Im Archiv der Hanse- und Universitätsstadt finden sich die 1942 bestehenden Sportvereine, darunter die Wettkampf-Gemeinschaft der BSG Heinkel (Flugzeugwerke), die Reichsbahn-SG, die Post-Sportgemeinschaft und die 1939 gegründete BSG der Neptunwerft.

Gefördert wurde der Betriebssport im Dritten Reich unter Federführung der Freizeit-Organisation der Deutschen Arbeitsfront (DAF), „Kraft durch Freude“, die 1936 ein eigenes Sportamt gründete. Dessen Ziel bestand darin, den Sport in die Betriebe zu bringen – mit Erfolg. So stieg die Zahl der Betriebs-Sportgemeinschaften zwischen 1938 und 1940 von 10.000 auf 20.000. In der DDR wurde das System noch einmal gestrafft, indem die Gemeinschaften den verschiedenen Bereichen der Wirtschaft zugeordnet wurden: „Aufbau“ beispielsweise erfuhr Unterstützung durch die Bauindustrie, „Lokomotive“ durch die Reichsbahn; Sporttreibende der „Stahl“-Gemeinschaften erhielten Förderung aus Mitteln der Metallurgiebetriebe.

Sowohl in der DDR als auch im Dritten Reich hatte die Anleitung zum organisierten Sporttreiben auch pragmatische, volkswirtschaftliche Gründe. Denn die medizinischen Behandlungen von Übergewicht und Fettsucht belasten über kurz oder lang das Gesundheitssystem. Zudem ging es um den Erhalt der Arbeitskraft für Betrieb und Nationalwirtschaft.  Nicht zu vergessen ist der Aspekt der Wehrfähigkeit.

"Staatsplanthema 14.25"

Das Sportsystem der DDR ähnelte einem engmaschigen Netz, durch das faktisch so gut wie kein Talent hindurchschlüpfen konnte. Schulsport und die Struktur der Betriebs-Sportgemeinschaften bildeten das Fundament, auf dem die Sportclubs als Leistungszentren der 1952 gebildeten Bezirke sowie die Kinder- und Jugendsport-Schulen (KJS) aufbauen konnten.

Wer sich mit dem DDR-Spitzensport befaßt, kommt an einem Thema nicht vorbei: dem Doping, wobei auch festgestellt werden muß: Leistungsfördernde Substanzen spielten bereits bei sportlichen Veranstaltungen in der Antike eine Rolle, ebenso in Europa, insbesondere im sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts rasch ausbreitenden Radsport. Gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Untersuchung des menschlichen Leistungspotentials (samt Strategien, um dessen Grenzen weiter hinausschieben zu können!) zu einem der maßgeblichen Schwerpunkte der naturwissenschaftlichen Forschung. Einer der Pioniere auf sportmedizinischem Gebiet, der Arzt Herbert Herxheimer, führte zu Beginn der zwanziger Jahre Experimente mit 100-Meter-Läufern durch. Dabei kamen Koffein und Alkohol zum Einsatz, um auf diese Weise mögliche leistungssteigernde Effekte auszuloten.

Das Dopingsystem der DDR nahm 1974 mit dem „Staatsplanthema 14.25“ seinen Anfang. Damit setzte zugleich die systematische Erforschung von „unterstützenden Mitteln/Maßnahmen“ ein, deren Nachweisbarkeit im Körper verhindert oder zumindest erschwert werden sollte. Wurden doch Mitte der siebziger Jahre im Leistungssport weltweit Doping-Kontrollen eingeführt. Die Aufgaben im DDR-Dopingsystem waren dabei klar verteilt. Die Entwicklung der entsprechenden Präparate leitete das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig. Die Zuarbeit leisteten der Volkseigene Betrieb Jenapharm und das Zentralinstitut für Mikrobiologie und experimentelle Therapie (ZIMET).

"Nicht für die Anwendung am Menschen freigegeben"

Der VEB Jenapharm – er stellte unter anderem einen Großteil der eingesetzten Dopingmittel her – brachte 1965 den Wirkstoff Turinabol für die Behandlung von Knochenschwund auf den Markt. Nachdem es am freien Markt auf Rezept erhältlich war, wurde es als Dopingmittel eingesetzt. Jenapharm war 1950 aus dem bakteriologischen Labor des Glaswerkes Schott bzw. aus dem 1944 gegründeten Institut für Mikrobiologie (Schott-Zeiss-Institut) in Jena entstanden. Federführend war hierbei der Arzt und Mikrobiologe Hans Knöll (1913-1978), der bereits 1932 Mitglied von NSDAP und SA gewesen war. Er war bis 1976 Leiter des Zentralinstitutes für Mikrobiologie und experimentelle Therapie der Akademie der Wissenschaften der DDR.

Kritik am Dopingsystem gab es aber auch. Wie aus einem in den achtziger Jahren vom Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit mit dem Decknamen „Klimmer“ abgefaßten Bericht hervorgeht, leitete das FKS an den Sportmedizinischen Dienst (SMD) Substanzen und Arzneifertigwaren aus dem Hause Jenapharm zur Anwendung weiter – obgleich diese als „nicht für die Anwendung am Menschen freigegeben“ deklariert waren. Dabei seien „nicht die grundlegendsten pharmazeutischen, pharmakologischen und toxikologischen Grundregeln eingehalten“ worden. IM „Klinner“ verwies in diesem Zusammenhang auf einen möglichen Schaden für das internationale Ansehen der DDR.

Fast schon automatisch ergibt sich die Frage, ob auch Pharmakologen der DDR von unmittelbar davor im Dritten Reich geleisteten Vorarbeiten profitierten. In einer 2013 erschienenen, vom Deutschen Olympischen Sportbund initiierten Studie der Humboldt-Universität Berlin und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster findet sich auf Seite 9 ein dürrer Hinweis: „Für die Zeit des ,Dritten Reiches‘, insbesondere seit 1938, wurde eine Konjunktur der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Amphetaminen herausgearbeitet.“ Wertvolle Aufschlüsse liefert eine 2015 verfaßte Bachelorarbeit von Mattis Tipke, der für die Zeit nach 1933 eine Verlagerung der Relevanz sportmedizinischer Tätigkeit in Richtung Dienst- und Wehrsport konstatiert.

Vorarbeit durch Berliner Temmler-Werke

Eine Schlüsselstellung sollten dabei die in Berlin ansässigen Temmler-Werke erringen. Sie brachten 1938 ein (bis 1988 hergestelltes) Methamphetamin unter dem Markennamen Pervitin auf den Markt. Infolge seiner molekularen Struktur, die dem körpereigenen Botenstoff Adrenalin ähnelt, kann das Methamphetamin problemlos die Blut-Hirn-Schranke passieren. Die Wirkung entsteht durch Ausschüttung der Botenstoffe Botamin und Noradrenalin, wodurch die Hirnzellen untereinander in erregte Kommunikation geraten. Der Konsument fühlt sich schlagartig hellwach und empfindet eine Energieerhöhung.

Beteiligt war an den entsprechenden Forschungen neben Werner Dobke und Friedrich Keil, die 1937 beim Reichspatentamt ein „Verfahren zur Herstellung von Aminen“ angemeldet hatten, Dr. Fritz Hauschild, der bei Temmler als Chefchemiker arbeitete. Er erkannte im Zuge von Tierversuchen die stimulierende Wirkung des Pervitins. In der Klinischen Wochenschrift vom September 1938 schrieb er: „1-2 Minuten nach Verabreichung der letalen Dosis, z. B. bei der Ratte, werden die Tiere unruhig, laufen aufgeregt hin und her, putzen sich und beschnuppern alles. Diese Erregung wird immer hochgradiger, die Tiere haben dauernd etwas zu tun, sie drehen sich ,tanzend‘ oft stundenlang im Kreis.“

Während der Feldzüge gegen Polen und Frankreich fand Pervitin – ausgereicht in Tablettenform – millionenfache Verwendung. Überhaupt kamen Amphetamine während des Zweiten Weltkrieges auch in den Armeen der USA, Großbritanniens und Japans reichlich zur Anwendung. 1941 fiel Pervitin dann in Deutschland wegen des sich häufenden Mißbrauchs und einer zunehmenden Zahl von Suchtfällen unter das Reichsopiumgesetz, wodurch der Verkehr mit dem Stoff stark reglementiert wurde.

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Eine Dose Pervitin (Aufschrift: L-Phenyl-2-methylamino-propan).

Nach 1945 wurden die in Ost-Berlin gelegenen Produktionsstätten der Temmler-Werke sequestriert und teilweise demontiert. 1949 erfolgte die Enteignung und unter der Bezeichnung „Berlin-Chemie, Werk Johannisthal“ die Weiterführung. Was aber ist aus den Forschungsunterlagen – auch und gerade jenen, die das Pervitin betrafen – geworden? Darüber kann nur spekuliert werden, wobei die während der NS-Zeit herausgegebenen wissenschaftlichen Publikationen zum Thema der stimulierenden und aufputschenden Mittel einem bestimmten Kreis von Forschern ja vorlagen bzw. für sie zugänglich waren.

Chinesische Leistungssteigerung

Gerüchten zufolge kaufte China nach der Wende bzw. kurz danach das Dopingwissen der DDR bzw. des Dritten Reiches. Verwiesen wird dabei auf das Abschneiden chinesischer Athleten bei internationalen Wettkämpfen, insbesondere bei Olympischen Spielen. In der Tat – bei einem Blick auf den Medaillenspiegel der Olympischen Spiele von 1988 in Seoul fällt auf, daß China nicht einmal unter den ersten zehn Nationen auftaucht. Ein anderes Bild bot sich vier Jahre später in Barcelona, als China mit 54 Medaillen plötzlich Platz vier in der Nationenwertung belegte. 2012 in London waren es 92 Medaillen, gleichbedeutend mit Platz zwei hinter den USA.

Gewisse Aufschlüsse liefern Äußerungen der vor sechs Jahren in die BRD geflüchteten vormaligen Sportmedizinerin Xue Yinxian. Gegenüber der ARD äußerte sie: „In den achtziger und neunziger Jahren haben die chinesischen Sportler in den National-Mannschaften großflächig Dopingmittel genommen. Die Medaillen wurden mit Dopingmitteln begossen.“ Zum Einsatz seien – auch bei Kindern – Steroide gekommen. In einem 2017 mit der Süddeutschen Zeitung geführten Gespräch erwähnte Xue den unmittelbaren Anstoß für die Manipulationen: So habe Chen Zhanghao, seinerzeit Chefarzt der Sportkommission, gehört, daß Athleten anderer Länder gewisse Mittel einnahmen. Von April bis Juni 1979 habe er sich in Frankreich aufgehalten und Vorort-Forschungen betrieben. Zurückgekehrt, berichtete er von wahren Wundermitteln, die Sportler langsamer ermüden und schneller regenerieren ließen. Xues Aussagen zufolge setzte daraufhin in China ein quasi flächendeckendes Doping ein; das Mittel der ersten Stunde sei Testosteron gewesen. Auch habe die Forschung an Steroiden und Wachstumshormonen rasch Fahrt aufgenommen.

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Die in den Westen geflüchtete chineische Sportmedizinerin Xue Yinxian 1988 bei der Olympiade in Seoul. Sie setzte sich schon während ihrer Zeit als Mannschaftsärztin zur Wehr, konkret vor den Spielen 1988 in Seoul, als sie von offizieller Seite damit beauftragt worden war, eine Spitzenathletin mit verbotenen Substanzen zu behandeln. „Ich wollte die Turner-Nationalmannschaft zu einem Ort ohne Doping machen. Ich weigerte mich, einem bekannten Sportler Dopingmittel zu spritzen. Danach durfte ich nicht mehr das Team leiten. 1988 war ich noch mit der Turn-Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen in Seoul dabei. Nach dem Wettkampf der Turner wurde ich aber sofort isoliert. Ich durfte keine Sportler mehr behandeln.“

Für Ines Geipel, in der DDR eine Sprinterin, geht die Leistungsstärke chinesischer Sportler auf eine Mischung aus militärischem Drill und Doping zurück. Geipel sprach 2012 in diesem Zusammenhang gegenüber der taz von einer „kongenialen Symbiose“.

Name „Deutsche Reichsbahn“ blieb erhalten

Zu aus der Not heraus geborenen Symbiosen kam es unmittelbar nach dem Krieg auf deutschem Boden, als der Tausch- bzw. Schwarzhandel blühte. Zudem mußte das öffentliche Leben am Laufen gehalten werden, wozu auch und gerade der Bereich Transportwesen gehörte. In der sowjetisch besetzten Zone wurde die Deutsche Reichsbahn (DR) im August 1945 mit dem SMAD-Befehl Nr. 8 beauftragt, den geregelten schienengebundenen Güter- und Personenverkehr wiederaufzunehmen. Mit Zustimmung der Westalliierten betrieb die DR auch die gesamten Anlagen in den drei Westsektoren Berlins einschließlich der S-Bahn.

Die Grundlage für die Reichsbahn als staatlich betriebenes Unternehmen war in der Weimarer Republik gelegt worden. Infolge der Weimarer Verfassung von 1919 hatte das Reich die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens erhalten. Durch Verordnung vom 12. Februar 1924 entstand das selbständige „Unternehmen Deutsche Reichsbahn“. Im Zuge der nach dem Ersten Weltkrieg von Deutschland zu zahlenden Reparationsleistungen befand sich die Reichsbahn von 1924 bis 1930 unter ausländischem Einfluß. Durch das Gesetz vom 10. Februar 1937 wurde die „Deutsche Reichsbahngesellschaft“ unter Änderung ihrer Bezeichnung in „D.R.“ wieder unmittelbar der Aufsicht des Reiches unterstellt.

Aber warum hat die DDR den Namen „Deutsche Reichsbahn“ beibehalten? Er mußte aus formaljuristischen Gründen erhalten bleiben. Hatten die Westalliierten doch nur der DR die Erlaubnis erteilt, den Eisenbahnbetrieb auch in West-Berlin durchzuführen. Zudem gab es für das Festhalten am Namen noch einen wirtschaftlichen Grund: Eine Namensumbenennung hätte hohe Kosten – Änderung bestehender Verträge, neue Schilder und Drucksachen usw. – nach sich gezogen.

Mit dem Einigungsvertrag vom 31. August 1990 zwischen der BRD und der DDR ging die Deutsche Reichsbahn als Sondervermögen in das Eigentum des Bundes über. Sie bestand noch bis zum 31. Dezember 1993, ehe sie mit der Deutschen Bundesbahn (DB) zur Deutschen Bahn AG vereinigt wurde.

"Eliteschulen des Sports"

Gleichfalls von der Bildfläche verschwand die NDPD, die sich während der Wendeereignisse von 1989/90 dem „Bund Freier Demokraten“ anschloß, mit dem sie am 12. August 1990 in der FDP aufging. Die Auflösung der NVA erfolgte am 2. Oktober 1990. Zuvor, am 27. April 1990, hatte der „Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR“, der Pfarrer Rainer Eppelmann, während eines Treffens mit dem damaligen Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg vereinbart, daß ein vereintes Deutschland der NATO angehören solle. Mit Stoltenbergs Motto „Ein Staat – eine Armee!“ war das Ende der NVA, die zuletzt 155.319 aktive Soldaten zählte, quasi besiegelt. Ihr offizielles Ende fand sie am 23. Oktober 1990, als die DDR-Volkskammer den Beitritt zur BRD nach Artikel 23 Grundgesetz zum 3. Oktober 1990 beschloß.

Die Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) erfuhren eine Neubelebung. Sie heißen nunmehr „Eliteschulen des Sports“. Damit ist ein bundesweites Qualitätskriterium verbunden, das seit 1998 durch den Initiativkreis „Sport und Wirtschaft“ an Verbundsysteme mit besonders leistungssportfördernden Strukturen im Vierjahres-Rhythmus vergeben wird. Die derzeit 43 Schulen dieser Art stechen durch eine Förderung des Leistungssports in Verbindung mit Schule und Wohnen hervor.

Erhalten blieb auch eine in weiten Teilen widerständige, kritische Bevölkerung, die im großen und ganzen im Gegensatz zu vielen westdeutschen Landsleuten ihr nationales Herz bewahrt hat. Viele sehen eine Benachteiligung der neuen Bundesländer, die nach 1989 einen wirtschaftlichen Kahlschlag samt hoher Abwanderung hinnehmen mußte. Die Erfolge der AfD in Mitteldeutschland sind auch damit zu erklären.

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