Ein Leben auf dem Pulverfaß

Die USA modernisieren ihr Atomwaffenarsenal in Deutschland

Seit Monaten spekulieren westliche Medien und Politiker öffentlich über einen bevorstehenden russischen Atomwaffeneinsatz, sei es in der Ukraine, sei es gegen westliche Städte oder Militäreinrichtungen. Aber in Wahrheit die USA behalten sich seit Jahrzehnten die Möglichkeit des atomaren Erstschlages vor. Kremlchef Putin brachte in den letzten Monaten lediglich die Möglichkeit ins Gespräch, "alle uns zur Verfügung stehenden Waffensysteme" einzusetzen, falls "die territoriale Integrität unseres Landes bedroht wird."

Tatsache ist, daß in Rußland offiziell eine "No First Use"-Doktrin gilt, was den Atomwaffeneinsatz angeht. US-Präsident Biden ist erst in diesem Jahr von einer solchen "No First Use"-Politik ausdrücklich abgerückt. Es überrascht nicht, daß in anglo-amerikanischen Medien und Denkfabriken ein atomarer Erstschlag gegen Rußland seit langem in geradezu penetranter Offenheit diskutiert wird.

Am Ersteinsatz von Atomwaffen hält Washington schon seit den neunziger Jahren fest. Daran hat sich nichts geändert. Seit dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 sind die USA bis heute das einzige Land geblieben, das Atomwaffen in einem Krieg eingesetzt hat. Nach ihren eigenen Bekundungen wären sie jederzeit bereit, es wieder zu tun.

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Die verbrannte Stadt. Die Nachwirkungen des Atombombenabwurfs auf Hiroshima.

Opfer der US-amerikanischen Nukleardoktrin wären im Ernstfall vor allem die eigenen Verbündeten, während das Kernterritorium der USA zumindest vom Einsatz taktischer Atomwaffen verschont bliebe. Besonders für Deutschland, das mit rund 120 US-amerikanischen Militäreinrichtungen logistische Drehscheibe der US-Streitkräfte für den ganzen europäischen und afro-asiatischen Raum ist, bedeutet das eine immense Gefahr. Zudem lagern seit dem Ende des Kalten Krieges weiterhin US-amerikanische Nuklearsprengköpfe als taktische Atomwaffen auf deutschem Boden.

Die deutschen Verbündeten, denen eine begrenzte "nukleare Teilhabe" zugestanden wird, werden seit Jahrzehnten darüber im unklaren gelassen, wie viele es sind und wo sie genau gelagert werden – die Rede ist von den US-Standorten Büchel, Ramstein und Memmingen. Schon mit Blick auf den Zivilschutz ist diese Geheimniskrämerei unverantwortlich und inakzeptabel.

Für die US-Vasallen in der Bundesregierung ist das alles kein Thema. Am 25. Oktober 2021 wurde das Bundesverteidigungsministerium im Rahmen einer Pressekonferenz auf die in Deutschland lagernden US-Atomwaffen angesprochen, die im Ernstfall "automatisch ein Ziel der Gegenseite bedeuten und damit Deutschland auslöschen" würden. Die lapidare Antwort der Sprecherin des Verteidigungsministeriums, Fregattenkapitän Christina Routsi: "Sie wissen, daß wir uns zum Thema Nuklearpolitik nicht weiter einlassen. Das hat Geheimhaltungsgründe. Das ist hier eine gute Tradition, mit der ich nicht brechen werde."

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Die Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums, Fregattenkapitän Christina Routs, hält "gute Traditionen" hoch

Seit den sechziger Jahren lebt Deutschland dank der US-amerikanischen Atomwaffen auf einem nuklearen Pulverfaß. Der Münchner Historiker Detlef Bald, bis 1996 Wissenschaftlicher Direktor am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in München, deckte anhand jahrzehntelang unter Verschluß gehaltener Pentagon-Dokumente US-Pläne auf, deren Umsetzung die Bundesrepublik im Kriegsfall zur verstrahlten Wüste gemacht hätte:

"In etwa zehn Depots entlang der innerdeutschen Grenze befanden sich etwa 700 Sprengsätze. Später wurden diese in Lager in den Regionen um Stuttgart und Frankfurt verteilt", schreibt Bald. "Sie waren für den nuklearen Ersteinsatz geplant."

Heute lagern die US-Atomwaffen in Deutschland – vermutlich, denn Genaues wissen deutsche Stellen nicht – am US-Standort Büchel in der Eifel. Es soll sich um Atomwaffen des Typs B-61 handeln. Schon seit Jahren ist eine Modernisierung des Arsenals geplant. Dabei geht es um die Stationierung moderner B61-12-Wasserstoffbomben mit einer Sprengkraft von 0,3 bis 50 Kilotonnen, die mit ihrer vergleichsweise geringen Sprengkraft auch taktisch eingesetzt werden können. Zum Vergleich: die Hiroshima-Bombe hatte eine Sprengkraft von 13 Kilotonnen.

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Büchel Air Force Base.

Die neuen Atomwaffen können entweder als herkömmliche Freifallbombe oder als präzisionsgeleitete Bombe von Kampfflugzeugen abgeworfen werden. Im November 2021 teilte die National Nuclear Security Administration (NNSA), angesiedelt im US-Energieministerium, mit, die erste Produktionseinheit entwickelt zu haben. Die volle Produktion begann im Mai 2022, sie soll 2026 abgeschlossen sein.

Die neuen Bomben sollten ursprünglich eigentlich erst im kommenden Frühjahr stationiert werden. Doch im Oktober machten Berichte die Runde, wonach die neuen Bomben bereits im Dezember 2022 nach Europa verlegt werden sollen. Laut dem US-Politmagazin "Politico" hätten US-Beamte dies den NATO-Verbündeten während einer Sitzung hinter verschlossenen Türen in Brüssel mitgeteilt.

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The B61-12 tactical nuclear bomb under the wing of a US bomber.

Die Aufrüstung des B-61-Programms wird seit Jahren in US-Haushaltsdokumenten und öffentlichen Erklärungen offen diskutiert. Pentagon-Beamte erklären, die Aufrüstung sei notwendig, "um die Modernisierung und Sicherheit des Arsenals zu gewährleisten". Laut Pentagon-Sprecher Brigadegeneral Patrick Ryder stehe die Maßnahme aber "in keinem Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen in der Ukraine und wurde in keiner Weise beschleunigt".

Dennoch zeigen sich einige Beobachter vom vorverlegten Ankunftsdatum der neuen Atombomben auf den europäischen Stützpunkten überrascht. Sie befürchten, daß es "die ohnehin schon gefährliche Situation in Europa weiter anheizen könnte", schreibt "Politico".

Für Deutschland ändert sich durch die neue Generation US-amerikanischer Atomwaffen nichts. Die Bundesrepublik, die faktisch ein Besatzungsprotektorat der USA ist, bleibt auch weiterhin nukleare Geisel des westlichen Hegemons. Ihre Politiker nehmen das achselzuckend hin. – Wie seit Jahrzehnten.

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