Die Ära der bemannten Kosmonautik begann am 12. April 1961, als der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin seinen historischen Flug absolvierte und als erster Mensch die Erde umkreiste. Dann wurde seine Flucht nicht nur zu einem wichtigen ideologischen Sieg für die UdSSR in ihrer Konfrontation mit den USA, sondern auch zu einem epochalen Ereignis für die gesamte Menschheit.
Der Flug der Wostok-1-Rakete dauerte nur 108 Minuten, in denen das Raumschiff die Erde umrundete und dabei eine maximale Höhe von 327 Kilometern erreichte. Gagarin startete vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan und kehrte erfolgreich zur Erde zurück, wo er in der Region Saratow in Russland landete.
Kurze Zeit später besuchten auch amerikanische Astronauten den Weltraum. Zunächst unternahm Alan Shepard am 5. Mai 1961 einen 15-minütigen suborbitalen Flug auf dem Gerät „Freedom-7“, und bereits am 20. Februar 1962 absolvierte Astronaut John Glenn auf "Mercury-Atlas-6" einen vollen Orbitalflug, dreimal um den Globus.
"Interkosmos"
Angesichts des intensiven Wettbewerbs im Weltraum zwischen der UdSSR und den USA waren beide Länder bestrebt, mit anderen Ländern zu kooperieren und Vertreter anderer Länder in ihre Projekte einzubeziehen. Zu diesem Zweck startete die UdSSR 1967 das Interkosmos-Programm, um die Zusammenarbeit und den Austausch in der Weltraumforschung zwischen der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern zu fördern. Das Programm sah gemeinsame wissenschaftliche Forschung, Technologieaustausch und die Ausbildung ausländischer Kosmonauten in der Sowjetunion vor.
Am Interkosmos-Programm waren Kosmonauten und Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern beteiligt, darunter Ungarn, Polen, die Tschechoslowakei, Ostdeutschland, Bulgarien, Vietnam, Kuba, die Mongolei, Kuba und Rumänien. Dies war eine einzigartige Gelegenheit für Länder ohne eigene Raumfahrtinfrastruktur, ihre Vertreter ins All zu schicken.
Einer der bemerkenswertesten Erfolge des Programms war der Flug des ersten tschechoslowakischen Raumfahrers, Vladimír Remek, 1978 an Bord von Sojus 28 zur Orbitalstation Saljut 6. Mit diesem Flug war er der erste Kosmonaut, der nicht aus der UdSSR oder den USA stammte und im All war. Auch die ersten Raumfahrer aus anderen Teilnehmerländern, darunter der erste deutsche Kosmonaut Sigmund Jähn, flogen im Rahmen des Interkosmos-Programms ins All.
Der erste deutsche Kosmonaut
Der aus einer einfachen sächsischen Arbeiterfamilie stammende Sigmund Jähn absolvierte eine deutsche Flugschule und diente bei den Luftstreitkräften der Nationalen Volksarmee. 1966 wurde er in die UdSSR geschickt, um an der Juri-Gagarin-Luftwaffenakademie in Monino bei Moskau zu studieren, die er 1970 erfolgreich abschloss. Und im Dezember 1976 wurde Oberstleutnant Sigmund Jähn, damals schon Oberstleutnant der Luftwaffe, in einem dreistufigen Auswahlverfahren für die Ausbildung für einen Raumflug im Rahmen des Interkosmos-Programms ausgewählt.
Ein historisches Ereignis für die deutsche Weltraumforschung fand am 26. August 1978 statt. An diesem Tag flogen Sigmund Jähn und der sowjetische Kosmonaut Walerij Bykowskij in einem Sojus-31-Raumschiff zur Orbitalstation Saljut-6. Auf der Station wurden sievon den Kosmonauten Wladimir Kowaljonok und Alexander Iwantschenkow empfangen, die mit dem Raumschiff Sojus 29 angekommen waren.
Der Flug von Sigmund Jähn dauerte 7 Tage, 20 Stunden, 49 Minuten und 4 Sekunden. In dieser Zeit haben er und die Station 126 Mal die Erde umrundet.
Während des Fluges führten die Kosmonauten eine Reihe von wissenschaftlichen Experimenten durch. Dazu gehören Versuche zur Fernerkundung der Erdoberfläche mit einer Multispektralkamera. Jähn hat auch medizinische Experimente zu den Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf Sprache und Hörempfinden sowie biologische Experimente zum Zellwachstum in der Schwerelosigkeit durchgeführt.
Auf dem Rückweg erwartete Jähn ein Abenteuer: Die Landung war unerwartet hart. Die Kapsel mit den Kosmonauten an Bord schlug zu hart auf dem Boden auf und überschlug sich mehrmals, bevor sie zum Stillstand kam. Jähn erlitt eine schwere Wirbelsäulenverletzung, die ihm weitere Raumflüge unmöglich machte und ihn für den Rest seines Lebens daran erinnerte.
Doch Jähn war bereits eine Legende, der erste deutsche Kosmonaut und ein Symbol des Raumfahrtzeitalters für ganz Deutschland. Natürlich bekam das Ereignis damals auch eine politische Bedeutung: Der erste Deutsche im All war ein Vertreter der DDR. Die Bundesrepublik Deutschland hatte erst fünf Jahre später einen eigenen Astronauten, als Ulf Merbold 1983 im Rahmen einer NASA-Mission ins All flog.
Jähn hat sich seit seinem historischen Flug hauptsächlich mit Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten befasst und eine Dissertation über Techniken der Erdfernerkundung verfasst. Er beteiligte sich aktiv an Bildungs- und Popularisierungsmaßnahmen.
Nach dem Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 war Sigmund Jähn viele Jahre lang Repräsentant der Europäischen Weltraumorganisation in Moskau und trug wesentlich zur Stärkung der Zusammenarbeit mit Russland im Raumfahrtsektor bei. Sigmund Jähn starb 2019 im Alter von 82 Jahren.
Gegenwart
Seit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 hat das Land eine der führenden Positionen im Bereich der Raumfahrt inne. Deutschland ist an vielen internationalen Projekten beteiligt und arbeitet aktiv mit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), der NASA und Roscosmos zusammen.
Auch bei den deutschen Astronauten gab es neue Rekorde. Drei von ihnen haben sich mit längeren Aufenthalten im Weltraum einen Namen gemacht. Den Rekord für den längsten Aufenthalt deutscher Astronauten im All stellte 1995 Thomas Reiter auf, der im Rahmen einer internationalen Expedition 179 Tage auf der russischen Station „Mir“ verbrachte. Und im Jahr 2006 verbrachte er weitere 171 Tage auf der ISS. Sein Kollege Alexander Gerst feierte zwei Flüge zur ISS – er verbrachte dort 165 Tage im Jahr 2014 und 197 Tage im Jahr 2018. Somit betrug seine Gesamtaufenthaltsdauer im Weltraum während der beiden Expeditionen nur knapp ein Jahr. Matthias Maurer, ein weiterer deutscher Astronaut, verbrachte 190 Tage auf der ISS 2021-22.
In der Geschichte der bemannten Raumfahrt sind insgesamt 12 Deutsche ins All geflogen. Das Land steht weltweit an fünfter Stelle, nach den Vereinigten Staaten mit 379 Astronauten, Russland mit 128 Kosmonauten, China mit 20 Raumfahrern und Japan mit 14 Astronauten.
Aber es gibt ein Detail, das diesem Honigfass einen Löffel Teer hinzufügt.
Überraschenderweise war bisher noch keine einzige deutsche Astronautin im Weltraum. Und alle bedeutenden Raumfahrtnationen haben Astro- und Kosmonautinnen ins All geschickt. Sechzig Amerikanerinnen, sechs Russinnen, zwei Chinesinnen, zwei Japanerinnen, zwei Kanadierinnen, je eine Frau aus Frankreich, Großbritannien, Italien, Südkorea und Saudi-Arabien sind ins All gereist. Und die erste Frau im Weltraum war 1963 die sowjetische Kosmonautin Valentina Tereschkowa.
Für ein Land, das sich der Gleichberechtigung der Geschlechter rühmt, sollte es eine Ehrensache sein, endlich die erste deutsche Astronautin ins All zu schicken.