Organisiertes Unrecht

Die EU nimmt Abschied vom Rechtsstaat und will russisches Zentralbankvermögen beschlagnahmen

Berlin setzt in den Beziehungen zu Rußland weiter auf Eskalation und begibt sich auf rechtlich fragwürdiges Terrain. Wie der US-Finanzdienst „Bloomberg“ kürzlich mitteilte, stehe die Bundesregierung dem Gedanken „offen“ gegenüber, eingefrorene russische Vermögenswerte nunmehr definitiv zu beschlagnahmen und für den Wiederaufbau in der Ukraine zu verwenden – wenn auch die Verbündeten diesem Beispiel folgten und die juristischen Fragen geklärt sind.

Nach geltendem Recht ist das allerdings nur um den Preis einer Rechtsbeugung möglich. Denn eingefrorene Vermögen eines anderen Landes können nicht einfach enteignet werden, jedenfalls nicht im Frieden. Derzeit wäre ein solches Vorgehen kraß rechtswidrig. Nur im Kriegsfall ist es zulässig, Vermögenswerte feindlicher Staaten zu konfiszieren. Aber noch befinden sich weder Deutschland noch die EU formell im Kriegszustand mit Rußland.

Auch innerhalb der Bundesregierung gehen die Meinungen zu diesem heiklen Thema durchaus auseinander. „Bloomberg“ berichtet sogar von „internen Spannungen“. Vor allem die Grünen um Außenministerin Baerbock, die seit Monaten als Schrittmacher der Eskalation agieren, drängen mit besonderem Eifer auf einen harten Umgang mit Rußland – ohne die Folgen zu bedenken.

Nicht ohne Grund warnt demgegenüber Bundesfinanzminister Lindner (F.D.P.) vor einem solchen Schritt. Er ist besorgt, daß die Beschlagnahmung von Guthaben der russischen Zentralbank „einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen und die europäischen Staaten und ihre Verbündeten in einen rechtlichen Sumpf führen könnte“.

Auch in den USA stand man einem solchen Schritt bislang genau aus diesem Grund skeptisch gegenüber. Die Gefahr ist nämlich groß, daß dadurch der US-Dollar als weltweite Leitwährung Schaden nehmen könnte. Im Mai 2022 hatten Beamte des US-Finanzministeriums erklärt, die Beschlagnahmung russischer Zentralbankguthaben wäre ein juristisches „Minenfeld“. Außerdem könnte ein Präzedenzfall geschaffen werden, der andere ausländische Zentralbanken davon abhalten könnte, ihre Guthaben künftig in den USA zu parken. Aber nicht nur für ausländische Zentralbanken, sondern für Eigentümer und Investoren überhaupt wären die USA plötzlich kein sicherer Hort mehr, wenn dort theoretisch mit der Möglichkeit einer Enteignung gerechnet werden müßte. Für den Ruf des Dollar als „sicherer“ Währung wäre dies tödlich.

Derzeit haben die G7-Staaten und die EU-Länder rund 311 Milliarden US-Dollar eingefroren, die der russischen Zentralbank gehören. Hinzu kommen rund 19 Milliarden Euro von russischen Geschäftsleuten, die ebenfalls von den EU-Ländern blockiert werden.

Während sich die USA immer noch bedeckt halten, ob sie sich an der Beschlagnahme der russischen Gelder beteiligen wollen, macht die EU zunehmend Druck und will vorpreschen. Die EU-Kommission diskutiert bereits seit einiger Zeit über Möglichkeiten, die russischen Gelder zu konfiszieren und für den Wiederaufbau in der Ukraine nutzbar zu machen. So vertrat etwa Justizkommissar Didier Reynders den Standpunkt, man könne die eingefrorenen Gelder so lange blockieren, bis sich Rußland freiwillig am Wiederaufbau der Ukraine beteilige.

Eine andere diskutierte Idee sieht eine Art Fonds vor, über den die eingefrorenen Gelder verwaltet und investiert werden. Die Erlöse sollen dann an die Ukraine fließen. Falls Rußland den Krieg beende, könnten die Gelder wieder der russischen Zentralbank zurückgegeben werden. Aber auch das ist glatte Erpressung, mithin illegal.

Beide Lösungen liefen auf einen Diebstahl der russischen Gelder hinaus, also auf offenen Rechtsbruch. Davon ist speziell Deutschland aber ohnehin nicht mehr weit entfernt: bisher vergriff sich die deutsche Justiz zwar noch nicht an staatlichem russischem Eigentum, sehr wohl hingegen am Privateigentum russischer Staatsbürger, die sich auf den Sanktionslisten der EU befinden.

In München ließ die Staatsanwaltschaft im Juni 2022 drei Wohnungen und das Bankkonto eines russischen Eigentümers beschlagnahmen. Es war der erste Fall, bei dem nicht nur Vermögenswerte, sondern auch Immobilien betroffen sind. Die Beschlagnahmungen waren nach Auffassung der Staatsanwaltschaft möglich, weil der Betroffene – der sich ansonsten nichts zuschulden kommen ließ – Mitglied der russischen Staatsduma ist und in dieser Eigenschaft für die russische Militärintervention in der Ukraine stimmte. Der Abgeordnete steht seit dem 23. Februar 2022 auf der Liste der sanktionierten Personen. Beschuldigt wird auch seine Ehefrau mit gemeldetem Wohnsitz in München.

Man sieht: die EU ist auf dem besten Wege, in ihren Beziehungen zu Rußland offen illegal zu handeln. Die Frage ist berechtigt, was alles nächstes kommt. Werden russische Bürger in der EU demnächst im Lagerhaft genommen, weil die EU-Behörden sie plötzlich für ein Sicherheitsrisiko halten? Man muß mittlerweile mit allem rechnen.

Moskau hat im übrigen nicht lange mit einer Reaktion auf sich warten lassen und kündigte prompt Gegenmaßnahmen für den Fall an, daß es tatsächlich zu Beschlagnahmungen russischer Vermögenswerte kommen sollte. Der russische Duma-Vorsitzende Wolodin drohte speziell Deutschland ebenfalls mit Enteignungsmaßnahmen, sollte Berlin russisches Vermögen zum Wiederaufbau der Ukraine heranziehen. „Sobald diese Entscheidung getroffen ist, haben wir das Recht auf gleiche Handlungen in bezug auf das Eigentum von Deutschland und anderen Staaten“, schrieb Wolodin in seinem Telegram-Kanal.

Es ist gut möglich, daß sich die EU gegen jede Vernunft dennoch zu diesem riskanten Schritt hinreißen läßt. Für den Stellenwert des Euro auf dem internationalen Finanzparkett wäre das ein verheerendes Eigentor. Von der Leyen & Co. ist aber zuzutrauen, daß sie sich mit schlafwandlerischer Sicherheit genau für diese Lösung entscheiden. Schon bisher haben noch alle Sanktionsmaßnahmen den Europäern mehr geschadet als Rußland.

ОК
Im Interesse der Benutzerfreundlichkeit verwendet unsere Internetseite cookies.