Konservativ! Das war noch vor einigen Jahren für viele Menschen ein Reiz-, für so manchen gar ein Schimpfwort.
In seiner 1884 in Göttingen erschienenen Schrift Programm für die konservative Partei Preußens bemerkt der Kulturphilosoph und Orientalist Paul de Lagarde (1827-1891) mit akzentuiert-ironischem Unterton: „Schwerlich wird jemand bestreiten, daß in Deutschland das Wort konservativ mit Mißtrauen gehört wird. Erhalten aber, so sollte man denken, müßten in einem nicht offen unglücklichen Gemeinwesen viele vieles wollen, und darum sollte es eigentlich wohl viele geben, welche konservativ wären. Ein Volk, dessen meiste Männer nicht konservativ empfänden, würde dadurch aussagen, daß es ihm eigene Güter nicht besitzt, oder zeigen, daß es sie als Güter nicht erkennt. Oder aber das an sich gute Wort konservativ wäre durch Mißbrauch in Unehre geraten.“
Übersetzt in unsere heutige Zeit könnten wir fragen: Sind wir nicht alle ein bißchen konservativ? Nehmen wir nur den Angehörigen der Mittelschicht. Er möchte seinen hart erarbeiteten Status bewahren (was ihm angesichts der momentanen Politik allerdings eher schwerlich gelingen dürfte). Ein x-beliebiger Germanistik-Professor oder der die Reichhaltigkeit deutscher Kultur bewundernde Hamburger Rocksänger Achim Reichel schütteln den Kopf, weil sehr viele Deutsche sich jenes Reichtums gar nicht mehr bewußt sind.
Reichel reagierte, indem er in seinen Liedern mythologische Stoffe verarbeitet oder sich auf die großen deutschen Dichter bezieht. Oder nehmen wir den Umweltschützer: Er wendet sich gegen die weitere Versiegelung der Landschaft durch Autobahnen und Wohnsiedlungen – auch er möchte etwas bewahren, und zwar soviel Grün wie irgend möglich. Und folgendes ist auch klar: die Ampel-Regierung, aber auch alle anderen am Regierungsruder in den Bundesländern befindlichen Parteien wollen etwas konservieren: ihre Macht samt satten Gehältern, was auf die Intendanten und die ihnen gegenüber weisungsgebundenen Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen, mit Zwangsgebühren finanzierten Rundfunks ebenso zutrifft.
Der Sänger und Komponist Achim Reichel (* 28. Januar 1944 in Wentorf bei Hamburg) erlangte frühe Bekanntheit in den sechziger Jahren als Gründungsmitglied und Sänger der Beat-Gruppen „The Rattles“ und „Wonderland“. Seit dem Album „Dat Shanty Alb'm“ singt Reichel seine Lieder größtenteils auf Deutsch.
2017 als Verein entstanden
Mittlerweile gibt es in der Bundesrepublik sogar wieder eine konservative Partei, die sich – so viel Kreativität muß sein – in ihrem Gründungsprogramm als „freiheitlich-konservative Partei“ bezeichnet und für sich beansprucht, „ideelle und programmatische Nachfolgerin der klassischen Unionsparteien zu sein“. Die WerteUnion (WU), so der offizielle Name, entstand 2017 als eingetragener politischer und von CDU-/CSU-Mitgliedern gegründeter Verein. Das Ziel bestand zunächst darin, „innerhalb der Unionsparteien darauf hinzuwirken, daß der Linkskurs der damaligen Parteivorsitzenden (Angela Merkel – d. Verf.) gestoppt und korrigiert wird“.
Der Verein wandte sich in erster Linie gegen die unkontrollierte Masseneinwanderung, den Ausstieg aus der Kernenergie und die wachsende Belastung der Arbeitnehmer und des Mittelstandes durch Bürokratie und staatliche Abgaben. Aus Sicht der WU würden CDU und CSU mehr und mehr Positionen vertreten, „die von einem freiheitlichen und christlichen Menschenbild abweichen. Sie neigen zunehmend Positionen und Konzepten zu, die sie mehr und mehr zu Varianten und nicht zu Alternativen sozialistischer Parteien machen“. Insofern sei eine „notwendige Politikwende“ mit ihnen nicht möglich.
Diese hätten früher für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die „Wahrung der Interessen des deutschen Volkes“, soziale Marktwirtschaft sowie Meinungsfreiheit, Medienpluralismus sowie freie Wissenschaft und Bildung gestanden. (Hinzuzufügen bliebe dabei, daß die Bundesrepublik noch immer ein besetztes Land ist, in dem historische Probleme – so zu den Ursachen und den Hintergrundmächten der beiden Weltkriege und auch andere, eher delikate Komplexe... – wenig bis gar nicht behandelt werden [dürfen]. Zudem ist die BRD bloßer Wurmfortsatz und Erfüllungsgehilfe der USA sowie größter Finanzier der EU. Und das war sie auch unter den seinerzeit angeblich noch „konservativen“ Parteien CDU und CSU.
Gesagt, getan: Auf der Bundesversammlung der WerteUnion e. V., abgehalten am 20. Januar 2024 in Erfurt, stimmten 95 Prozent der anwesenden Mitglieder dafür, „sich als Partei von CDU und CSU zu trennen“. Diese Absicht bestand ursprünglich nicht, wie Prof. Dr. Werner J. Patzelt, von 1991 bis 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden, in einem Beitrag für die Preußische Allgemeine vom 21. Februar bemerkt: „Seit ihrer Gründung im Jahr 2017 war es der einzige Wunsch der WerteUnion, als Teil der Unionsfamilie die CDU wieder zur Vertretung jener inhaltlichen Positionen zu veranlassen, die dieser Partei zwischen 1953 und 1994, sowie dann noch einmal 2013, Stimmenanteile von 40 und mehr Prozent eingebracht hatten. (…) Doch die CDU wollte diesen Beitrag zu einer Neuausrichtung nicht, obwohl entlang dem politischen Kurs der Vorsitzenden Merkel die Stimmenanteile von noch 35,2 Prozent im Jahr 2005 auf bloß mehr 24,1 Prozent im Jahr 2021 abgesunken waren.“
Der promovierte Jurist Hans-Georg Maaßen (* 24. November 1962 in Mönchengladbach-Rheindahlen) stand vom 1. August 2012 bis September 2018 dem „Bundesamt für ‚Verfassungsschutz‘“ vor. Maaßen wurde als mißliebig aus dem Amt entlassen, nachdem er eine von zahlreichen Medien im Zusammenhang mit dem Messermord in Chemnitz vom 26. August 2018 in den Raum gestellte, gegen Fremdländer gerichtete angebliche „Hetzjagd“ als Falschmeldung offenbart hatte.
Dem überbezahlten Blackrock-Lobbyisten Friedrich Merz, seit dem 31. Januar 2022 CDU-Bundesvorsitzender, fehle es „im schlimmsten Fall“ weiter „an Einsicht in den Wert einer (…) Re-Pluralisierung der CDU, dank welcher neben den ökologischen, sozialen und liberalen Wurzeln der Partei auch deren konservative Wurzel neu austreiben könnte. Jedenfalls gaben CDUler die WerteUnion als ,AfD in der CDU‘ aus, nannten sie beifallsheischend ein ,Krebsgeschwür‘ und überzogen ihren Vorsitzenden Maaßen mit einem Parteiausschlußverfahren.“
Der straffe Transatlantiker Friedrich Merz (* 11. November 1955 in Brilon) ist Vorsitzender der CDU. Er gehört diversen Netzwerken von Einflußagenten der Vereinigten Staaten von Amerika in der BRD an, hervorgehoben der Atlantik-Brücke. Im Frühjahr 2016 berief man ihn zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Vermögensverwaltungsfirma BlackRock Deutschland. Merz ist zudem Mitglied der Rockefellerschen Trilateralen Kommission und der Deutsch-Amerikanischen Juristenvereinigung.
AfD und WerteUnion: „Gründungsanlaß“ Merkel
Die vormalige Bundeskanzlerin Merkel bezeichnet Patzelt als „Gründungsanlaß von gleich zwei der Union abträglichen Parteien. Der AfD bahnte sie den Weg mit ihrer Eurozonen- und Migrationspolitik, und die demonstrative Geringschätzung von Konservativen zeugte gleichsam die WerteUnion.“
Ein Grenzgänger zwischen CDU, WerteUnion, PEGIDA und AfD: der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Werner Josef Patzelt (* 23. Mai 1953 in Passau). Von 1991 bis 2019 war er Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich an der Technischen Universität Dresden. Derzeit ist er Forschungsdirektor des Mathias Corvinus Collegium in Brüssel, einer von der ungarischen Regierung unter Viktor Orbán finanzierten Bildungseinrichtung und Denkfabrik mit Sitz in Budapest, die dem rechtskonservativen politischen Spektrum zugerechnet wird.
Bereits deren Gründungsphase war von weithin hörbarem Kanonendonner begleitet. Wie die Welt im Februar berichtete, zweifeln Mitglieder der Vereinigung an, ob es bei der Umwandlung des Vereins in eine Partei überhaupt mit rechten Dingen zugegangen sei. Laut dem Bericht hätten zumindest zwei Personen beim Amtsgericht Mannheim Einspruch erhoben. Einer der Beschwerdeführer wurde im Gespräch mit der Welt äußerst konkret: So sei bei einer in Erfurt durchgeführten Mitgliederversammlung „nur ein nicht repräsentativer Teil der Vereinsmitglieder vor Ort“ gewesen. Zudem gebe es bis heute kein Protokoll über die Abläufe.
Damit nicht genug: Schon am 20. Februar, drei Tage nach der Gründung, erklärten der Unternehmensberater Markus Krall und der Ökonom Max Otte per X (vormals Twitter) ihren sofortigen Austritt. Otte hegt arge Zweifel, ob „die Partei geeignet ist, die Politikwende in Deutschland mitzugestalten“. Verlautbarungen aus dem Lager der WerteUnion würden statt dessen „erhebliche politische Fehleinschätzungen und Selbstüberschätzung“ erkennen lassen. Krall seinerseits zeigt sich mit der programmatischen Ausrichtung der Partei unzufrieden; er wolle keine „Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-naß“-Partei.
Zwei, die gleich wieder austraten:
Der promovierte Volkswirt Markus Krall (* 10. Oktober 1962) ist eine in der BRD bekannte Medienpersönlichkeit des alternativen Spektrums. Stark in wohlhabenden katholischen Kreisen vernetzt, gehört er als Ritter dem exklusiven Orden vom Heiligen Grab zu Jerusalem an und ist Vorstand einer Stiftung des Benediktinerordens in Jerusalem. Krall ist ein entschiedener Unterstützer des Zionismus und ein dedizierter Freund Israels. Mit der aktuellen Vorgehensweise der israelischen Armee im Gaza-Streifen geht er konform.
Der an der Princeton University in New Jersey bei Aaron Friedberg promovierte Betriebswirt und Fondmanager Max Otte (* 7. Oktober 1964 in Plettenberg), studierte Jahre lang in den USA und ist Mitglied folgender Vereinigungen: Atlantik-Brücke e. V., American Council on Germany, German-American-Business Club Frankfurt e. V. Otte war bis zum Ausschluß im August 2022 viele Jahre Mitglied der CDU; auch wirkte er eine Zeitlang zugunsten einer der AfD zugeordneten steuerfinanzierten Stiftung. Seit 2005 ist er auch US-Amerikaner. Er war Vorsitzender des Vereines „Werteunion“ und trat bei der Wahl des deutschen Bundespräsidenten 2022 als Kandidat der AfD an.
Mit einem Seitenhieb auf den Parteivorsitzenden Maaßen schrieb er in einer Twitter-Gruppe mit beißendem Spott: „Wer von euch würde seine Ex als Premiumpartnerin einordnen?“ Krall spielte dabei auf ein Interview Maaßens an, in dem dieser die CDU als „Premiumpartner“ für die künftige Politik der WU bezeichnet hatte. Maaßen setzte sogar noch einen drauf, indem er die Grünen ins Spiel brachte: Sofern sie einmal einen „lichten Moment“ hätten, könne man mit ihnen im Parlament durchaus mal abstimmen. Seine Partei sehe er 2025 bereits in der Bundesregierung. Maaßen war wohl schnell bewußt, welche Lawine er da losgetreten hatte: Die Aussage mit der „Premiumpartei“ sei „zum Teil falsch rübergekommen“. Das Bündnis mit der CDU würde nur dann möglich sein, wenn sich diese nach rechts bewege.
Für Krall und Otte ist die AfD der maßgebliche Partner
Krall und Otte – beide waren zur Parteigründung auf einem gecharterten Ausflugsschiff nahe Bonn erst gar nicht eingeladen worden – sehen im Gegensatz zu Maaßen die AfD als Partner, ohne den die WU ihre Politik nicht durchsetzen könne. Otte mit Blick auf die WerteUnion wörtlich: „Eine Partei, die sich nicht zu ihrem potentiell wichtigsten Koalitionspartner bekennt, hat ihren Auftrag verfehlt und kann nicht zur Politikwende beitragen“, erklärte er laut dem Portal insuedthueringen.de.
Das Gründungsprogramm der WerteUnion ist gleichsam ein Spiegelbild eines BRD-Systems, dessen Träger gegenüber anderen Staaten gern Pluralismus, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit anmahnen, selbst aber unliebsame Meinungen unterdrücken und deren Vertreter sozial – bis hin zur beruflichen Existenzvernichtung – ausbürgern.
Die WU zeigt – wie noch zu sehen sein wird – durchaus plausible Alternativen auf, ist aber gleichzeitig auch Fleisch vom Fleische des westlich-liberalistischen Systems. Dazu eine kleine Kostprobe aus der Präambel des Gründungsprogramms, in der es heißt: „Uns ist die Freiheit des Einzelnen wichtig. Der Staat hat die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren und so ihre individuelle Freiheit zu schützen.“ Grundsätzlich sollen die Bürger darüber entscheiden, „wie sie ihre Kinder erziehen, wie sie arbeiten und wirtschaften, oder auch wie sie heizen wollen“.
Staat: Rolle des Nachtwächters
Dem Staat kommt auch im Konzept der WerteUnion eine bloße Nachtwächter-Rolle zu. Das Leben bleibt weitestgehend dem Laissez-faire-Gedanken, dem Spiel der freien Kräfte überlassen, das – angeblich – zu einer Harmonisierung für alle führen soll. Kommt es zu Verwerfungen und Krisen, ist das Gejammere groß, wird der Staat (der nunmehr Interventionsstaat werden soll) um Hilfe angefleht. Richtig wäre, vom lebensrichtigen, sprich: biologischen Menschenbild auszugehen: Die Individuen sind von Natur aus ungleich. Sie verfügen über unterschiedliche Begabungen und Fähigkeiten. Sie zu erkennen und zu fördern, ist Aufgabe von Elternhaus und Schule. Wer dann eine Tätigkeit – entsprechend seinen Begabungen – ausübt, ist wahrhaft frei. Wenn er dann noch die Möglichkeit erhält , seine Fertigkeiten in den Dienst des Ganzen zu stellen, entsteht echte Gemeinschaft. Aus „Gleichen“ hingegen (bzw. zwanghaft zu Gleichen erklärten Individuen) kann keine Gemeinschaft erwachsen.
Das Programm der WU enthält, wie bereits angedeutet, Forderungen, die viele mit dem derzeitigen System unzufriedene Menschen ohne Probleme unterschreiben können. So wird verlangt, die Amtszeit des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten zu begrenzen, „Menschen mit Berufserfahrung“ und „nicht reine Berufspolitiker“ auf Stellen mit hoher Verantwortung zu setzen und bei der Besetzung von Positionen „Qualität und nicht Quoten“ entscheiden zu lassen. Zudem sollen plebiszitäre Elemente wie Volksabstimmungen eingeführt werden. Gefordert wird auch, die Unabhängigkeit der Justiz zu gewährleisten: „Insbesondere dürfen Staatsanwälte nicht mehr den Weisungen der Regierungen unterstehen.“ Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch, „daß Politiker nicht in Richterämter gewählt werden dürfen und ihr Einfluß auf die Richterwahl eingeschränkt wird“.
Den Medien komme die Aufgabe zu, die Vielfalt der Meinungen abzubilden und „unabhängig von staatlichen Organen“ zu agieren. „Das wiederum bedingt, daß der Staat keinen Einfluß auf die Medien durch direkte oder indirekte Finanzierung ausüben darf. Staatliche Stellen haben kein Recht darauf festzulegen, welche Tatsachenbehauptungen und welche Meinung richtig oder falsch sind.“ In der Tat ist die Unzufriedenheit vieler Deutscher mit den durch Zwangsgebühren finanzierten Medien in den vergangenen Jahren gestiegen. Sie finden sich mit ihren Meinungen dort nicht mehr wieder und informieren sich über alternative Quellen (so auch russische). Nicht zur Sprache kommen im Gründungsprogramm hingegen die opulenten Gehälter der Intendanten und der Einfluß der Parteien auf die Medien.
Vernünftige Forderungen werden auch zum Thema Familie („die Keimzelle und der Kern unserer Gesellschaft“) vorgebracht. Beispielsweise wendet sich die WU gegen „Frühsexualisierung und Genderideologie“, spricht sich die Partei für eine „erkennbare Willkommenskultur für Kinder“ aus, wenngleich hier die Nennung der einen oder anderen konkreten Maßnahme wünschenswert gewesen wäre.
Ablehnung einer „flächendeckenden Akademisierung“
Im Hinblick auf die Zuwanderung muß die Bundespolizei aus Sicht der WerteUnion angewiesen werden, „mit allen erforderlichen und geeigneten Mitteln den Schutz des Bundesgebietes vor illegaler Einwanderung und Asylmißbrauch zu gewährleisten“. Asylforderer müßten unmittelbar an den deutschen Grenzen abgewiesen werden, „solange wegen eines unzureichenden Schutzes der EU-Außengrenzen Grenzkontrollen in Deutschland nötig sind“. Vollziehbar ausreisepflichtige Personen „müssen das Land verlassen“; folgten diese den behördlichen Aufforderungen nicht freiwillig, soll das Mittel der Abschiebung greifen.
Zur Fachkräfte-Problematik wird im Programm gleichfalls Stellung genommen. So heißt es unter Punkt 4 (Migration und Staatsangehörigkeit): „Der partielle Fachkräftemangel und das demographische Problem müssen vor allem durch arbeitsmarkt-, bildungs- und familienpolitische Maßnahmen gelöst werden. Daneben kann eine Einwanderung von qualifizierten Ausländern, auch aus dem Nicht-EU-Ausland, in begrenztem Umfang sinnvoll sein.“ In diesem Punkt ist das (Europawahl-)Programm des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) tiefschürfender, da hier die Abwerbung von Fachkräften aus Dritte-Welt- und Schwellenländern abgelehnt wird. Wäre dies doch gleichbedeutend mit einer Schwächung dieser Länder zugunsten des globalen Nordens.
Immerhin steht die WU einer „flächendeckenden Akademisierung um jeden Preis“ ablehnend gegenüber. Mit anderen Worten: Zu vielen Schülern wird in der BRD das Abitur ermöglicht. In der Folge beginnen zu viele junge Menschen ein Studium – Folge der fehlenden Leistungsauslese während der Schulzeit. Kritiker des Systems fordern, die Abiturientenquote von jetzt 40 auf 20 Prozent herunterzusetzen; schon nach der Grundschule müßten mit Blick auf die weiterführende Schule Leistungstests erfolgen.
In energiepolitischer Hinsicht setzt die WU auf die Nutzung der Kernenergie. Die Position im Wortlaut: „Kraftwerke auf der Basis von Kernspaltung sind mittelfristig die umweltverträglichste und kostengünstigste Art der Stromerzeugung, was von fast allen Industrieländern anerkannt wurde. Sie haben den geringsten Flächenverbrauch und den geringsten Schadstoffausstoß. Das gilt insbesondere für bereits gebaute Kernkraftwerke. Deutschlands Kernkraftwerke gehören zu den sichersten und zuverlässigsten weltweit. Die WerteUnion fordert, daß so viele der stillgelegten Kernkraftwerke wie möglich wieder in Betrieb genommen werden.“
Den Wert eines hohen Grades an Eigenversorgung mit Lebensmitteln hat – gerade mit Blick auf die momentane internationale Krisensituation völlig zu Recht – auch die WerteUnion erkannt. Insofern sei es die maßgebliche Aufgabe der Agrarpolitik, eine „möglichst hohe Selbstversorgung“ sicherzustellen. Strukturelles Leitbild der WU ist der bäuerliche Familienbetrieb und die Agrargenossenschaft. Dem totalen Freihandel sagt die WU zumindest auf landwirtschaftlichem Gebiet den Kampf an: „Die Einfuhren von Agrarrohstoffen aus Ländern, die zu deutlich niedrigeren sozialen und ökologischen Standards produzieren, sind … zu reglementieren.“
Bekenntnis zu einem „Europa der Vaterländer“
In wirtschaftlicher Hinsicht verficht die WerteUnion das klassische liberale Motto: „So viel Markt wie möglich und so wenig Staat wie nötig.“ Der Staat müsse sich wieder auf seine Kernaufgaben beschränken, was eine deutliche Senkung der Staatsquote erforderlich mache. In diesem Zusammenhang fordert die WU die Abschaffung „überflüssiger Bürokratien und Behörden“, um auf diese Weise die Lähmung von Markt und Wettbewerb zu beenden. Die Wettbewerbspolitik sieht die WU darüber hinaus „durch die dominierende Stellung der großen internationalen Technologieunternehmen“ herausgefordert. Im Großen und Ganzen wird ein Verzicht auf Subventionen seitens des Staates gefordert, „es sei denn, diese sind für Infrastruktur und Daseinsvorsorge oder zum Erhalt von für die nationale Sicherheit unverzichtbaren Branchen, insbesondere die Landwirtschaft, notwendig“.
Gemeint sind offenbar Bereiche wie Post, Bahn und Energielieferanten, wobei sich viele Menschen in der Bundesrepublik auch eine Rückverstaatlichung des Gesundheitswesens wünschen. Denkbar wäre auch eine direkte Beteiligung des Staates an Schlüsselindustrien, um Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten ausüben zu können, was bei einer bloßen Ausreichung von Subventionen nicht der Fall wäre.
In der Europa- und Außenpolitik bekennt sich die WerteUnion zu einem „Europa der Vaterländer“. Hierbei handelt es sich um eine europapolitische Konzeption, die eine Form der zwischenstaatlichen Kooperation bezeichnet, bei der die nationale Souveränität weitgehend unangetastet bleibt. Dabei wird also auf eine supranationale Vereinigung oder auf eine Vergemeinschaftung staatlicher Aufgaben im Sinne der europäischen Integration verzichtet. Als Urheber des Schlagwortes gilt der französische Staatspräsident Charles de Gaulle (1890-1970), der es in den sechziger Jahren als Doktrin der französischen Europapolitik bekanntmachte.
Der Zustand der EU wird im Gründungsprogramm der WU als „besorgniserregend“ bezeichnet, „da sie sich zunehmend zu einer übergriffigen, nationale Bedürfnisse einzelner Länder mißachtenden Organisation gewandelt hat“. – So weit, so gut. Doch werden in der Analyse entscheidende Aspekte außer acht gelassen. Denn wer führt in Wirklichkeit das Zepter? Doch wohl die Hochfinanz und ihre Erfüllungsgehilfen, die EU-Kommissare, derweil das EU-Parlament die Rolle einer Abnicker-Veranstaltung spielt. Kein Wort auch über die Rolle der Bundesrepublik als Melkkuh – seit Jahrzehnten ist Deutschland größter Nettozahler der „Union“. Und: Infolge der EU-Osterweiterung ist ein Zustand der Überblähung eingetreten – die Neumitglieder erhoffen sich natürlich Fördermilliarden aus dem großen EU-Topf.
Bekenntnis zur NATO-Mitgliedschaft
In der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik möchte die WU den augenblicklichen Zustand konservieren, indem sie sich zum NATO-Bündnis bekennt. Im Werbetextstil heißt es dazu: „Es (das NATO-Bündnis) war die Grundlage für die gedeihliche Entwicklung unseres Landes nach der Herrschaft der Nationalsozialisten, für das kooperative Miteinander auf unserem Kontinent, die Gründung der Europäischen Gemeinschaften und letztlich für die Überwindung der Teilung Deutschlands und damit Europas.“
Würde der britische Politiker, Diplomat und General Hastings Lionel Ismay, von 1952 bis 1957 erster NATO-Generalsekretär, noch leben, er freute sich ob dieser gedrechselten Worte bestimmt. Wollte er doch mit dem nordatlantischen Bündnis „die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen am Boden halten“. Diese Formel hat wieder an Aktualität gewonnen, zumal die Bundesrepublik immer noch ein besetztes Land ist.
Derweil die WerteUnion Europa ganz offensichtlich weiter in der Rolle eines Wurmfortsatzes der Vereinigten Staaten von Nordamerika sehen will, bekennt sich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zu einem europäischen Block, der sich von Washington emanzipiert – das spricht unter Garantie mehr Menschen aus dem Herzen als ein bloßes Bekenntnis zum transatlantischen Bündnis, durch das die BRD nach jetzigem Stand wieder in kriegerische Konflikte verwickelt werden könnte.
Schaut man sich die Geschichte der in Deutschland tätigen konservativen Parteien näher an, kommen geradezu revolutionäre Züge zum Vorschein, so im 1892 verabschiedeten Tivoli-Programm der Deutschkonservativen. Einige der darin enthaltenen Forderungen haben an Brisanz nichts eingebüßt; doch lesen Sie selbst.
So wurden „die Stärkung des Mittelstandes in Stadt und Land und die Beseitigung der Bevorzugung des großen Geldkapitals“ als „die dringendsten Aufgaben der Sozialpolitik“ bezeichnet. Für Landwirtschaft und Industrie gleichermaßen verlangten die Deutschkonservativen angemessene Zölle. Und auch die Börsen-Piraten bekamen ihr Fett weg: „Die Börsengeschäfte sind durch eine Börsenordnung wirksamer staatlicher Aufsicht zu unterstellen; insbesondere ist dem Mißbrauch des Zeitgeschäftes als Spielgeschäft, namentlich in den für die Volksernährung wichtigen Artikeln, entgegenzutreten.“ Im Gegensatz dazu präsentiert sich die WerteUnion als eine Ansammlung handzahmer Kätzchen.
Geplant: Antritte zu Landtagswahlen im Herbst
Erstmals auf dem Wahlzettel will die WerteUnion im Herbst 2024 zu finden sein. Dann stehen in gleich drei Bundesländern – Brandenburg, Sachsen und Thüringen – Landtagswahlen auf dem Programm. Zum Wählerpotential befragt, erklärte Prof. Dr. Wolfgang Schroeder, Inhaber einer „Professur für Politisches System der BRD – Staatlichkeit im Wandel“, im Januar gegenüber der Rheinischen Post: „In der WerteUnion befindet sich eine Reihe von Glücksrittern. Aber das Wählerpotential, das sie haben, ist sehr klein. Es liegt im Rahmen der Kleinstparteien. Ich sehe nicht mehr Potential als 0,5 Prozent bis zwei Prozent.“
Die WerteUnion sitzt von vornherein zwischen mehreren Stühlen. Die AfD hat ohnehin den größten Teil des nationalkonservativen Wahlpublikums, so auch von der CDU, bereits abgegriffen. Und die CDU ist immer noch flexibel genug, um bei Bedarf die wertkonservative Trumpfkarte zu spielen. Der WU könnte es dann ergehen wie einem – ohnehin schon brüchigen – Stück Holz, das zwischen den kräftigen Backen eines Schraubstocks schlicht und ergreifend zerquetscht wird. Und vergessen wir nicht: Auch das ebenfalls 2024 ins Leben gerufene Bündnis Sahra Wagenknecht, über das wir auf diesem Portal bereits ausführlich berichteten, verfügt über ein Programm, das wertkonservative und migrationspolitische Elemente enthält und damit viele Unzufriedene anspricht, genauer: eher anspricht, wie erste Umfragen zeigen.
Ein – möglicherweise globales – Alleinstellungsmerkmal hat der WU-Parteivorsitzende Dr. Hans-Georg Maaßen bereits jetzt. Maaßen, von August 2012 bis November 2018 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, wird mittlerweile höchstselbst von der Behörde beobachtet und in der Kategorie „Rechtsextremist“ geführt. In der Republik der Bunten und Toleranten reichen dafür schon an und für sich eher harmlose Aussagen. So erklärte Maaßen, da noch CDU-Mitglied, aber bereits vom Parteiausschluß bedroht, im Januar 2023 gegenüber dem Deutschlandfunk: „Ich sehe Deutschland in Teilen in einem Niedergang begriffen. Ich sehe, daß wir hier eine grün-woke Dominanz haben, was die Sprache angeht, die Medien angeht, die Kultur angeht und meine Erwartung wäre, daß eine CDU, die zurückfindet zu den Grundsatzpositionen von Kohl und Adenauer, diese Politik wieder umgestalten kann.“
Von der CDU indes, die sich in einigen Bundesländern schon mit den Grün-Woken ins Koalitionsbett gelegt hat, konnte er keine Gnade erwarten: Ende Januar 2023 forderte ihn das CDU-Präsidium, und zwar einstimmig, zum Austritt aus der Partei auf. Er, Maaßen, gebrauche eine Sprache aus dem Milieu der „Antisemiten“ und „Verschwörungstheoretiker“.
Diese Begründung hätte auch in einer ultralinken Gazette stehen können.