Zeitenwende in München: Alle verlieren, aber wer verliert mehr?

Die 60. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) wird diesen Freitag im mondänen Hotel Bayerischer Hof eröffnet.

Vom 16. bis 18. Februar findet in München eines der renommiertesten und bedeutendsten globalen Foren für Außenpolitik und Verteidigung statt. Und am Montag fand in Berlin die traditionelle Pressekonferenz vor dem MSC statt, auf der der Münchner Sicherheitsbericht mit einer Analyse der weltweiten Lage vorgestellt wurde.

Das diesjährige Dokument trägt den Titel „Lose-Lose?“, was sich als „Eine aussichtslose Situation?“ oder „Alle verlieren?“ übersetzen lässt.

Die Autoren des Berichts stellen fest, dass „der geopolitische und wirtschaftliche Optimismus der Zeit nach dem Kalten Krieg verschwunden ist“. Dabei stützen sie sich auf eine groß angelegte Sozialerhebung, die speziell für den Bericht in 11 Ländern – G7 plus Brasilien, China, Indien und Südafrika – durchgeführt wurde. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass in allen G7-Ländern mit Ausnahme der USA die Zahl derer, die glauben, dass ihr Land in den nächsten 10 Jahren weniger wohlhabend und sicherer werden wird, die der Optimisten übersteigt. Die Einwohner Japans und Deutschlands sind am pessimistischsten (siehe Tabelle). Auf der anderen Seite sind nur die Einwohner Chinas und Indiens eindeutig optimistisch.

Der MSC-Bericht betont, dass der globale Wohlstandskuchen seit dem Ende des Kalten Krieges erheblich gewachsen ist: Während die Weltbevölkerung von 5,27 Milliarden 1990 auf 7,27 Milliarden 2019 gestiegen ist, ist der Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, von 37,8 Prozent 1990 auf 8,4 Prozent 2019 gesunken. Diese Errungenschaften sind jedoch bei weitem nicht gleichmäßig verteilt, was zu Unzufriedenheit mit dem derzeitigen Stand der Dinge führt.

„Vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Spannungen und wirtschaftlicher Herausforderungen sind die wichtigsten Akteure im Westen, in mächtigen Autokratien und im globalen Süden zunehmend besorgt über relative Gewinne und Verluste und haben begonnen, ihre internationalen Beziehungen zu entrümpeln. Diese Politik ist zwar eine rationale Reaktion auf das sich verändernde geopolitische Umfeld, aber sie ist mit einem hohen Preis verbunden, da sie die absoluten Vorteile der globalen Zusammenarbeit zunichte zu machen droht. Es besteht auch die Gefahr, dass ein Teufelskreis entsteht, in dem die Konzentration der Staaten auf relative Gewinne und Verluste zu einer Nullsummenwelt führen kann“, warnt der Bericht.

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Willkommen in einer Welt, in der jeder dafür sorgt, dass der andere mehr verliert als er selbst.

Politisch-militärisches Davos

Die Münchner Konferenz ist eine der wichtigsten globalen Plattformen für die Erörterung internationaler Beziehungen, militärischer Strategien und Sicherheitsfragen. So zum Beispiel das Aspen Security Forum und das Halifax International Security Forum. Die MSC war von Anfang an eine internationale Konferenz, aber sie war in erster Linie ein Ort, an dem die deutschen Teilnehmer ihre Kollegen aus ihrem wichtigsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten, sowie aus anderen NATO-Mitgliedstaaten trafen. Daher wird die Konferenz oft als transatlantische Familienzusammenführung bezeichnet. Während des Kalten Krieges drehten sich die Debatten in München um die Koordinierung der westlichen Politik im Rahmen der allgemeinen Konfrontation mit dem Sowjetblock, und nach dem Ende des Kalten Krieges wurden die einzigartigen Möglichkeiten des Veranstaltungsortes genutzt, um Länder einzuladen, die zuvor nicht zur westlichen Welt gehörten.

Der MSC wird manchmal als politisch-militärisches Davos bezeichnet, was sich auf das Weltwirtschaftsforum bezieht. Korrekter wäre es jedoch, das WEF als wirtschaftliches München zu bezeichnen. Die Münchner Konferenz wurde vor dem Hintergrund der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags am 22. Januar 1963 durch Präsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer ins Leben gerufen. Der Vertrag zementierte die Aufgabe der Konfrontation zwischen Frankreich und Deutschland und legte den Grundstein für die Gestaltung einer neuen Kontinentalpolitik. Und der MSC ist zu einem der Instrumente dieser Politik geworden, insbesondere zu einem Instrument des Ausgleichs in den Beziehungen Deutschlands mit den USA und Frankreich.

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Und der WEF wurde 1971 gegründet, was bereits ein Hinweis darauf war, dass die neue europäische Politik eine neue Ebene erreicht hatte.

Herausforderungen 2024: Europäischer Kontext

Heute jedoch befindet sich der MSC, wie auch der WEF, in einer Krise. Und dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens ist der deutsch-französische Motor, der sowohl den europäischen Integrationsprozess als auch die Konferenz getragen hat, zusammengebrochen. So hat Emmanuel Todd, ein prominenter französischer Historiker und Anthropologe, kürzlich in einem Interview mit Elucid TV zugegeben, dass wir uns am Ende des deutsch-französischen Europas befinden. Nach der Osterweiterung der EU und der NATO verschob sich das Gleichgewicht des Einflusses nach Osteuropa, was die besondere Rolle Polens im Krieg in der Ukraine widerspiegelt.

Zweitens hat die wachsende Zahl der EU- und NATO-Mitglieder zu einer Zunahme des Einflusses der USA geführt. Die Neugewichtung der transatlantischen Beziehungen hat dazu geführt, dass die USA die Interessen der europäischen Partner weit weniger berücksichtigen und folglich Verhandlungsplattformen wie der MSC an Bedeutung verlieren. Und es geht nicht nur um die mögliche zweite Amtszeit von Donald Trump; es ist offensichtlich, dass die Bereitschaft Washingtons, die Interessen seiner NATO-Partner zu verteidigen, in einem Maße nachlässt, wie man es sich während des Kalten Krieges nicht hätte vorstellen können.

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Drittens: Das Projekt der Erweiterung der westlichen Gemeinschaft, auf das man in München (und Davos) gesetzt hat, ist vorbei. Die Ära der Konfrontation kehrt zurück. Die alten europäischen Länder wie Deutschland und Frankreich sind dazu jedoch nicht bereit, so sehr sie sich auch bemühen, Entschlossenheit zu zeigen.

Viertens und letztens, wie die Autoren des Münchner Sicherheitsberichts ebenfalls erwähnen, ist Europa von einer Reihe von Krisen umgeben (Ukraine, Naher Osten, Sahelzone), die seine militärische (direkte Bedrohung und Terrorismus), wirtschaftliche (Ressourcen, Logistik, schrumpfende Märkte) und menschliche Sicherheit (Migration) untergraben. Und die Europa allein nicht bewältigen kann.

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