Die von Selenskij und Co zu Nutz und Frommen der Globalisten vorangebrachte Privatisierung des Ackerbodenmarktes in der Ukraine wird verheerende Folgen für kleine und mittlere Bauern haben.
Polesien ist eine historische Landschaft in Polen, Weißrußland, der Ukraine und Rußland, eine Wald- und Sumpflandschaft, ein zwischen den Flußgebieten des Bug und des Pripetz gelegener Streifen Tiefland. Südlich des Pripetz beherrschen die Pripetz-Sümpfe, mit 90.000 km2 Fläche das größte Sumpfgebiet Europas, das Bild. Hier befinden sich die miserabelsten Böden der Ukraine. An dieses Gebiet schließt sich – nach Süden und Südosten – die sogenannte Waldsteppenzone an, deren Baumbestände jedoch schon größtenteils abgeholzt worden sind. Andererseits weist die Zone weit ausgedehnte, im Eiszeitalter entstandene Lößebenen auf. Aus dem Löß – ein kalkhaltiges, relativ trockenes und nicht zu lehmiges, aber auch nicht zu sandiges Sediment – entwickelten sich fruchtbare Schwarzerde-Böden: locker, humusreich, kalkhaltig. Die Böden zählen zu den ertragreichsten der Welt und bedecken etwa die Hälfte des ukrainischen Territoriums.
Polesische Landschaft (1884), Gemälde (Öl auf Leinwand) von Iwan Schischkin.
Den Ruf als „Kornkammer“ besaß das Gebiet bereits, als in Europa noch Monarchen regierten. Ausgangs des Ersten Weltkrieges schlossen die Mittelmächte, also Deutschland und Österreich-Ungarn, mit Vertretern der am 24. Januar 1918 ausgerufenen Volksrepublik Ukraine ein Abkommen. Die antibolschewistische Zentralna Rada verpflichtete sich darin, den beiden Vertragspartnern eine Million Tonnen Brot- und Futtergetreide zu liefern. Im Gegenzug wollten diese militärischen Beistand gegen die Sowjetregierung leisten.
Schwarzerde-Acker in Westrußland.
Etwas mehr als 70 Jahre später wurde der überaus fruchtbare ukrainische Ackerboden der stürmischen demokratischen Parlaments-See ausgesetzt. Die wohltönenden, schmeichelhaften Zauberworte lauten hierbei bis zum heutigen Tag „De-Regulierung“ und „Liberalisierung“. Im Gefolge des Zerfalls der Sowjetunion erfolgte die Privatisierung ukrainischen Ackerlandes. Einzelne, zuvor auf den Kolchosen tätig gewesene Arbeiter erhielten nach 1991 unter Zuhilfenahme von Zertifikaten die Erlaubnis, Eigentum an einem bestimmten Stück Land zu erwerben. Viele verkauften die Areale jedoch in den Wirren des ökonomischen Kollapses, wodurch es zu einer Konzentration von landwirtschaftlichem Boden in den Händen Weniger kam. Es entstand eine neue Klasse von Oligarchen, sozusagen von ukrainischen XXL-Latifundistas.
2001: Verhängung eines Moratoriums
2001 verhängte die damalige ukrainische Regierung ein Moratorium, das den Kauf und Verkauf von agrarischen Flächen untersagte bzw. die Fortsetzung der Privatisierung von staatlichem Grund und Boden vorerst beendete. Unter das Moratorium fielen 41 Millionen Hektar, was 96 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche entsprach. 28 Mio. Hektar davon befanden sich zu jenem Zeitpunkt in privatem Besitz (68 Prozent). Im großen ganzen handelte es sich, wie der Name schon sagt, jedoch nur um einen Aufschub, der bis zur Erarbeitung eines Gesetzes gelten sollte, das Regelungen für den „Markt“ für Agrarland beinhaltet. Die nachfolgenden Kabinette schoben ein solches Gesetz auf die lange Bank – mit gutem Grund: denn viele Menschen in der Ukraine wandten sich heftig gegen ein solches Vorhaben, durch das sie einen Ausverkauf befürchteten.
Andererseits konnte Ackerland auch weiterhin verpachtet werden. Und so gaben viele kleinere Landbesitzer ihre Flächen in Pacht, und zwar sowohl an inländische als auch an ausländische Unternehmen. Die Selenskyi-Regierung behauptete, daß unter früheren Regierungen mindestens fünf Mio. von über zehn Mio. Hektar, die sich in Staatsbesitz befanden, illegal privatisiert worden seien.
Doch war es gerade Selenskyi, der schon während seines Wahlkampfes im Hinblick auf die Öffnung des Bodenmarktes liberale Standpunkte vertrat. Und als er im Mai 2019 das Amt des Präsidenten übernahm, kam – sehr zur Freude des Westens – Bewegung in die Angelegenheit. Der Präsident erklärte, das Moratorium aufheben zu wollen und einen Bodenmarkt zu schaffen. Die Saat für dieses Vorhaben war bereits zuvor gelegt worden.
So hatte die neoliberale, international vernetzte Kiewer Denkfabrik „Easybusiness“ eine mehrere Jahre anhaltende, massive Kampagne ins Werk gesetzt, die bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) führte. Dieser verlangte 2018 vom ukrainischen Staat, eine „Bodenreform“ durchzuführen. 2019 bestätigte der Kassationsgerichtshof der Ukraine die vom EuGH vertretene Rechtsaufassung. Ihr zufolge sollte die Entscheidung darüber, ob die Bürger ihr Privateigentum veräußern dürfen, in der Verfassung gewährleistet und staatlich garantiert werden.
Würgeschlange IWF
Die Funktion der eigentlichen Würgeschlange übernahm indes der Internationale Währungs-Fonds (IWF), der die „Reform“ zur Bedingung für weitere Kredite machte. Konkret ging es um ein Darlehen in Höhe von fünf Millionen US-Dollar. Und während Selenskyi unter Verweis auf die „Corona“-Pandemie die Wichtigkeit internationaler Geldgeber betonte, blieben viele Menschen in der Ukraine eher skeptisch. Sie fürchteten eine Konzentration des Bodenbesitzes. Auch würde eine Liberalisierung in erster Linie großen Unternehmen, Oligarchen und ausländischen Konzernen von Nutzen sein.
Andererseits schwebte der IWF wie ein drohender Schatten über Kiew. Selenskyi erklärte die „Bodenreform“ quasi zur Chefsache. Dabei sah er sich durchaus Widerständen ausgesetzt. So wurden die im Gesetzentwurf 21-78, erarbeitet vom Agrarausschuß des Parlaments, aufgeführten Obergrenzen möglichen Grundeigentums auf maximal 10.000 Hektar reduziert. Des weiteren gab es mehrere Entwürfe, die eine nur geringfügig regulierte Bodenmarktöffnung vorsahen. Schließlich verabschiedete die Werchowna Rada, das ukrainische Parlament, in der Nacht zum 31. März 2020 die „Bodenreform“ als Gesetz Nr. 552-IX, das ab dem 1. Juli 2021 in Kraft trat. Für die Vorlage stimmten dabei 259 von 315 Abgeordneten, womit das Moratorium für den Verkauf landwirtschaftlicher Flächen aufgehoben wurde.
Laut dem Gesetz ist es ukrainischen Staatsangehörigen seit dem 1. Juli 2021 möglich, ihr Grundeigentum zu veräußern oder weitere Flächen zu erwerben. Natürliche Personen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit haben nunmehr das Recht, landwirtschaftliche Flächen zu erstehen. Juristische, nach ukrainischem Recht gegründete Personen erhalten dieses Recht erst ab dem nächsten Jahr. Die mögliche individuelle Eigentumsobergrenze wurde für natürliche Personen von Juli 2021 bis 2024 auf maximal 100 Hektar und ab 2024 sowohl für natürliche als auch ukrainische juristische Personen auf maximal 10.000 Hektar festgesetzt.
Ausländer mischen bereits kräftig mit
Ukrainischen juristischen Personen, die ausländische Inhaber oder Endbegünstigte wie Anteilseigner oder Aktionäre haben, ist der Erwerb landwirtschaftlicher Flächen ab 2024 nur für den Fall gestattet, wenn dies durch eine Volksabstimmung ermöglicht wird. Ein Referendum allerdings würde aller Wahrscheinlichkeit nach so gar nicht nach dem Geschmack potentieller westlicher Investoren verlaufen. Denn wie eine im Juni 2021 vom Kiewer Internationalen Institut für Soziologie durchgeführte Umfrage ergab, wandten sich rund vier Fünftel der Ukrainer gegen den Verkauf landwirtschaftlicher Flächen an ausländische Akteure. 64 Prozent waren laut einer Umfrage vom April 2021 gegen die Schaffung eines Bodenmarktes.
Auf dem Internetportal laender-analysen.de wurde übrigens nach der Verabschiedung des Bodenmarktöffnungs-Gesetzes kräftig gejammert. Zitat: „Mit der Parlamentsentscheidung wurde die Chance vertan, ein positives Signal an die EU zu senden und zumindest Bürger der Europäischen Union oder bereits jahrelang in der Ukraine tätige ausländische Landwirte in bezug auf Erwerbsmöglichkeiten den Ukrainern gleichzustellen.“
Doch zum einen besteht für Ausländer weiterhin die Möglichkeit, Land zu pachten. Und zum zweiten mischen ausländische Unternehmen in der Ukraine nicht erst seit gestern kräftig mit. So listete die Datenbank Matrix 2021 groß angelegte Landgeschäfte auf, deren Höhe sich auf 3,4 Mio. Hektar belief und von denen sowohl ukrainische als auch ausländische Unternehmen profitierten.
Für 2021 hat sich die Situation mit Blick auf die größten Landbesitzer in der Ukraine wie folgt dargestellt: An der Spitze stand Kernel mit 570.500 Hektar, ein Unternehmen, das einem ukrainischen Staatsbürger gehört, jedoch in Luxemburg registriert ist. Es folgten UkrLandFarming (570.000 Hektar), die US-amerikanische Private-Equity-Gesellschaft NCH Capital (430.000 ha), MHP (370.000 ha) und die ukrainische Agrar- und Industrie-Holding Astarta (250.000 ha). Das saudische Konglomerat Continental Farmers Group mit seinem Mehrheitsaktionär, der Saudi Agricultural and Livestock Investment Company, verfügte über 195.000 Hektar, AgroGeneration (Frankreich) über 120.000 Hektar. Diese Liste hat die US-amerikanische Denkfabrik Oakland Institute um ihren Direktor Frédéric Mousseau im Sommer 2021 zusammengestellt.
Wie Mousseau Anfang Oktober 2022 gegenüber der Agentur AFP betonte, verhindere das in der Ukraine geltende Bodenrecht zwar momentan, daß ausländische Investoren in den Besitz ukrainischen Ackerlandes gelangen. Doch sei das Interesse ausländischer Agrarunternehmen, Investmentfonds oder Banken, ihren Einfluß auf den ukrainischen Agrarsektor zu festigen bzw. auszuweiten, unbestritten. Dabei sind nach Mousseaus Beobachtungen Umgehungsmanöver zu beobachten: Ausländische Zusammenhänge würden in Anteile an ukrainischen Unternehmen investieren, die ihrerseits Land erwerben oder pachten. NCH Capital beispielsweise ist demnach auf dem ukrainischen Agrarmarkt über sein (ukrainisches) Tochterunternehmen Agroprosperis tätig. Wie Mousseau im AFP-Gespräch weiter ausführte, haben Investmentfonds, so BlackRock oder Vanguard, aber auch US-amerikanische und europäische Pensionsfonds, Banken und Stiftungen die Tür bereits durchschritten – sie sind Investoren einer Reihe sehr großer Agrarunternehmen der Ukraine.
Und sie sind finanziell überaus potent – ganz im Gegensatz zu vielen ukrainischen Kleinbauern, die sich – zumal ohnehin oft stark verschuldet – bis 2024 nach Einschätzung Mousseaus nicht viel Land werden kaufen können, da sie außerstande seien, die hohen Preise zu entrichten. Und weil die Klein- und Mittelbauern ihre Vorkaufsrechte auf andere Parteien übertragen dürfen, wiederhole sich die Dynamik der 1990er Jahre: eine neue Klasse von Agrar-Giganten entsteht.
Ukrainische Kleinbauern haben auf dem von Selensij & Co. zu Nutz und Frommen der Globalisten privatisierten Ackerbodenmarkt keine Chance.
Gegenüber der AFP war Mousseau noch diplomatisch gestimmt. In einem Aufsatz vom 6. August 2021 kommt er zu folgendem Resümee: „30 Jahre nach der katastrophalen Landprivatisierung der Neunziger ist es IWF und Weltbank gelungen, den wertvollen ukrainischen Boden Oligarchen, großen Agrarunternehmen, ausländischen Investoren und Banken zuzuschanzen. Die Kosten wird die große Mehrheit der ukrainischen Landwirte und die Bürger zu tragen haben.“