Ein Schatz im Erdmantel

Geothermie als relativ alte erneuerbare Energiequelle hat Zukunft

Heißes Wasser aus der Tiefe kurbelt einen besonderen Kraftwerksprozeß an, der Strom und Wärme erzeugt. Zu diesem Zweck erfolgt die Etablierung eines Kreislaufs, der so funktioniert: In einem Rohrsystem wird Wasser in die Tiefe geleitet, das sich seinen Weg durch das Gestein bahnt, sich dabei aufheizt und wieder nach oben befördert wird. Ein Kraftwerk, das sich an der Erdoberfläche befindet, gewinnt daraus Strom. Das heiße Thermalwasser gelangt mit Hilfe von Wärmetauschern in den Kreislauf des Kraftwerks. Dort werden die Turbinen nicht mit Wasserdampf, sondern durch den Dampf einer Flüssigkeit angetrieben, die bei den Temperaturen des Thermalwassers siedet. Im Geothermie-Kraftwerk Bruchsal (Baden) weist das Thermalwasser eine Temperatur von 120 Grad Celsius auf. Zur Dampferzeugung nutzen die Mitarbeiter ein Gemisch aus Wasser und Ammoniak, das bereits bei unter 100 Grad Celsius siedet und auf diese Weise eher als Wasser verdampft.

Die Geothermie spielt in deutschen Landen seit kurzem eine immer entscheidendere Rolle. Die Idee, die im Erdmantel gespeicherte Wärme zu nutzen, ist aber so neu auch wieder nicht. Wurde doch bereits in der DDR in diesem Zusammenhang emsig geforscht (und nicht nur das).

Die Energiewirtschaft der DDR gründete sich zum einen auf Importe von sowjetischem Erdöl und Erdgas. Als 1973 die internationale Ölkrise ausbrach, milderten die langfristigen Übereinkünfte mit der UdSSR den Preisschock zunächst. Zeitversetzt erfolgte der Keulenschlag dann doch – und wie: Im Zeitraum von 1974 bis 1986 stieg der Einfuhrpreis für sowjetisches Öl um das Elffache. Und weil die DDR unter anhaltender Devisenknappheit litt, kaufte sie weiter in Moskau ein.

DDR: Suche nach erneuerbaren Energiequellen

Eine zweite Korsettstange der DDR-Energieversorgung war die einheimische Braunkohle, die im Süden des Landes – vor allem im damaligen Bezirk Cottbus und im Großraum Leipzig – ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt gefördert wurde. Der exzessive Abbau hing aufs engste mit der Nachkriegsentwicklung zusammen. Die Steinkohlelieferungen aus dem Ruhrgebiet und aus Oberschlesien waren nach dem Zweiten Weltkrieg entfallen. Beide Regionen hatten vor 1945 die mitteldeutschen Industriegebiete mit Kohle versorgt.

Ende der siebziger Jahre wurde dann aber zusehends klar: die Braunkohlevorräte reichen nicht ewig. Auch mußten die damaligen Nordbezirke (Rostock, Schwerin und Neubrandenburg) mit Kohle versorgt werden, was einen hohen Aufwand und nicht zuletzt hohe Kosten erforderte. Karsten Obst, Mitarbeiter im Geologischen Landesdienst Mecklenburg-Vorpommern, schilderte im Gespräch mit dem Norddeutschen Rundfunk rückblickend, was damals geschah: Wegen der drohenden Engpässe „beschloß die Regierung 1980, intensiv nach erneuerbaren Energiequellen zu suchen“. Eine Idee: die Nutzung von Erdwärme.

Und so wurden unterirdische, hunderte, zuweilen tausende Meter unter der Erde befindliche Heißwasserquellen angezapft. Im Norden der DDR war dieses Verfahren ein vielversprechendes Unterfangen, da durch Erdöl- und Erdgasbohrungen bekannt war, „daß man immer wieder geothermische Reservoire durchbohrt hat“, erklärt Karsten Obst. Infolge der teilweise fruchtbringenden Suche nach Öl und Gas im vorpommerschen Raum gab es für Tiefenbohrungen zudem eine hohe Expertise. Jener Trumpf wurde dann bei den im Norden der DDR durchgeführten Erkundungen genutzt. Die Resultate dieser Arbeit befinden sich im Bohrkernarchiv des Geologischen Landesdienstes in Sternberg (Mecklenburg). Dort lagern – in 70.000 Holzkisten – die Kerne von rund 400 Bohrungen, die auf dem Gebiet des späteren von Mecklenburg und Pommern durchgeführt worden sind.

In Waren an der Müritz stießen die Experten dabei in einer Tiefe von 1.560 Metern auf ein 63 Grad heißes Wasserbecken. Und nachdem eine zweite Bohrung ins Werk gesetzt worden war, konnte 1984 das Warener Heizwerk seinen Betrieb aufnehmen. Karsten Obst hebt die Bedeutung der Maßnahme noch einmal hervor: „Das war wirklich die Geburtsstunde der geothermischen Erkundung und Nutzung in Deutschland.“

ein-schatz-im-erdmantel
Im Jahre 1984 nahm am Papenberg in Waren an der Müritz die erste deutsche Anlage zur Nutzung von Erdwärme im Megawatt-Leistungsbereich ihren Betrieb auf und begründete damit die Ära der Nutzung der Tiefen Geothermie für die Wärmeversorgung in Deutschland.

Wiederauferstehung der Geothermie-Nutzung

Die DDR plante übrigens den Bau weiterer Kraftwerke: auf Usedom, in Stralsund, in Neubrandenburg sowie in Neustadt-Glewe und Schwerin. Verantwortlich zeichnete der VEB Geothermie Neubrandenburg, unter dessen Dach Ende der achtziger Jahre zirka 800 Beschäftigte arbeiteten.

Dann kam die sogenannte Wende. Experten aus der Bundesrepublik waren des Lobes voll über die von DDR-Fachleuten vollführten geothermischen Arbeiten. Auch der Westdeutsche Rundfunk (WDR) brachte unter dem Titel „Mecklenburgs Wärmewunder“ im Mai 1990 einen Beitrag, in dem es unter anderem hieß: „Der VEB hat in den letzten fünf Jahren ein hohes Know-how in der Beherrschung der hoch versalzenen Wässer zur geothermischen Energienutzung aufgebaut. So was fehlt uns in der Bundesrepublik.“ Doch half alles Lob nichts, im Gegenteil: Der Neubrandenburger Betrieb fiel der Auflösung anheim; die Erkundungen wurden eingestellt und die Bohrtürme verschrottet.

Mittlerweile hat die Geothermie unter dem richtungsweisenden Zeichen der Lokalisierung der Energieversorgung vielerorts ihre Auferstehung gefeiert. Mit Stand Juni 2023 gab es nach Angaben des Bundesverbandes Geothermie 30 Heiz- und zwölf Kraftwerke, so zum Beispiel in Bad Urach, einer Stadt am Fuße der Schwäbischen Alb, in Offenbach an der Queich (Südliche Weinstraße, Pfalz), in Traunreut (Oberbayern) oder in Landau in der Pfalz, um nur einige zu nennen. Im Pionierland in Sachen Geothermie, in Mecklenburg-Vorpommern, befinden sich gleichfalls Anlagen, beispielsweise in Neustadt-Glewe, einer im südlichen Mecklenburg gelegenen Stadt, oder in Waren an der Müritz in der Mecklenburgischen Seenplatte.

ein-schatz-im-erdmantel
Das Geothermiekraftwerk Neustadt-Glewe war das erste Kraftwerk in Deutschland, das Geothermie der Thermalwässer zur Stromerzeugung nutzte. Betrieben wurde die Stromerzeugung von 2003 bis 2010 durch die „Erdwärme-Kraft GbR“, ein Tochterunternehmen von Vattenfall Europe Berlin. 2010 wurde die Stromerzeugungsanlage auf Grund eines technischen Defekts und der damit verbundenen Unwirtschaftlichkeit stillgelegt. Die Hauptbedeutung hat die Anlage zur Wärmeversorgung in Neustadt-Glewe. Seit 1994 wird die Anlage von der WEMAG AG (Schwerin) betrieben und versorgt wirtschaftlich mit ca. 20 GWh Wärme jährlich Haushalte und Gewerbe.

ein-schatz-im-erdmantel
Die Anlage von außen.

ein-schatz-im-erdmantel
Das Herzstück der Anlage.

Trümpfe und Nachteile der Erdwärmegewinnung

In der Tat: Die Geothermie hat fraglos eine Reihe von Trümpfen auf der Habenseite. So steht sie – ganz im Gegensatz zu anderen erneuerbaren Energiequellen – witterungs- und saisonunabhängig sowie dauerhaft zur Verfügung. Geothermische Anlagen beanspruchen zudem nur geringe Flächen. Auch sind nach ihrer Errichtung keine Transportbewegungen notwendig. Eine Lagerung der Energie wie etwa in Öltanks entfällt. In den lauschigen Sommermonaten kommt die oberflächennahe Geothermie darüber hinaus der Klimatisierung von Gebäuden zugute, womit sie doppelt genutzt werden kann.

Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten, womit wir beim Problem der Nachteile der Geothermie-Nutzung angekommen wären. Schon das heiße Wasser birgt ein gewisses Maß an Unsicherheit. Kann doch nie vorausgesagt werden, welche Mineralien sich in dem aus der Tiefe kommenden Wasser befinden – oder in welchem Ausmaß sich die Mineralien im Zuge der Förderung lösen. Sie könnten das Rohrsystem zersetzen oder im schlimmsten Falle das Grundwasser verunreinigen, aus dem Trinkwasser gewonnen wird.

Auch in Bruchsal ist man sich dieser Probleme bewußt, zumal das Thermalwasser Gase und Salze enthält, die Anlagen und Rohrsystem negativ beeinflussen können. Kohlendioxid beispielsweise kann Korrosionsprozesse in metallenen Leitungen bewirken. Die im Auftrag des Energiekonzerns „EnBW Energie Baden-Württemberg AG“ tätigen Forscher entwickelten ein Betriebs- und Instandhaltungskonzept, das die jährliche Betriebsstundenzahl der Bruchsaler Anlage merklich steigert. Im Bereich des Kraftwerks werden die noch verbliebenen, gasförmigen Bestandteile des Thermalwassers über eine eigens konzipierte Gas-Rohrbrücke am Kraftwerk vorbeigeleitet.

Thermische Leistung deutlich erhöht

Und: Die Geothermie-Nutzung eignet sich nicht für Regionen, in denen es häufiger Erdbeben gibt. Ist es doch notwendig, tiefe Löcher in den Boden zu bohren, ein Vorgang, der Erschütterungen bewirkt. Und infolge des Drucks, mit dem das Wasser nach der Energieentnahme wieder in den Boden injiziert wird, können leichte Vibrationen hervorgerufen werden. Im Hinblick auf die Seismizität wird auf dem Portal quarks.de allerdings eine differenzierte Einschätzung getroffen. So halten Experten dieses Risiko bei der hydrothermalen Geothermie – also der Wärmegewinnung aus kilometertiefen Grundwasserschichten – für kontrollierbar. Es sei im direkten Umfeld der Bohrung vergleichbar mit einem vorbeifahrenden Zug.

Kritischer schaut es hingegen beim „Hot-Dry-Rock-Verfahren“ aus, bei dem Gesteinsschichten in der Tiefe gezielt aufgebrochen werden. Hier wird die Spannung im Gestein merklich beeinflußt, was Erdbeben verursachen kann. Ein solcher Fall ereignete sich 2017 in Pohang (Südkorea). Nachdem das Tiefengestein über nahezu zwei Jahre mit einem Druck bis zu 900 Bar manipuliert worden war, kam es zu einem Beben der Stärke 5,5 auf der Richterskala.

Bliebe noch die Frage der Kosten. Dem Portal kesselheld.de zufolge gibt es hier im Hinblick auf die Bohrungen eine Spanne, die von 7.000 bis 20.000 Euro reicht. Die Bohrlöcher benötigen dabei Tiefen zwischen 50 und 200 Metern, wobei die Kosten in laufenden Metern berechnet werden. Hier seien zwischen 30 und 80 Euro je Meter zu veranschlagen. Die Bohrgenehmigungen betragen laut kostencheck.de zwischen 150 und 500 Euro. Die Aufwendungen für Wärmepumpen belaufen sich, wie thermondo.de schreibt, auf etwa 40.000 bis 45.000 Euro. 

Dem Statistischen Bundesamt zufolge hat sich die thermische Leistung der auf bundesdeutschem Territorium befindlichen Anlagen in den zurückliegenden Jahren deutlich erhöht. So stieg die Nettowärmeerzeugung von 80.790 MWh im Jahr 2003 auf 1.217.488 MWh im Jahr 2021. Laut einer am 12. Mai 2023 auf statista.com veröffentlichten Meldung stammen rund neun Prozent der regenerativ erzeugten Wärme aus oberflächennaher Geothermie.

Ein kleiner Anfang dürfte also auch im Bereich der Geothermie gemacht worden sein, um Deutschland in Sachen Wärme- und Energieerzeugung unabhängiger von Importen zu machen.

Titelphoto: Bohrgrundstück der „Erdwärme Grünwald GmbH“ (EWG) nahe dem Weiler Laufzorn bei Oberhaching in Oberbayern. Die Bohrung soll eine Tiefe von 3500 Metern erreichen.

ОК
Im Interesse der Benutzerfreundlichkeit verwendet unsere Internetseite cookies.