Die deutsch-russischen Beziehungen, die seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine von deutschen Politikern vorsätzlich ruiniert wurden, haben einen neuen Tiefpunkt erreicht. Schuld daran ist ausnahmsweise nicht Bundeskanzler Scholz oder Bundesaußenministerin Baerbock, sondern die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie ließ jetzt in zwei Gesprächen mit dem "Spiegel" und "Zeit Online" eine Bombe platzen: sie räumte ein, daß der Westen und insbesondere die Bundesregierung nie ein Interesse daran hatten, daß das Minsker Abkommen – das eigentlich ein Ende der Feindseligkeiten im Donbass sicherstellen sollte – eingehalten wurde.
Wörtlich erklärte die Ex-Kanzlerin: "Und das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben. Sie hat diese Zeit auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht."
Merkels posthumes Eingeständnis legt die Axt an die Wurzel der westlichen Propagandafloskel vom "russischen Angriffskrieg." Hartnäckig blenden westliche Politiker bis heute die Vorgeschichte des Krieges aus, die 2014 mit dem Machtwechsel in Kiew und der damit einsetzenden Drangsalierung der russischstämmigen Bevölkerung in der Ostukraine begann. Der Kreml hingegen ruft diese acht Jahre eines schwelenden Dauerkonflikts, der tausende Russischstämmige das Leben kostete, bis heute unablässig in Erinnerung. Nicht ohne Grund wird in Rußland von vielen die Auffassung vertreten, man hätte der permanenten Aggression vonseiten des Kiewer Regimes eigentlich viel früher – und nicht erst im Februar 2022 – entgegentreten müssen.
Das Protokoll von Minsk I, das am 5. September 2014 in der weißrussischen Hauptstadt unterzeichnet wurde, faßte die Ergebnisse der bis dahin geführten Verhandlungen zwischen der Ukraine, der OSZE und Rußland für einen Friedensplan zusammen. Die Vereinbarung erlangte am 17. Februar 2015 durch die Verabschiedung der gleichlautenden Resolution 2202 (2015) des UN-Sicherheitsrates den Status eines völkerrechtlich bindenden Vertrages, der von beiden Konfliktparteien einzuhalten war.
Das Protokoll umfaßt zwölf Punkte und sah unter anderem vor, die unverzügliche beiderseitige Unterbrechung der Anwendung von Waffengewalt und die jederzeitige Überprüfung der Waffenruhe durch die OSZE zu gewährleisten. Außerdem schrieb es eine Dezentralisierung der Macht in der Ukraine fest, unter anderem durch die Verabschiedung eines Gesetzes über die vorübergehende Selbstverwaltung "in bestimmten Regionen der Gebiete Donezk und Lugansk." Darüber hinaus sollten "Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Situation im Donbass" eingeleitet und vorgezogene Kommunalwahlen in den strittigen Gebieten vorbereitet werden.
Wichtiger noch: alle illegalen bewaffneten militärischen Formationen, ihr militärisches Gerät sowie Freischärler und Söldner sollten abgezogen und ein Programm zum wirtschaftlichen Wiederaufbau des Donbass und der "Wiederherstellung der Lebensfunktionen der Region" beschlossen werden. Letzteres war erforderlich, weil die permanente Beschießung durch ukrainisches Militär und Milizen wie das Asow-Bataillon (später Regiment) anhaltende Schäden an der Infrastruktur in der Region angerichtet hatte; so wurde etwa der neue Flughaften von Donezk während der Kämpfe 2014/15 komplett zerstört.
Während Rußland auf die prompte Umsetzung der Minsker Vereinbarungen setzte, um eine Befriedung der unmittelbar an Rußland angrenzenden Gebiete zu erreichen, betrachteten westliche Politiker – wie die deutsche Ex-Kanzlerin jetzt freimütig zugab – das Abkommen lediglich als Mittel zum Zeitgewinn. Auch der ukrainische Ex-Präsident Poroschenko hatte sich vor geraumer Zeit fast wortgleich in diesem Sinne geäußert.
Während Merkels Eingeständnis in den deutschen Medien allenfalls am Rande thematisiert wurde, sorgte es international für ein erhebliches Echo. Russische Medien berichteten ausführlich darüber. Kremlchef Putin nahm in einer Pressekonferenz am 9. Dezember dazu Stellung und zeigte sich persönlich tief enttäuscht von Merkels Doppelspiel. Wörtlich: "Offen gesagt, habe ich nicht erwartet, das von der ehemaligen Bundeskanzlerin zu hören, denn ich bin immer davon ausgegangen, daß die Führung der Bundesrepublik Deutschland uns gegenüber aufrichtig ist."
Nunmehr sei jedoch offensichtlich, "daß wir alles richtig gemacht haben, was die Einleitung der Militäroperation angeht. Warum? Weil sich herausgestellt hat, daß niemand all diese Minsker Abkommen umsetzen wollte."
Angesichts der Merkel-Äußerungen sei nun "das Vertrauen fast gleich Null." Nach "solchen Äußerungen stellt sich natürlich die Frage des Vertrauens: Wie und worüber kann man verhandeln, und kann man mit irgendjemandem verhandeln, und wo sind die Garantien? Das ist natürlich die große Frage", sagte Putin. Man werde sich zwar am Ende trotz allem irgendwie einigen müssen. Man werde aber künftig besonders gut hinsehen müssen, "mit wem wir es zu tun haben."
Deutlicher und weniger diplomatisch äußerte sich die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. Sie forderte angesichts jüngster westlicher Rufe nach einem internationalen Tribunal für angebliche russische Kriegsverbrechen in der Ukraine, Merkel vor ein internationales Tribunal zu stellen. Merkels Aussage bedeute nicht weniger, als daß sie jahrelang auf einen Krieg mit Rußland hingearbeitet habe.
Tatsächlich ist die Grundlage für eine konstruktive, vertrauensvolle bilaterale Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Rußland nun bis auf weiteres ruiniert. Der Vertrauensverlust ist deshalb besonders groß, weil er nicht erst durch die derzeitige Regierung unter Bundeskanzler Scholz herbeigeführt wurde, die erst ein Jahr im Amt ist. Vielmehr wurde die deutsche Frontstellung gegen Rußland bereits in den langen Jahren der Vorgängerregierung unter Angela Merkel zielstrebig eingeleitet.
Diesen Merkelschen Verrat wird Moskau nicht vergessen.