Operationsplan Deutschland – Wehe, wenn Putin losschlägt!

Die BRD sucht die Konfrontation mit Rußland, aber auf den militärischen Ernstfall wäre sie nicht vorbereitet

Die BRD und ihre amorphe Gesellschaft werden derzeit mit Hochdruck auf Kriegskurs gebracht. Nicht nur die Bundeswehr, die fast zwei Jahre nach der von Kanzler Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ immer noch weithin marode dasteht, sondern auch die Gesellschaft und ihre Institutionen sollen, wenn es nach dem Willen der Politik geht, zunehmend in den Status einer umfassenden Kriegsbereitschaft versetzt werden.

Als neue Bedrohung hat die deutsche Politik – Natürlich! Wen sonst? – Rußland und seinen Präsidenten Wladimir Putin ausgemacht. Ihm wird von westlichen Politikern und einschlägigen „Experten“ freihändig unterstellt, er wolle nach dem sich abzeichnenden Sieg in der Ukraine weiter nach Westen ausgreifen und als nächstes Länder wie Polen oder die baltischen Staaten unter Druck setzen – bis hin zur militärischen Aggression.

Daß Putin ein ums andere Mal erklärt, Moskau verfolge in der Ukraine klar begrenzte politische Ziele – vor allem den Nicht-Beitritt des Landes zur NATO –, wird dabei geflissentlich unter den Tisch gekehrt. Das westliche Militärbündnis hat sich auf einen Kurs der umfassenden Konfrontation festgelegt. Dieser muß nun von den Mitgliedsländern auf die jeweilige nationale Ebene heruntergebrochen und in nationale Verteidigungsanstrengungen umgesetzt werden.

Auch in Deutschland überbieten sich Verantwortliche und Experten in alarmistischen Warnungen. „Wir haben jetzt ungefähr fünf bis acht Jahre, in denen wir aufholen müssen“, mahnt Bundesverteidigungsminister Pistorius (SPD) – „sowohl bei den Streitkräften als auch in der Industrie und in der Gesellschaft“.

Auch Christian Mölling, Vizechef des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, zeigt sich besorgt und warnt vor einem Wettlauf mit der Zeit: „Das Fenster zu einem möglichen russischen Angriff öffnet sich, sobald Rußland den Eindruck hat, ein Angriff, etwa im Baltikum, könnte erfolgreich sein.“ Mölling sieht immerhin ein Zeitfenster von bis zu zehn Jahren, das noch bleibe, um Vorkehrungen in die Wege zu leiten.

Malen gerne den Teufel Putin an die Wand – als Vorwand für militärisch-technische und zivil-psychologische Aufrüstung:

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Der Politikwissenschaftler Christian Mölling (* 1973 in Bad Oeynhausen) ist stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung des DGAP in Berlin. Ab Oktober 2015 war Mölling als Senior Research Fellow der Abteilung Sicherheitspolitik beim German Marshall Fund in Berlin tätig.

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Carlo-Antonio Masala (* 27. März 1968 in Köln), Kind einer österreichischen Verkäuferin und eines sardischen Gastarbeiters, ist ab 2007 Professor für Internationale Politik an der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften der Universität der Bundeswehr München. Ab 2004 arbeitete er als Research Advisor am NATO Defense College in Rom. Von 2006 bis 2007 war er dort Deputy Director in der Academic Research Branch.

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Der Historiker Sönke Neitzel (* 26. Juni 1968 in Hamburg) war 2011/12 Professor für Modern History an der University of Glasgow und von 2012 bis 2015 für International History an der London School of Economics. Seit 2015 ist er Lehrstuhl-Inhaber für Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt am Historischen Institut der Universität Potsdam und damit der derzeit einzige Professor für Militärgeschichte in Deutschland.

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André Wüstner (* 1974 in Bad Königshofen im Grabfeld) ist Oberst des Heeres der Bundeswehr und seit 2013 Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV).

Doch davon ist noch nicht viel zu sehen. Zwar hat die Bundesregierung im Kielwasser der „Zeitenwende“ des Kanzlers eine Nationale Sicherheitsstrategie vorgelegt. Es ist die erste in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt. In die Praxis umgesetzt ist davon aber bislang wenig. Deutschland sei „sicherheits- und verteidigungspolitisch wieder in den Friedensmodus“ und „alte Bequemlichkeit“ zurückgefallen, kritisiert der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München, der seit Beginn des Krieges in der Ukraine fast omnipräsent vor Rußland warnt. Die Bundesrepublik sei als Staat „noch immer nicht kaltstartfähig“. Das gelte nicht nur für die Bundeswehr, sondern für sämtliche staatlichen Institutionen.

Das soll sich nun ändern. Die Gesellschaft müsse in ein verteidigungspolitisches Gesamtkonzept einbezogen werden, vergleichbar etwa der „Total Defence“ einiger skandinavischer Länder, ist von Oberst André Wüstner, dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes zu hören. In den kürzlich aktualisierten verteidigungspolitischen Richtlinien des Wehrressorts heißt es ähnlich: die „Bedingung erfolgreicher Gesamtverteidigung ist die Verzahnung aller relevanten Akteure bereits im Frieden: Staat, Gesellschaft und Wirtschaft.“ Das erinnert ein wenig an frühere Zeiten.

Bereits im Jahre 1935 hatte General der Infanterie Erich Ludendorff – der als Generalquartiermeister federfürhende Feldherr des deutschen Heeres im Ersten Weltkrieg – eine Broschüre mit dem Titel „Der totale Krieg“ herausgegeben. Der Begriff selbst kann als Abwandlung dessen verstanden werden, was Carl von Clausewitz 1832 als „absoluten Krieg“ bezeichnet hatte. Ludendorff plädierte für die absolute Mobilisierung eines gesamten Volkes zur Gefahrenabwehr. Voraussetzung dafür sei jedoch die seelische Geschlossenheit eines Volkes. Der totale Krieg ist nicht nur Angelegenheit einer Streitmacht, sondern durchzieht alle Bereiche eines gesamten Volkes.

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General der Infanterie Erich Ludendorff (1865-1937 ) hatte im Ersten Weltkrieg als Erster Generalquartiermeister und Stellvertreter Paul von Hindenburgs, des Chefs der Dritten Obersten Heeresleitung, bestimmenden Einfluß auf die deutsche Kriegführung und Politik.

1943 wurden die Deutschen durch Dr. Joseph Goebbels dann für den „totalen Krieg“ unter Aufbietung aller gesellschaftlicher Ressourcen mobilisiert.

Die letzten „Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung“, die in der alten West-Bundesrepublik erlassen wurden, stammen vom Januar 1989. Damals herrschte noch Kalter Krieg. Weil sich die westlichen Gesellschaften, vor allem ihre verantwortlichen Politiker, jetzt erneut im Kalten Krieg gegen Rußland sehen, kann an dieses Konzept unmittelbar angeknüpft werden.

Dabei geht es etwa um den ganzen Bereich des Katastrophenschutzes. Er wurde in den letzten Jahrzehnten tatsächlich sträflich vernachlässigt. Nun will die Bundesregierung eine überarbeitete und aktualisierte „Richtlinie Gesamtverteidigung“ vorstellen, die sowohl der neuen Bedrohungslage als auch erkannten Defiziten Rechnung trägt.

Das Bundesinnenministerium soll dazu eine Reihe von Einzelprojekten beisteuern, zum Beispiel ein Rahmenkonzept für Evakuierung und Massenanfall von Verletzten in CBRN-Lagen (chemische, biologische, radiologische und nukleare Gefahren), ein Programm für die Ertüchtigung des Technischen Hilfswerks und eine Bestandsaufnahme aller noch vorhandenen öffentlichen Schutzräume. Auch die Versorgung der Bevölkerung und der Streitkräfte mit Trinkwasser wird überprüft. Und nicht zuletzt soll wieder eine Sirenen-Infrastruktur aufgebaut werden. Diese ist derzeit nicht mehr funktionsfähig.

Aber es gibt ein Problem: auch die Modernisierung der „Gesamtverteidigung“ gibt es nicht zum Nulltarif. Sie kostet, wie auch die Ausstattung der Bundeswehr mit neuem und genügend Material, viel Geld. Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter hat einen Finanzbedarf von „zehn Milliarden Euro in zehn Jahren für den Zivil- und Katastrophenschutz“ ausgemacht.

Dieses Geld ist im Augenblick nicht vorhanden. Ehe deshalb an die „Ertüchtigung“ der deutschen Krisen-Infrastruktur gegangen werden kann, steht die Politik vor dem Problem, die erforderlichen Finanzmittel dafür bereitzustellen. Und selbst wenn diese Hürde genommen ist, wird es Jahre dauern, bis die erforderlichen Krisenschutz-Maßnahmen umgesetzt sind.

Im Territorialen Führungskommando der Bundeswehr wird dafür derzeit ein „Operationsplan Deutschland“ ausgearbeitet. Er soll bis zum Frühjahr 2024 vorgestellt werden und alles an Maßnahmen zusammenfassen, was zur Herstellung der Ernstfalltauglichkeit erforderlich ist, im zivilen und erst recht im militärischen Bereich. Aber niemand macht sich Illusionen darüber, daß die eigentliche Arbeit dann erst beginnt. „Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern vor allem ein Umsetzungsproblem“, räumt Roderich Kiesewetter ein. „Wir brauchen eine Zeitenwende für den Schutz kritischer Infrastruktur und Zivilverteidigung genauso wie für die Bundeswehr.“

Doch das wird dauern. Bis auf weiteres ist Deutschland von einer belastbaren Verteidigungsfähigkeit noch Welten entfernt. Sollte Kremlchef Putin tatsächlich auf den Gedanken kommen, in Richtung Westeuropa loszumarschieren, hätte er leichtes Spiel. Deutschland ist nur sehr bedingt abwehrbereit.

Das soll sich aber in fünf bis zehn Jahren ändern. Die Perspektiven stecken bereits die Militärhistoriker im Hintergrund ab. „Kämpfen in fünf Jahren deutsche Soldaten gegen Russen?“ Ja, durchaus vorstellbar, wenn es nach dem Militärhistoriker Sönke Neitzel, Inhaber des Lehrstuhles für Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt am Historischen Institut der Universität Potsdam, geht.

Was dazu wohl sein Schwiegervater Dr. Dirk Bavendamm sagen wird? Der schälte nämlich in seinem lesenswerten Buch „Roosevelts Krieg“ 1993 die Haupttäterschaft des US-Präsidenten F. D. Roosevelt bei der Ausweitung des Zweiten Weltkrieges heraus. Sein auf BRD-Maß zurechtgestutzter Schwiegersohn Neitzel sieht nur bei den Russen „imperiale Absichten“. Den Yankees hingegen scheint es nur um das allgemeine Wohlergehen der Menschheit zu gehen.

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