Ein Dokument der Fremdbestimmung – Die „Nationale Sicherheitsstrategie“ der Bundesregierung

Die Bundesregierung legt ihre „Nationale Sicherheitsstrategie“ vor und heizt damit die Konfrontation mit Rußland an

Die Bundesrepublik Deutschland ist kein „normales“ Land. Sie ist seit ihrer Gründung im Jahre 1949 nicht souverän. Ihre Staatsraison ist die immerwährende transatlantische Verbundenheit mit der westlichen Führungsmacht USA, die fast 80 Jahre nach Kriegsende noch immer weitreichende Privilegien als Besatzungsmacht auf deutschem Boden genießt. Über diese Rahmenbedingungen der Berliner Politik weiß die ganze Welt Bescheid, nur die Vertreter der deutschen politisch-medialen Klasse nicht.

In Wahrheit ist das Agieren der Bundesrepublik auf dem internationalen Parkett nichts anderes als Politik-Simulation mit Duldung durch die USA. Bis auf wenige Ausnahmen in der Vergangenheit sind deutsche Politiker heute nicht mehr in der Lage, originäre deutsche Interessen zu formulieren. Vielmehr setzen sie deutsche Interessen reflexhaft mit US-amerikanischen gleich.

Man muß diese Voraussetzungen deutscher Politik vor Augen haben, wenn von der vor wenigen Wochen vorgestellten „Nationalen Sicherheitsstrategie“ der Bundesregierung die Rede ist. Es ist die erste ihrer Art, und schon das ist verwunderlich. Offenbar gab es jahrzehntelang keine Veranlassung, die Koordinaten, Rahmenbedingungen und Handlungserfordernisse der nationalen Sicherheit verbindlich zu fixieren. Und genau das trifft zu: Berlin ist durch die große westliche Vormacht USA de facto absorbiert. Es gibt keine originär deutschen Sicherheitsfragen, die den Deutschen nicht von den USA abgenommen und von diesen in deren eigenem nationalen Interesse behandelt würden.

Wie formulierte es der sozialdemokratische Staatsrechtler Carlo Schmid (1896-1979) – er gehörte zu den sogenannten „Vätern des Grundgesetzes“ für die Bundesrepublik Deutschland – am 8. September 1948 anläßlich seiner Grundsatzrede vor dem Parlamentarischen Rat zu Bonn so treffend? „ … Was aber das Gebilde (der bald danach etablierten Bundesrepublik) von echter demokratisch legitimierter Staatlichkeit unterscheidet, ist, daß es im Grunde nichts anderes ist als die Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft; denn die trotz mangelnder Freiheit erfolgende Selbstorganisation setzt die Anerkennung der fremden Gewalt als übergeordneter und legitimierter Gewalt voraus.“

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Prof. Dr. Carlo Schmid erkannte sehr früh die Souveränitätsdefizite der von Washingtons Gnaden gegründete BRD.

Man sucht deshalb in dem gut siebzig Seiten starken Papier, das der Öffentlichkeit von Kanzler Scholz (SPD), Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und vier weiteren Kabinettsmitgliedern am 14. Juni 2023 präsentiert wurde, alles vergebens, was spezifische deutsche Interessenlagen identifizieren würde: zum Beispiel die Sicherstellung der Ernährung, die Versorgung mit Energie und Rohstoffen, die Erhaltung oder Herstellung gutnachbarlicher Beziehungen zu wichtigen Nachbarstaaten. Für Scholz, Baerbock und Co. ist das alles kein Thema.

Auch die „Nationale Sicherheitsstrategie“ der Bundesregierung ist eine reine Simulation. Wo sie eigentlich die Grundlagen und Ziele der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik skizzieren sollte, liefert sie Phrasen und Modefloskeln. So heißt es etwa im Vorwort von Bundesaußenministerin Baerbock: „Als großes Industrieland“ habe Deutschland eine „besondere Verantwortung“ – aber nicht etwa der eigenen Bevölkerung und ihren Zukunftsinteressen gegenüber, sondern: „seine Emissionen zu reduzieren“.

Interessant wird es im Kapitel „Deutschland in Europa und der Welt“. Auch dort werden zwar keine konkreten Interessen formuliert, dafür aber: „Unsere sicherheitspolitische Identität“. Gebetsmühlenhaft wird unter dieser Überschrift die jahrzehntelange Fremdbestimmung deutscher Politik bestätigt, indem Grundaussagen der Siegergeschichtsschreibung nach 1945 nachgebetet werden: „Wir handeln im Bewußtsein unserer Geschichte und der Schuld, die unser Land mit der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs und im Zivilisationsbruch der Shoah auf sich geladen hat. Die Versöhnung mit unseren europäischen Nachbarn und die Verantwortung für das Existenzrechts Israels bleiben uns dauerhafte Verpflichtung.“

Vor diesem Hintergrund wird die weitere „Festigung der transatlantischen Allianz und der engen und vertrauensvollen Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika“ als eines der wenigen konkret umrissenen „nationalen Interessen“ genannt. Eine eigenständige deutsche Politik ist selbstverständlich auch in Zukunft nicht vorgesehen – sehr wohl hingegen eine „feministische Außen- und Entwicklungspolitik“, wie es schon auf den ersten Seiten heißt. Bundesaußenministerin Baerbock mußte bereits des öfteren die Erfahrung machen, daß sie damit in anderen Weltteilen auf wenig Interesse stößt.

Bleibt die Formulierung positiver Handlungsziele schwammig, so wird die „Nationale Sicherheitsstrategie“ umso präziser, wo es um das Aufzeigen der künftigen Feindbilder geht. Es überrascht nicht, daß sie identisch mit denen der US- Außenpolitik sind: China und Rußland. Als Hauptgegner wird dabei Rußland identifiziert. Hier wird das Papier deutlich und bestätigt die hochriskante Konfrontationsstrategie, die sich Berlin im Kielwasser Washingtons zueigen gemacht hat. Wörtlich: „Das heutige Rußland ist auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum.“

Um dieser „Bedrohung“ Rechnung zu tragen, bekräftigt das Papier das Ziel einer massiven Aufrüstung der Bundeswehr, die „ihre militärische Präsenz im Bündnisgebiet (...) weiter ausbauen und verstetigen“ und zugleich „zu einer der leistungsfähigsten konventionellen Streitkräfte in Europa“ werden soll. Dabei soll Deutschlands Funktion „als logistische Drehscheibe im Zentrum der Allianz“ erweitert werden. Auch mit solchen Vorgaben zeigt die Bundesregierung nur, daß sie das geostrategische Kalkül Washingtons verinnerlicht hat: Deutschland war nie etwas anderes als die logistische Drehscheibe der NATO in Europa – und wäre damit im militärischen Ernstfall bevorzugtes Angriffsziel.

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Deutschland als logistische Drehscheibe und als logistischer Dienstleister der US-dominierten NATO in Europa.

Besonderen Wert legt die Bundesregierung auf die „Resilienz“. Sie meint damit die Fähigkeit der gesamten Bevölkerung, im „Konfliktfall“ stets „die nötige Widerstandskraft (...) zu entwickeln“. Dabei stünden auch die „Bürgerinnen und Bürger“ in der Verantwortung, „die bereit sind, ihren Beitrag hierzu zu leisten“. Hier werden die Konturen einer zunehmend „formierten“, ja totalitären Gesellschaft sichtbar, die sich vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges ohnehin bemerkbar machen, etwa in einer verstärkten Zensur unerwünschter Meinungsäußerungen, aber auch in der zunehmenden Repression gegen Andersdenkende.

Unter dem Strich ist die „Nationale Sicherheitsstrategie“ alles andere als ein Beitrag zur Sicherheit Deutschlands. Vielmehr schreibt sie die selbstverursachte Krise, in der sich die Bundesrepublik mittlerweile befindet, zum Dauerzustand fort und versucht sie der Bevölkerung als künftige Normalität nahezubringen. Parallel zur Vorstellung des Papiers in der Öffentlichkeit machte Baerbocks Ministerium auf Twitter klar: „Jetzt kommt es darauf an, die Nationale Sicherheitsstrategie in der gesamten Gesellschaft zu leben.“

Das kann spannend werden! Es riecht ein wenig nach der „Volksgemeinschaft“, die vor 1945 gerne beschworen wurde. Der Begriff „Volksgemeinschaft“ umschreibt die Erlebnisgemeinschaft eines Volkes als Zusammengehörigkeit von Menschen gleicher Abstammung und Kultur, denen Klassen- und Standesgegensätze fremd sind. Sie soll vorrangig das Gemeinwohl sichern.

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