Als „Insel der Demokratie“ pries das Portal „Euronews“ am 22. Mai „die zwischen den autoritär regierten Staaten China und Rußland“ gelegene Mongolei. Jene gedrechselten Worthülsen mag der eine oder andere westliche Medienkonsument gern als Aufforderung verstehen, den mongolischen Weiten einen Besuch abzustatten. Doch wie so oft geht es auch in diesem Fall nicht etwa um „Pluralismus“ und „Transparenz“, sondern um knallharte ökonomische Interessen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stattete der Mongolei im Anschluß an den jüngsten G7-Gipfel in Japan einen Besuch ab – es war der erste eines französischen Staatschefs in dem asiatischen Land. Der Élysée-Palast bezeichnete den Aufenthalt Macrons beim mongolischen Staatspräsidenten Uchnaagiin Chürelsüch als „historisch“ und als einen Besuch von „besonderer Bedeutung“.
Major a. D. Uchnaagiin Chürelsüch (* 14. Juni 1968) hat den Übergang vom kommunistischen ins kapitalistische System elegant gemeistert. Er ist seit dem 10. Juni 2021 gewählter Präsident der Mongolei. Vom 4. Oktober 2017 bis zum 21. Januar 2021 war er Premierminister des Landes
Doch worum ging es bei Macrons Visite vom 21. Mai? Laut goldinvest.de sicherte die Mongolei Frankreich die Belieferung mit jenen „kritischen Metallen“ zu, die das Land benötigt, um den Kohlenstoffausstoß seiner Ökonomie zu senken. Macron erklärte denn auch vor Journalisten: „Wir haben beschlossen, zusammenzuarbeiten, um unsere Energiesouveränität durch die Lieferung kritischer Metalle aus Ihrem Land, das über diese Ressourcen verfügt, zu stärken.“ Um die Gewinnung dieser Metalle möglich zu machen, werde die bestehende Partnerschaft mit dem Atomkonzern Orano SA von besonderer Bedeutung sein. Wie Macron weiter ausführte, werden beide Staaten sowohl auf dem Sektor der erneuerbaren Energien als auch der Atomkraft zusammenwirken, was auch auf die bilaterale und internationale Finanzierung zutreffe, um auf diese Weise die Dekarbonisierung der mongolischen Wirtschaft voranzubringen.
„Politik der dritten Nachbarn“
In der Außenpolitik legt die mongolische Führung zwar Wert auf solide Beziehungen zu den einzigen Anrainern, der Russischen Föderation und der Volksrepublik China, doch praktiziert sie parallel dazu eine „Politik der dritten Nachbarn“, worin alle bedeutsamen Akteure der Geopolitik eingeschlossen sind. Dabei werden Konflikte gemieden, wenn eine aktive Beteiligung an der Arbeit internationaler Organisationen erfolgt. Im aktuellen Rußland-Ukraine-Konflikt verfolgt die mongolische Regierung einen Kurs, der auf die Lösung „der kritischen Situation“ durch „Diplomatie und Verhandlungen“ abzielt. Und als es am 2. März 2022 in der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Resolution „Aggression against Ukraine“ zur Abstimmung kam, enthielt sich die Mongolei der Stimme.
Diese Haltung hängt nicht zuletzt mit den ökonomischen Bindungen an die beiden Nachbarn Rußland und China zusammen. So kommen 98 Prozent aller Ölerzeugnisse und 28 Prozent der Gesamteinfuhren aus Rußland. Nahezu 90 Prozent der Ausfuhren gehen in die Volksrepublik China (die Hälfte davon ist Kohle); von dort bezieht die Mongolei 80 Prozent ihrer Konsumgüter. Der einzige für die Mongolei wirtschaftlich nutzbare Hafen befindet sich zudem auf chinesischem Territorium. China hat sich 2021 einen Mammutauftrag gesichert: Voraussichtlich 2027 soll im Westen der Mongolei das mit 90 Megawatt Leistung größte Wasserkraftwerk des Landes die Stromproduktion aufnehmen; errichtet wird es von zwei Firmen der staatlichen Unternehmensgruppe PowerChina. 2021 gab es auf mongolischem Territorium neben zwölf konventionellen Kraftwerken, die Kohle und Heizöl nutzen, sieben Wasserkraftwerke und Anlagen, die Strom aus Solar- und Windkraft gewinnen. Die Asiatische Entwicklungsbank fördert mehrere Photovoltaik-Vorhaben. Bis 2030 soll die lokale Stromproduktion zu etwa 30 Prozent auf der Grundlage erneuerbarer Quellen bestritten werden.
Ein Riesen-Reservoir an Rohstoffvorkommen
Mit Gazprom unterzeichnete die Mongolei Ende Februar 2022 einen Vertrag über den Start für die technischen Explorationsarbeiten für ein Erdgaspipeline-Projekt von Rußland nach China. Die Einweihung der Erdgasleitung „Sibirien 2“ soll 2024 erfolgen. Der mongolische Staat wird davon in Gestalt von billigem Gas sowie Transitgebühren profitieren.
Die Mongolei selbst hat zudem ein gewaltiges Ass im Ärmel. Verfügt sie doch geradezu über ein Füllhorn an Rohstoffvorkommen. Sie gilt als eines der zehn ressourcenreichsten Länder der Welt, wobei man berücksichtigen muß, daß bislang nur ein Drittel der Fläche geologisch exploriert worden ist. Doch auch so sind die Zahlen mehr als beeindruckend. So hat sich, wie das Portal gtai.de am 2. Mai berichtete, der Beitrag des Bergbaus zum Bruttoinlandsprodukt des Landes im Zeitraum von 2000 bis 2022 auf rund 25 Prozent mehr als verdoppelt. Bekannt seien derzeit rund 3000 Lagerstätten von rund 50 mineralischen Ressourcen. Der Wert der im Land bekannten und vermuteten Bodenschätze wird vom Internationalen Währungsfonds auf bis zu drei Billionen Dollar geschätzt.
Zugpferde sind dabei die metallischen Erze, auf die im vergangenen Jahr mehr als zwei Drittel des Gesamtausstoßes im Bergbau entfielen. Kohle machte ein gutes Fünftel aus. In größerem Umfang werden in der Mongolei in erster Linie Eisen, Gold, Molybdän, Silber, Uran und Wolfram gefördert. Die geologischen Vorarbeiten reichen dabei teils weit zurück. So beteiligten sich im Zeitraum von 1963 und 1971 Bergbauexperten der damaligen DDR an der Suche und am Aufschluß von Goldlagerstätten; von 1973 bis 1975 erkundeten sie Wolframit-Vorkommen in der Gegend von Bürentsogt.
Frankreich sicherte sich Platz im Boot
Die immensen Vorkommen an Bodenschätzen wecken natürlich Begehrlichkeiten. Das Zauberwort lautet hierbei „Lizenz“. Ende März 2023 gab es 2584 jener Konzessionen, die Erkundung und Abbau von Rohstoffvorkommen gestatten. Mongolische Unternehmen halten dabei ungefähr 80 Prozent der Lizenzen. Die hierbei am stärksten vertretene ausländische Nation ist China.
Zudem wagt die Mongolei im Hinblick auf die Rohstofförderung den Aufbruch zu neuen Ufern. Dazu gehören neben der Förderung von Kohleflözgas auch Bodenschätze, die von strategischer Bedeutung sind. Denn auch bei Lithium und Seltenerdmetallen ist die Mongolei sehr gut aufgestellt. Das hat der kanadische Lithium-Explorer ION Energy frühzeitig erkannt – und sich mehrere vielversprechende Lithiumsoleprojekte gesichert. Bei den Seltenerdmetallen steht in erster Linie die Khotgor-Lagerstätte im Mittelpunkt. Laut gtai.de verspricht die angepeilte industrielle Nutzung eine Ausbeute von über zwei Millionen Tonnen unterschiedlicher Seltenerdmetalle. Mit ersten Förderaktivitäten, zunächst in Form einer kleineren Pilotanlage, sei noch im ersten Halbjahr 2023 zu rechnen. Getragen wird das Khotgor-Projekt von drei Unternehmen aus Großbritannien, Australien und der Mongolei.
Doch auch Frankreich hat sich bereits einen Platz im XXL-Boot gesichert. Der Konzern Orano S. A. (Paris), ein auf dem Gebiet der Herstellung und des Verkaufs von Nukleartechnikanlagen und -brennstoff tätiger Staatskonzern, entwickelt in der Mongolei eine Uranmine. Eine weitere Korsettstange ist ein Joint Venture, an dem der französische Atomkonzern Areva und das mongolische Unternehmen Mon-Atom beteiligt sind. Die entsprechende Planungssicherheit hat das Gemeinschaftsunternehmen bereits, da es drei Bergbaulizenzen zur Ausbeutung von Uranvorkommen erhielt.
Abhängigkeit des Westens von russischem Uran
Im Hinblick auf die Umweltziele äußerte sich Macron während seines Besuchs ausgesprochen generös: Sein Land werde die Mongolei – sie bezieht bis zu 90 Prozent ihrer Energieerzeugung aus Kohle – bei der Umstellung auf nachhaltigere Alternativen unterstützen, was nach französischer Lesart bedeutet: Bau von Atomkraftwerken. Eines will die börsennotierte, staatlich kontrollierte Elektrizitätsgesellschaft Électricité de France S. A. (EDF) errichten.
Dabei kriselte es in Frankreichs Atomindustrie zuletzt durchaus gewaltig. Niedrige Pegelstände in vielen Flüssen, die Reaktoren mit Kühlwasser speisen, ein pandemiebedingter Wartungsstau sowie feine, offenbar durch Korrosion ausgelöste Risse in einigen Anlagen sorgten in Paris für heftige Kopfschmerzen. Noch Anfang des Jahres war rund ein Viertel der 56 französischen Reaktoren aufgrund von Wartungs- oder Reparaturarbeiten außer Betrieb.
Zum „nuklearen“ Engagement Paris‘ in der Mongolei zählt ein Aspekt, der im Zuge der Berichterstattung über Macrons Staatsbesuch kaum eine Rolle gespielt hat. Nicht nur in Helsinki, Sofia, Budapest oder auch Preßburg müssen sich die Verantwortlichen eingestehen, von russischem Uran abhängig zu sein, zumal es sich nicht auf den Sanktionslisten der EU befindet. Auch Frankreich pflegt Kontakte zu Rosatom, und zwar sehr enge. Zugeben will das im offiziellen Paris – wegen des Ukraine-Krieges – niemand so gern. Orano zufolge wurden mit Ausbruch des Krieges im Februar 2022 die Atomtransporte in beide Richtungen eingestellt. Gegenüber der „Wirtschafts-Woche“ verwies das Unternehmen im Mai 2022 auf seine „sehr geringen“ Aktivitäten mit Rußland, das in den Auftragsbüchern lediglich 0,1 Prozent einnehme.
Ein Greenpeace-Bericht
Agnès Pannier-Runacher, die französische Ministerin für Energiewende, setzte am 6. Dezember 2022 vor der Assemblèe Nationale noch einen drauf, indem sie behauptete: „Ich werde klarstellen: Frankreich ist beim Betrieb von Kernenergie-Infrastruktur nicht von Rußland abhängig.“ Die Atomindustrie sprang der Ministerin eilfertig zur Seite: Frankreich führe kein natürliches Uran ein, das aus russischen Minen gewonnen wird. Andere Quellen kommen zu genau entgegengesetzten Ergebnissen. So berichtete die Zeitung „Le Monde“ am 12. März, daß der Uranhandel zwischen Frankreich und Rußland in der Praxis unvermindert fortgesetzt werde. So nutze Frankreich weiterhin eine in Sibirien befindliche Anlage, um dort radioaktive Stoffe zu „recyceln“, also wiederzuverwerten.
Die Wirtschaftsmanagerin Agnès Pannier-Runacher (*19. Juni 1974 in Paris) ist nach Positionen als Staatssekretärin im Finanz- und Wirtschaftsministerium (2018–2020) und Industrieministerin (2020–2022) seit dem 20. Mai 2022 Ministerin für die Energiewende
Die aufgrund diverser Aufsichtsratsposten enorme vermögende Pannier-Runacher gehört der Bewegung „Territoire et progrès“, einer Art linkem Flügel von Emmanuel Macrons Partei „La République en Marche“, an.
Tags zuvor hatte Greenpeace einen Bericht veröffentlicht. Ihm zufolge kontrolliert Rußland den Großteil der natürlichen Uraneinfuhren aus Kasachstan und Usbekistan. Letztere machen nahezu die Hälfte des Natur-Urans aus, das Frankreich Jahr für Jahr importiere. Neben natürlichem Uran habe Paris seine Importe von russischem angereichertem Uran nahezu verdreifacht. 2022 seien alle französischen Exporte von wiederaufbereitetem Uran (URT) nach Rußland geschickt worden, das über die einzige Anlage der Welt verfüge, die in der Lage ist, URT zu verarbeiten. Greenpeace konstatiert: „Die französische Atomindustrie ist weit davon entfernt, eine Garantie für die französische Energiesouveränität zu sein, sondern ist daher in allen Phasen des Uranwegs von der russischen Atomindustrie abhängig, ohne daß eine glaubwürdige Alternative möglich ist.“
Das Engagement der Franzosen in der Mongolei kann vor diesem Hintergrund als Versuch gewertet werden, die Quellen ihrer Versorgung mit Kernbrennstoffen zu diversifizieren. In trockenen Tüchern ist dabei noch nichts, zumal auch russische Unternehmen auf dem mongolischen Markt operieren bzw. sich hier bereits etablierten.
Ulaan-Baatar war einst Knotenpunkt der Karawanenstraßen zwischen China und der Sowjetunion. Und auch für die heutige Zeit gilt: Der Weg wird wiederum über Rußland oder China führen, wenn es um die Lieferung von Ressourcen aus der Mongolei nach Europa geht.