Vor einem Monat im April 2022 wurde in Pakistan der beliebte Ministerpräsident Imran Khan abgesetzt. Der Machtwechsel geschah unter effektiver Mitwirkung und im Interesse von den USA und Großbritannien. Die Hauptzielscheibe des Staatsstreiches ist China. Jahrzehntelang war Pakistan der Grundstein der chinesischen Strategie in Asien. Die engste Zusammenarbeit mit Islamabad sicherte für Peking den Zugang zum Indischen Ozean und die Präsenz in der strategischen Region, die an den Persischen Golf angrenzt. Die Sicherheit der westlichen Provinzen von China wurde auch im wesentlichen Maße durch „Sonderbeziehungen“ zu Pakistan gewährleistet. Nun kommt doch die Auspressung von Chinesen aus Pakistan fast unausweichlich vor. Zugleich kann der Versuch von Washington und London, so grob Peking aus der Region „zu liquidieren“, zu einem Gegenergebnis führen – zur Annäherung von zwei Erzrivalen China und Indien: Die zwei weltweit größten Länder werden die lästige Vormundschaft ehemaliger Kolonisatoren los und bestimmen gemeinsam die Zukunft des ganzen Indopazifiks.
China nahm freundschaftliche Beziehungen zu Pakistan gleich danach auf, als in Peking die neue kommunistische Macht sich fest behauptet hatte. Doch eine schnelle Entwicklung der chinesisch-pakistanischen Beziehungen fing etwa später an – in den 60-er Jahren des 20. Jahrhunderts. Damals setzte Peking auf Islamabad in seiner regionalen Konfrontation mit Indien. China und die Islamische Republik Pakistan vereinbarten eine strategische Zusammenarbeit und leisteten einander eine umfassende politische Unterstützung. Pakistaner übergaben Chinesen ein Stück des mit Indien umstrittenen Kaschmirs, unterstützten Pekings Politik in der Xinjiang-Region und in der Frage von Taiwan-Angehörigkeit. China seinerseits versprach Islamabad, im Falle eines großen Krieges gegen Indien einzutreten, leistete militärische und wirtschaftliche Hilfe. Eine Einzelseite ist ein faktisch mit Pakistan und westlichen Ländern gemeinsamer Krieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan.
Seit der Entstehung Pakistans war Washington der ältere Hauptpartner der islamischen Republik. Doch nach dem Zerfall der Sowjetunion nahmen die USA den Kurs auf die Annährung mit Indien. Amerikaner waren gegenüber Islamabads Militäratomprogramm negativ eingestellt, beobachteten gleichzeitig ganz ruhig die Entwicklung gleicher Projekte in Delhi. Die amerikanische Militärhilfe an Pakistan wurde beinahe komplett gedrosselt. China konnte nicht umhin, das auszunutzen. Enge Beziehungen wuchsen zu einem strategischen Bündnis hinüber. Eine massive militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde aufgenommen. Chinesen halfen Pakistan bei der Entwicklung der Atomindustrie, des Raketen-, Flugzeug- und Panzerbaus, der Umsetzung von Infrastrukturprojekten, darunter auch der Modernisierung des strategischen Karakorum Highways, der die zwei Länder direkt verbindet. Die Hauptaufgabe Chinas wurde es, den sicheren Zugang zum Indischen Ozean nah dem pakistanischen Hafen Gwadar in der Mündung von der Straße von Hormus zu gewähren. Chinesen bauten in Gwadar einen Tiefwasserhafen und planten, dort einen Marinestützpunkt zu dislozieren.
Doch die Aufrechterhaltung des pakistanisch-chinesischen strategischen Bündnisses wurde in Frage gestellt, nachdem der „national orientierte“ Ministerpräsident Imran Khan abgesetzt worden war, der auf die Entwicklung der Beziehungen zu China und Russland setzte. Der Machtwechsel in Pakistan geschah gleich nach dem Besuch ins Land des CIA-Chefs William Burns, der einflussreiche Leiter der pakistanischen Armee und Aufklärung dazu brachte, den im Volk beliebten Ministerpräsidenten zu stürzen. Khan wurde von dem Vertreter eines alten einflussreichen probritischen pandschabischen Klans Shehbaz Sharif abgelöst. Und falls früher Militärstreiche und „prowestliche“ Orientierung sowie die Unselbständigkeit des oder jenes pakistanischen Regierungschefs für Peking kein besonderes Problem darstellten, hat sich aber die Situation nun, beim angefangenen Europa-Krieg und einer beispiellosen Konfrontation auf der Weltbühne, hart verändert. China wird aus dem Land ausgepresst, man wird gegen China in Afghanistan und in der muslimischen Xinjiang-Region mit pakistanischen Kräften kämpfen, ohne Rückblick auf das eigentliche Nationalinteresse Pakistans.
Eigentlich hat China Probleme in Pakistan schon jetzt bekommen. So haben zum Beispiel nach dem Machtwechsel die Terrorgruppierungen in der Republik den Kopf gehoben. Nach den Angaben des Pakistanischen Instituts für Konflikte- und Sicherheitsforschung (PICSS), stieg die Zahl der Terroranschläge im April 2022 um 24 Prozent im Vergleich zum März. Ein Löwenanteil der Anschläge fällt auf die an Afghanistan angrenzenden Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan. Genau in Belutschistan liegt der von Chinesen begehrte Hafen Gwadar. Sofort fingen überdies Angriffe auf chinesische Objekte an. So griff am 26. April die Balochistan Liberation Army die Universität in Karatschi an. Während des Angriffs wurden der Direktor der Lokalvertretung des Konfuzius-Instituts und dessen zwei Mitarbeiter getötet. Terroristen haben es nie verborgen, dass sie auf Chinesen Attacken ausüben, weil sie gegen Chinas Präsenz im Hafen Gwadar und massenhafte Investitionen in die Provinzen auftreten. Selbstverständlich hat sowohl die pakistanische Regierung, als auch die Vertretung der Volksrepublik China den Terroranschlag hart verurteilt. Doch aus China kam eine recht heftige und für China nicht typische Warnung. Der Ex-Chefredakteur der chinesischen staatlichen Zeitung Global Times Hu Xijin rief dazu auf, auf die in Pakistan stationierten Kämpfer, die das chinesische Nationalinteresse und die Sicherheit der chinesischen Staatsangehörigen gefährden, Luftangriffe auszuüben. Das chinesische Interesse gefährden nicht nur Anschläge in Pakistan, sondern auch die Destabilisierung in Afghanistan, wo es grade eben gelungen war, sich mit der neuen Taliban-Macht zu einigen und das chinesische Interesse im Lande zu sichern. Die Instabilität und Risiken der Konstruktion, die sich auf Pakistan stützt, können zu einer allmählichen Überprüfung der chinesischen Strategie in Südasien führen. Peking hat Interesse an dem Frieden und der Stabilität in der Region sowie der Gewährleistung mindestens einer handelswirtschaftlichen Präsenz im Stromgebiet des Indischen Ozeans. Eine kritische Lage im Welthandel und die Krise im Westen zwingen China dazu, friedliche, stabile und sichere Märkte zu erschließen, wenn die vom Westen vom außen mitgebrachten Instabilitätselemente aus der Region einfach weggeschmissen werden müssen. Zu einem selbstverständlichen Verbündeten Chinas kann dabei, wie auch komisch das sein dürfte, sein ewiger Rivale Indien werden, das vor dem Hintergrund der westlichen Krise seine Stimme auch stärkt, wenn auch nicht auf der Weltbühne, auf der regionalen aber schon.
Von einem Tauwetter in den indisch-chinesischen Beziehungen nach dem Anfang des Ukraine-Konflikts zeugt der im April stattgefundene Besuch in Delhi des Staatsrats und Außenministers Chinas Wang Yi. „China begrüßt das Konzept des sogenannten „monopolaren Asiens“ nicht und respektiert die traditionelle Rolle Indiens in der Region. Wenn China und Indien einmütig sprechen, hört ihnen die ganze Welt zu. Wenn China und Indien sich an den Händen fassen, achtet die ganze Welt darauf, “ erklärte Wang während seines Besuchs in die indische Hauptstadt. Laut ihm sollten Peking und Delhi wie zwei asiatische Großmächte zusammenhalten, die beiden Länder sollten sich auf die nationale Erneuerung richten, aber keine Gefahr für einander darstellen. Diese strategischen Erklärungen werden auch mit der bestimmten wirtschaftlichen Grundlage belegt. So nimmt trotz der Grenzkonflikte der Handelsumsatz zwischen beiden Ländern rasch zu. Erstmals in der Geschichte war das gegenseitige Handelsvolumen 2021 über 100 Milliarden Dollar und erreichte damit auf einmal 125 Milliarden. Der Wachstumstrend bleibt auch in diesem Jahr erhalten. Im ersten Quartal 2022 stieg der Handelsumsatz um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahreswert. Deswegen kann im Großen und Ganzen die sich zuspitzende Krise in Europa und im Westen eine Grundlage für eine neue geopolitische Lage in Asien schaffen, wo China und Indien alle Außenakteure von der Situation in der Region beseitigen und ihre Zukunft gemeinsam bestimmen.