Ein Gespenst geht um in Deutschland: die Alternative für Deutschland (AfD). Exakt zehn Jahre nach ihrer Gründung und im zweiten Jahr der „Ampel“-Regierung unter Kanzler Scholz (SPD) eilt sie in den Meinungsumfragen von einem Hoch zum nächsten. Wären jetzt Bundestagswahlen, käme die AfD bundesweit auf mehr als 20 Prozent. In einigen der östlichen Bundesländer – der früheren DDR – ist sie inzwischen stärkste politische Kraft und könnte auf Spitzenergebnisse von bis zu 32 Prozent hoffen. Steht Deutschland ein politischer Erdrutsch bevor? Wird dank der AfD bald alles besser?
Vor übertriebenen Hoffnungen muß gewarnt werden – schon aus statistischen Gründen. Der Anteil der Menschen mit „Migrationshintergrund“ an der bundesdeutschen Gesamtbevölkerung liegt heute offiziell bei 28,7 Prozent (2022); Migranten wählen – auch wenn sie eingebürgert sind und als vermeintlich „deutsche“ Staatsbürger ihre Stimme bei Wahlen abgeben dürfen – erfahrungsgemäß bevorzugt links. Infolgedessen ist das Wählerpotential für eine konservativ-rechte Partei in Deutschland heute ungleich kleiner als noch vor 20 Jahren.
Hinzu kommt, daß Wahlen in Deutschland nicht im Osten entschieden werden, wo die AfD stark ist, sondern im bevölkerungsreicheren Westen, wo die Bereitschaft, sie zu wählen, viel geringer ist. Daß die AfD deutschlandweit irgendwann auch nur in die Nähe der absoluten Mehrheit gelangt, ist deshalb relativ unwahrscheinlich. Und selbst jetzt, angesichts der verheerenden Folgen der „Ampel“ in nahezu allen Bereichen der Politik, sind nur rund ein Fünftel der Deutschen bereit, der AfD wenigstens eine Chance zu geben. Die restlichen 80 Prozent sind mit der Katastrophe, die sich vor ihren Augen abspielt, offenbar zufrieden und wollen keine Änderung.
Aber auch die Hoffnungen vieler ihrer Sympathisanten, daß sich mit einer Regierungsübernahme oder auch nur einer Regierungsbeteiligung der AfD alles zum besseren wenden wird, sind realitätsfern. Nicht nur aus den genannten statistischen, sondern auch aus politischen Gründen. In vielen Bereichen ist die AfD, die sich selbst „Alternative für Deutschland“ nennt, alles andere als eine Alternative zur Politik der Altparteien.
Man muß daran erinnern, daß die Partei 2013 nicht als soziale oder nationale Alternative zur Politik der Merkel-Ära gegründet wurde, sondern als wirtschaftsliberale, pro-westliche Partei der Besserverdienenden, denen die auch bei CDU/CSU vertretenen Egalitaristen immer mehr an den Geldsack griffen.
Daran hat sich bis heute wenig geändert. Erst dieser Tage kam einer der bundesdeutschen Top-Ökonomen, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW), Marcel Fratzscher, in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, daß viele AfD-Wähler – also Geringverdiener und sozial Schwächere – von einer AfD-Regierung keinerlei Vorteil hätten: keine Bundestagspartei wünscht sich stärkere Einschnitte bei den Sozialleistungen als die AfD, während sie etwa Spitzenverdiener durch Steuersenkungen bevorzugen möchte.
Die vier zur Zeit wichtigsten Personen in der AfD:
Der Malermeister Tino Chrupalla (* 14. April 1975 in Weißwasser/Oberlausitz) wurde 2017 als Direktkandidat des Wahlkreises Görlitz/Schlesien in den Deutschen Bundestag und am 30. November 2019 neben Jörg Meuthen zu einem der beiden AfD-Bundessprecher (Parteivorsitzenden) gewählt. Gemeinsam mit Alice Weidel ist Chrupalla seit September 2021 Vorsitzender der AfD-Bundestagsfraktion und seit Juni 2022 Bundessprecher. Außenpolitisch forderte Chrupalla 2017 ein Ende der nach der völkerrechtswidrigen russischen Annexion der Krim 2014 verhängten Rußland-Sanktionen, weil die Wirtschaft seines Landkreises darunter leide.
Die promovierte Volkswirtin Alice Elisabeth Weidel (* 6. Februar 1979 in Gütersloh) ist seit dem 30. September 2021 in einer Doppelspitze mit Tino Chrupalla Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion und seit dem 18. Juni 2022 ebenfalls mit Chrupalla Bundessprecherin ihrer Partei. Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt sagte Weidel im Oktober 2022, der AfD-Slogan „Unser Land zuerst“ fordere „keine wertebasierte Außenpolitik“, sondern im Sinne Otto von Bismarcks „eine interessengeleitete Außenpolitik für unser Land“. Mit seiner Sanktionspolitik habe Deutschland sich geschädigt und werde „zwischen den Großmächten zerrieben“. Der „große Verlierer“, so Weidel, werde nicht Rußland oder die Ukraine sein, sondern Deutschland, da gegen es ein „Wirtschaftskrieg“ seitens der USA geführt werde.
Der Jurist und Publizist Alexander Eberhardt Gauland (* 20. Februar 1941 in Chemnitz), langjähriges CDU-Mitglied, 1987/88 Leiter der Hessischen Staatskanzlei, 1986-1991 einer der Berater Helmut Kohls, ist ein Gründungsmitglied der „Wahlalternative 2013“ und der daraus hervorgegangenen AfD, zu deren stellvertretenden Sprechern er gehörte. Seit 2017 ist er für diese Partei Mitglied des Bundestages. Er gilt als graue Eminenz der AfD und ist deren Ehrenvorsitzender.
Der Oberstudienrat Björn Uwe Höcke (* 1. April 1972 in Lünen, Westfalen) ist der Landessprecher der Thüringer AfD. Seit 2014 ist der bekennende Hegelianer Abgeordneter im thüringischen Landesparlament sowie Fraktionsvorsitzender der AfD. Höcke bezeichnet sich selbst als konservativ und anti-ideologisch. Er vertritt die Ansicht, daß auch über das Dritte Reich „unorthodoxe Meinungen“ geäußert werden können sollen.
Bei anderen politischen Kernthemen fand die AfD erst spät, bei anderen bis heute nicht zu einer klaren Positionierung. So setzt die Partei zwar als einzige Bundestagspartei auf einen konsequenten Stopp der illegalen Massenzuwanderung nach Deutschland und sprach sich auf ihrem jüngsten Bundesparteitag in Magdeburg für eine „millionenfache Remigration“ – also die Rückführung von Illegalen in ihre Heimat- oder Herkunftsländer – aus; eine Forderung, die freilich keine politische Partei in Deutschland ohne das Risiko eines Bürgerkrieges umsetzen könnte.
Außenpolitisch dagegen weiß die AfD bis heute nicht, was sie eigentlich will. Während vor allem in den östlichen Bundesländern viele Mitglieder eine weitere Unterstützung der Ukraine vehement ablehnen und eine Rückkehr zu guten Beziehungen zu Rußland fordern, haben im Westen noch immer Transatlantiker und Amerikafreunde das Sagen. Die Erkenntnis, daß die NATO- und EU-Mitgliedschaft die zentrale Ursache dafür ist, daß Deutschland von einer souveränen und selbstbestimmten Außenpolitik heute Welten entfernt ist, ist in der Parteiführung noch nicht angekommen; die Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der NATO sucht man im Parteiprogramm vergebens. Zu allem Überfluß plappert auch die AfD im Bundestag das Transatlantiker-Märchen vom „verbrecherischen Angriffskrieg“ Rußlands gegen die Ukraine nach.
Das alles ist umso verhängnisvoller, als Deutschland nach dem absehbaren Ende des „Ampel“-Desasters eine Regierung brauchen wird, die die jahrzehntelangen stabilen Beziehungen zu Moskau wiederherstellen muß. Leider ist die AfD auch in dieser Hinsicht derzeit noch nicht die wünschenswerte Alternative für Deutschland, als die sich ausgibt.
Bis heute tut sich die Partei schwer damit, sich selbst auch nur als „patriotisch“ oder gar „rechts“ zu verorten. Im Gegenteil, bis heute sind frühere Mitglieder zum Beispiel der NPD oder anderer rechte Gruppierungen kategorisch von einem Eintritt in die AfD ausgeschlossen. Frühere Mitglieder der etablierten Parteien, die für Deutschlands beispiellosen Absturz verantwortlich sind – einschließlich der Grünen – sind hingegen zahlreich auf allen Führungsebenen der Partei vertreten. Angesichts dessen muß sich die AfD die Frage schon gefallen lassen, wie ernst ihr Anspruch, eine „Alternative“ zu den Altparteien zu sein, gemeint ist – oder ob es sich nicht eher um einen Werbegag handelt. Sie hätte angesichts der Katastrophenpolitik ALLER etablierten Parteien im Bundestag die Chance gehabt, zur großen Widerstands- und Befreiungsbewegung aller deutschen Patrioten zu werden. Doch diese Rolle weist sie konsequent von sich.
Was wird man also künftig von der AfD erwarten können? Sie ist in den letzten Jahren zweifellos in die Rolle einer unbequemen und „populistischen“ Oppositionspartei hineingewachsen und wird in dieser Funktion auch in den nächsten Jahren sicherlich erfolgreich sein. So war es die AfD, die im April 2022 mit ihren knapp 80 Abgeordneten im Bundestag die drohende Corona-Impfpflicht in Deutschland verhinderte. Auch weitere Klima-Gesetze wird die AfD womöglich verhindern können oder rückgängig machen. Das ist lobenswert und verdienstvoll. Aber in den Himmel wachsen werden die Bäume der AfD nicht. Daß sie die nächste Regierung in Deutschland stellt, ist nicht zu erwarten – und es würde auch nicht allzu viel ändern.