Strategische Zensur

Das neue "Medienfreiheitsgesetz" der EU schafft nicht mehr, sondern weniger Freiheit

"In dieser Hinsicht ist allerdings für die Staatsmaschine die Preßfreiheit das, was für die Dampfmaschine die Sicherheitsvalve [das Sicherheitsventil]: denn mittelst derselben macht jede Unzufriedenheit sich alsbald durch Worte Luft, ja wird sich, wenn sie nicht sehr viel Stoff hat, an ihnen erschöpfen. [...]

Andererseits jedoch ist die Preßfreiheit anzusehn als die Erlaubnis, Gift zu verkaufen: Gift für Geist und Gemüth. Denn was läßt sich nicht dem kenntniß- und urtheilslosen großen Haufen in den Kopf setzen? Und zu welcher Unthat ist der Mensch nicht fähig, dem man etwas in den Kopf gesetzt hat?

Ich fürchte daher sehr, daß die Gefahren der Preßfreiheit ihren Nutzen überwiegen; zumal wo gesetzliche Wege jeder Beschwerde offen stehn."

Arthur Schopenhauer, in: "Parerga und Paralipomena II", Erster Teilband

Ein klarer Fall von Orwell-Neusprech: die EU-Kommission will ein neues "Medienfreiheitsgesetz" auf den Weg bringen, den European Media Freedom Act. Aber in Wirklichkeit geht es um das Gegenteil: weniger Pressefreiheit, Entmachtung der Verleger und Schaffung einer mächtigen europäischen Medienbehörde.

Bei der Vorstellung des Gesetzentwurfes brachte EU-Vizekommissionschefin Vera Jourova viele Gründe vor, warum die Medienfreiheit in den EU-Ländern bedroht sei: Journalisten würden bedroht und ausgespäht, öffentlich-rechtliche Medien stünden unter politischem Druck, bestimmte Medien würden bei der Vergabe staatlicher Werbung bevorzugt, und in einigen Ländern sei unklar, wer die Medienunternehmen besitzt.

Mit erhobenem Zeigefinger verwies die Kommissions-Vizechefin vor allem auf Länder wie Ungarn und Polen. Slowenien sei gar ein "feindliches Umfeld" für Journalisten, und selbst in Österreich würden Medienschaffende bei Protesten bedroht und belästigt. Zugleich gebe es immer mehr "Desinformationen" aus Rußland. Alles in allem nehme das Vertrauen in die Medien immer mehr ab.

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Věra Jourová (* 18. August 1964 in Trebitsch, Böhmen), eine tschechische Politikerin ist seit 2019 Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für Werte und Transparenz. Gemäß dem Logion "Was siehst Du aber den Splitter in Deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in Deinem Auge?" bezieht sie Position gegen Ungarn, Slowenien und Polen, nimmt aber die Demokratiedefizite in ihren eigenen Kommissions-Reihen nicht wahr.

Daß daran auch die EU selbst schuld sein könnte, kam der Brüsseler Funktionärin nicht in den Sinn. Man muß nur daran erinnern, daß die EU – entgegen ihren eigenen Beteuerungen, was die Freiheit der Medien angeht – bis heute den russischen Sendern RT/Russia Today und Sputnik alle Aktivitäten auf ihrem Territorium strikt untersagt. Hinzu kommt die ausufernde Gängelung europäischer Bürger unter dem Deckmantel der Bekämpfung von "hate speech."

Unter dem Strich ist die EU alles andere als eine Fluchtburg der freien Meinungsäußerung. Ausgerechnet Brüssel den Schutz der Pressefreiheit anzuvertrauen, hieße den berühmten Bock zum Gärtner zu machen.

Besonders brisant ist, daß die EU im Rahmen des neuen "Medienfreiheitsgesetzes" eine europäische Medienbehörde installieren will, die künftig die Aufsicht über die Presse haben soll. Ein spezieller Grund für die Errichtung der neuen Medienbehörde wird nicht genannt.

In Deutschland kommt deutlicher Widerspruch vom Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) sowie vom Medienverband der freien Presse (MVFP). In einer gemeinsamen Erklärung kritisieren die Verbände den Kommissionsentwurf: "Der "Media Freedom Act" fördert die Pressefreiheit nicht, er untergräbt sie." Und: "Wenn die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Eingriffe in die redaktionelle Freiheit der Verlage nicht (...) rückgängig gemacht werden, würde die EU wesentliche Elemente der (...) Pressefreiheit opfern."

Die Verbände beharren darauf, daß die Letztverantwortung für die Publikation – und damit auch für ihre Ausrichtung – bei den Verlegern liege. Die EU-Kommission setze den Grundsatz der redaktionellen Freiheit von Verlegern de facto außer Kraft und zerstöre damit die Pressefreiheit. Gerade die Errichtung einer europäischen Medienbehörde halten die beiden Verbände für besonders bedenklich. Das geplante "Board" für Mediendienste nähre "Befürchtungen für eine politische Vereinnahmung der Medien."

Dieser Verdacht liegt umso mehr nahe, als die EU schon seit Jahren die Bandbreite der veröffentlichten Meinung in ihren Mitgliedsländern kontinuierlich einengt und – in enger Kooperation mit der NATO – einer subtilen Zensur unterwirft.

Schon im November 2016 verabschiedete das Europäische Parlament vor dem Hintergrund der neuen Konfrontation mit Rußland ein Papier zur "strategischen Kommunikation der EU, um gegen sie gerichteter Propaganda von Dritten entgegenzuwirken" (Drucksachen-Nr. A8-0290/2016). Der Bericht enthält die Gebrauchsanweisung für einen künftigen Propaganda- und Informationskrieg gegen virtuelle und tatsächliche Feinde der EU, und zwar gegen innere wie äußere. Neben der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) führt der Kommissionsbericht vor allem Rußland als Bedrohung auf und unterstellt dem Kreml einen breitangelegten und heimtückischen "virtuellen" Krieg mit dem Ziel, an der Propagandafront auf die Binnenangelegenheiten westlicher Länder Einfluß zu nehmen.

Als Gegenmaßnahme verweist der Bericht unter anderem auf die schon 2014 beschlossene Einrichtung eines "NATO-Exzellenzzentrums für strategische Kommunikation" im Riga (Lettland), das sich vor allem der Informations-, also: Propaganda-Kriegführung widmet.

Allen Ernstes hebt das Papier darüber hinaus "die wichtige Rolle hervor, die die Aus- und Weiterbildung im Qualitätsjournalismus inner- und außerhalb der EU (...) spielen." Angesichts des verbreiteten Mißtrauens, das westlichen Meinungsmedien inzwischen vonseiten der Öffentlichkeit entgegengebracht wird – was auch EU-Funktionäre wie Vize-Kommissionchefin Jourova beklagen –, ist das kein besonders überzeugendes Argument.

Wo der "Qualitätsjournalismus" nicht verfängt, will die EU unverblümt auf Repression und Zensur setzen und "befürwortet in diesem Zusammenhang sogar rechtliche Schritte, um im Umgang mit Desinformation konsequenter aufzutreten" (Ziffer 35 des Berichts). Auch in Ziffer 45 wird unumwunden gefordert, "bestimmte Gesetzgebungsinitiativen voranzubringen, damit Desinformation und Propaganda wirksamer bewältigt werden" können. Und was "Desinformation und Propaganda" ist, bestimmen natürlich – wie immer – die Guten, die politisch Korrekten.

Unter dem Motto der "Strategischen Kommunikation" verordnet sich die EU nicht nur gegen vermeintliche russische Desinformationskampagnen eine massive Aufrüstung. Auch im Inneren sollen unter dem Deckmantel der Gefahrenabwehr abweichende Meinungen noch mehr als bisher stigmatisiert und bekämpft werden: noch mehr Internetzensur, noch mehr Facebook-Löschungen, noch mehr Meinungsgängelung.

Das neue "Medienfreiheitsgesetz" ist vor diesem Hintergrund nur ein weiteres Mosaiksteinchen, das die Freiheit der europäischen Medien nicht größer, sondern kleiner macht. Die europäischen Bürger sollten inzwischen ohnehin auf der Hut sein: wenn Brüsseler Funktionäre von "Freiheit" sprechen, meinen sie das Gegenteil. Höchste Vorsicht ist geboten!

"Nach Preßfreiheit schreit niemand, als der sie mißbrauchen will."

Johann Wolfgang von Goethe, in: "Maximen und Reflexionen"

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