Schuldner gegen Gläubiger: Eine Weltrevolution oder ein Weltkrieg?

Wie die USA und ihre Verbündeten die zunehmenden wirtschaftlichen Probleme anderer Länder ausnutzen werden, um Russland und China zu widerstehen

„Der Welt droht die schwerste Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg und Millionen Opfer,“ erklärte Anfang Mai die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze. Zwei Jahre Pandemie, der Europa-Krieg, nun noch Hunger. Erstaunlich, dass es immer noch keine Finanzkrise gibt, oder? Klar, wenn man sich daran erinnert, dass seit 2009 die Bilanz der vier führenden Zentralbanken (FED, EZB, Bank of Japan und Bank of England) um über 20 Billionen Dollar gewachsen ist, und seit 2020 – um über 10 Billionen, ist das keine Überraschung mehr. Dem Westen gelang es ziemlich lange, seine Probleme dadurch zu lösen, dass er sie mit dem Geld überschwemmte. Doch die Grenzen dieser Strategie wurden erreicht.

Die Inflationswelle hat die Industrieländer genauso wie die restliche Welt überflutet. Das Problem eines chronischen Überverbrauchs vom Westen bei der sinkenden Wettbewerbsfähigkeit kann nicht mehr ignoriert werden. Zweifellos rechneten viele im Westen damit, dass man schaffen würde, den Inflationsdruck durch den Zusammenbruch der russischen Staatlichkeit, einen Ausschub einer neuen Portion lauer Rohstoffe, wie das nach dem Sturz der UdSSR war, und durch eine prinzipielle Stärkung der US-Position gegen das allein gebliebene China zu mildern. Doch dieses Szenario sollte sich nicht verwirklichen.

Und schon jetzt sind die Umrisse eines neuen westlichen Herangehens zum Druck auf den „Kontinentalblock“ zu sehen. Da es keine Möglichkeiten gibt, der Krise zu entgehen, werden die USA und ihre engsten Verbündeten die zunehmenden wirtschaftlichen Probleme anderer Länder weltweit dazu ausnutzen, um die Regime zu stürzen, die sie daran hindern, die Blockade von Russland und China aufzubauen. Vor allem aber die von China, weil Russland auch ohnehin schon unter hohem Sanktionsdruck steht.

Der Zusammenstoß von zwei Herangehen liegt auf der Hand. Das erste: Mithilfe der Reste seines Zivilisationseinflusses versucht der Westen den Kurs auf eine „Weltrevolution“ zu verfolgen, die einen Elitenwechsel in seinem Interesse ermöglicht. Das zweite: Mithilfe seiner hohen Bereitschaft zu einer direkten Konfrontation wird der Osten auf dem Feld einer klassischen Militärstärke spielen. Und solange es dem Westen gelingt, globale wirtschaftliche Probleme zur Destabilisierung der Länder auszunutzen, die seinen Gegnern gegenüber loyal sind, bleibt eine Art Gleichgewicht bestehen. Doch die Zerstörung dieses Gleichgewichts führt hochwahrscheinlich zu einer direkten Militärkonfrontation.

Gegenangriff an der Peripherie

Heutzutage haben wirtschaftliche Probleme alle Länder in der Welt, doch einen Übergang zu einer akuten Innenkonfrontation gab es nur in drei Ländern – Pakistan, Sri Lanka und Myanmar. Alle drei liegen – so ein komischer Zufall! – im offensichtlichen Militär- und Wirtschaftsinteresse Chinas. Und in allen drei geraten infolge eines Staatsstreichs (Pakistan) oder Massenausschreitungen einem Zivilkrieg nah (Sri Lanka und Myanmar) ausgerechnet pro-chinesische Kräfte in Gefahr.

Im Falle von Pakistan und Myanmar ist ein kompletter Abbruch oder eine radikale Verschlechterung der Beziehungen zu China (sowie Entstehen offen prowestlicher Kräfte) schwer zu erwarten, es ist aber offenkundig, dass die ruhige Regime der Präsenzerweiterung in diesen Ländern, die vor der Krise vorhanden war, in der näheren Zukunft nicht wiederhergestellt wird.

Im Falle von Pakistan sind die Folgen schon jetzt zu sehen – eine dramatische Eskalation der Lage in Afghanistan. Natürlich betrifft die Lage in Pakistan und Myanmar direkt das russische Interesse. Die Führung beider Länder hat die russische Operation in der Ukraine unterstützt. So führte der abgesetzte Ministerpräsident Imran Khan ein Mustertreffen mit Wladimir Putin am 24. Februar, am Anfangstag der Operation druch. Und der offizielle Vertreter der Militärmächte von Myanmar General Zaw Min Tun sprach sich direkt für die russische Operation aus und nannte sie notwendig.

Aber der Hauptempfänger ist doch China. Der Angriff auf die chinesischen Stellungen in Südasien läuft vor dem Hintergrund des Konflikts um Chinas Pläne, einen eigenen Militärstützpunkt auf den Salomonen aufzubauen. Für die USA und ihre Verbündeten in der Region, für Australien vor allem, wäre so ein Geschehensablauf katastrophal. Der Assistant Secretary of State for East Asian and Pacific Affairs Daniel Kritenbrink legte während seines Besuchs auf die Inseln nahe, dass die USA Kampfhandlungen gegen die Salomonen nicht ausschließen, falls China da seinen Militärstützpunkt stationiert. Das Zurückhalten von wachsenden Ansprüchen Chinas hat einen immer wichtigeren Platz in der US-Politik. Deswegen kann erwartet werden, dass mit der Zuspitzung der globalen Krise der Westen immer lieber Wirtschaftsprobleme der China gegenüber freundlichen Länder ausnutzt.

Imperiale Diplomatie der Dekadenz

Anfang Mai veröffentlichte Financial Times einen Musterbeitrag, der das Leserpublikum mit der Meinung des amerikanischen Außenpolitikveteranen Henry Kissinger bekannt macht. Heben wir zwei Thesen hervor:

  1. Die Feindseligkeit der USA darf die Annäherung von Russland und China nicht fördern.
  2. Die USA können dazu gezwungen werden, Regimes in autoritären Ländern zu wechseln.

Kissinger glaubt immer noch an die Authentizität und Festigkeit des Bundes Russland-China nicht, weil er ihn für eine situationsbedingte Reaktion auf die US-Dominanz hält. Zugleich befürchtet er so sehr die Stärkung von diesem situationsbedingten Bund, dass er sogar dazu kam, dass nach dem Ende der Ukraine-Krise die NATO werden wahrscheinlich ihre Russland-Politik überprüfen müssen, um es in Chinas Arme nicht zu schieben. Mit so einer Hartnäckigkeit, die eines besseren Einsatzes wert wäre, versucht Kissinger sein Schema wiederzubeleben, das zum Zusammenbruch des sowjetisch-chinesischen Bunds geführt hat, dabei sieht er nicht, wie prinzipiell sich die Lage verändert hat.

In seinem bekannten Buch „Großmacht Diplomatie“ formuliert Kissinger wunderbar, warum die UdSSR es nicht schaffte, stabile internationale Bündnisse mit starken Akteuren zu gründen, vor allem im Nahost. Die Fähigkeit der UdSSR, sich Probleme zu schaffen, war viel wesentlicher, als ihre Möglichkeiten, diese Probleme zu lösen. Heutzutage befinden sich die USA genau in so einer Lage. Zwei verblüffende Beispiele. Das Erste: Ein schroffer Verzicht unterschiedlicher Erdölländer auf jegliche Diskussionen über die Förderungssteigerung, um den Verzicht Westens auf russisches Erdöl auszugleichen. Das Zweite: Die Gefahr, dass Mexiko, Brasilien und eine Reihe anderer Länder den Summit of the Americas 2022 boykottieren, weil die USA nicht wollen, zur Teilnahme Kuba, Nikaragua und Venezuela einzuladen.

Die beiden Beispiele zeigen das Ermüdungsniveau der Welt von einer gelinde ausgedrückt destruktiven Führung der USA. Der Grund ist ganz einfach. Die USA aus Zeiten des kalten Krieges gegen die UdSSR hatten ein kolossales Wirtschaftspotenzial, um in ihre Schemata Länder aus unterschiedlichsten Regionen einzubeziehen. Heutzutage haben sie so ein Potenzial nicht. Ihr einziges Interesse besteht darin, die Möglichkeit aufrechtzuerhalten, Rohstoffe und Waren gegen nicht einmal geliehene, sondern emittierte Dollars zu kaufen. Die USA können eine konstruktive Wirtschaftspolitik nicht einmal den engsten Verbündeten in Europa anbieten und werfen ihren Wohlstand und ihre Industrie in den Herd der Konfrontation mit Russland. Die einzige Strategie, die dem Westen einige Chancen in der Konfrontation mit Russland und der Volksrepublik China übrig lässt, ist die zunehmende Wirtschaftsturbulenz für den Regimewechsel auszunutzen. Die Alternative dazu ist eine direkte Militärkonfrontation.

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