Anfang April hat sich Japan dem europäischen „Ausweisungsmarathon“ der russischen Diplomaten angeschlossen. Offiziell entschied Tokio, acht Botschaftsmitarbeiter nach Hause zu schicken. Bei einem fast kompletten Abbruch der Beziehungen und einem eskalierenden Sanktionskrieg ist das ein logischer und erwarteter Schritt. Dennoch kann man nicht sagen, dass das Land der aufgehenden Sonne mit der sicheren Laufstraße seinem Verbündeten, den USA, und dem sich auf eine Militärkonfrontation mit Russland vorbereitenden Europa folgt. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Geschehens, zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der mit Japans Kapitulation endete, strebt Tokio danach, sich in Asien als politischer Militärführer zu behaupten.
Die Beziehungen zwischen Moskau und Tokio wurden de facto am 22. März abgebrochen. Russlands Außenministerium erklärte, dass Moskau auf die Verhandlungen über den Friedensvertrag mit Japan verzichtet und das visumfreie Reisen der Japaner auf die südlichen Kurilen beendet. Außerdem stieg Russland aus dem Dialog über Organisation gemeinsamer Wirtschaftstätigkeit auf den südlichen Kurilen aus und blockte die Verlängerung Japans Mitgliedschaft in der Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation. Im April hielt Russland auf den Kurilen Militärübungen ab. Der Schwerpunkt wurde auf die Einübung der Artillerie- und Panzerabwehr-Raketensystemeinsätze gelegt. Im Grunde genommen wurde ein Gegenwehrszenario gegen die japanische Luftlandetruppe eingeübt. Das alles war eine Antwort auf das Verhalten der japanischen Regierung. Das russische Außenministerium erklärte, Moskau wolle keinen Dialog mit einem Staat fortsetzen, der zu einseitigen und unfreundlichen Maßnahmen gegen Russland griff, indem er sich den Sanktionen anschloss. Moskaus Entscheidung, den Dialog mit Japan praktisch abzubrechen, sorgte für eine scharfe Reaktion in Tokio. Japanischer Ministerpräsident Fumio Kishida nannte in seiner Rede im Parlament Russlands Vorgehen „unvernünftig und inakzeptabel“. Er sprach auch über „das fehlende Verständnis“ der Gründer für solche harten Schritte Moskaus. Diese Erklärungen sind ziemlich heuchlerisch. Nicht nur schloss sich Japan den wirtschaftlichen Sanktionen an und folgt mit der sicheren Laufstraße den USA, der japanische Ministerpräsident entschied auch, einen Schlag auf die lebenswichtigen Interessen Russlands in Asien zu versetzen, was die vorherigen Regierungschefs vermieden. So übte er während seiner Asientournee im März Druck auf die Oberhäupter der asiatischen Staaten aus, forderte sie auf, ihre Einstellung zu Russland zu ändern und Moskaus Vorgehen in der Ukraine zu verurteilen. So erklärte Kishida in Indien dem Ministerpräsidenten Narendra Modi, „der russische Einbruch in die Ukraine habe die Weltordnung erschüttert“, und forderte eine klare Antwort auf diese Herausforderung. „Wir bestätigten, dass eine einseitige Veränderung des Status quo mithilfe der Gewalt in keiner der Regionen vergeben wird…“, gab Kishida nach dem Treffen in New Delhi in seinem und im Namen des Ministerpräsidenten Modi bekannt. Indiens Regierungschef, für das Russland ein wichtiger Handelspartner ist, enthielt sich der sofortigen Solidarisierung mit dem japanischen Ministerpräsidenten und äußerte lediglich allgemeines Besorgnis anlässlich der humanitären Krise sowie rief zum Waffenstillstand auf. Doch nach einigen Wochen wurden seine Erklärungen zur russischen Politik etwa kritisch. Indien ebenso wie die USA, Australien und Japan ist Mitglied des Quatrilateralen Sicherheitsdialogs (Quad), der für New Delhi von strategischer Bedeutung ist. Im Mai 2022 findet in Tokio ein Quad-Gipfeltreffen statt, und vielleicht wird zu dem Zeitpunkt Indiens Einstellung zu Russland noch kritischer. Und wenn Indien noch zögert, hat Ministerpräsident von Kambodscha Hun Sen die japanische Einstellung völlig unterstützt. Die Parteien traten mit einer gemeinsamen Erklärung auf, in der sie aufforderten, „den Einsatz der Gewalt unverzüglich zu beenden und die Truppen aus der Ukraine auszuziehen.“
Das dieses Jahr im ASEAN Vorsitz führende Phnom Penh strebt danach, seine Abhängigkeit von China zu verringern, und sieht in Japan so eine Macht, die den Druck seitens Pekings zum Gleichgewicht bringen kann. Die Unterstützung vom ASEAN-Vorsitzenden heißt, dass die Ukraine-Frage in der Organisation auf dem Höchstniveau gestellt wird, und zwar Russland nicht zugunsten. Japan verstärkt auch die militärische Zusammenarbeit mit den asiatischen Ländern. In Kambodscha beispielsweise wurde kurz vor Kishidas Besuch eine gemeinsame Übung der Japanischen Maritimen Selbstverteidigungsstreitkräfte und ihrer kambodschanischen Kollegen abgehalten. Im April fanden die Verhandlungen zwischen den japanischen Außen- und Verteidigungsministern und ihren Amtskollegen aus Indien und den Philippinen statt. Japans Verteidigungsminister Nobuo Kishi und sein philippinischer Amtskollege Delfin Lorenzana verständigten sich, die militärische Zusammenarbeit zu entwickeln und eine gemeinsame Militärübung im Gegensatz zu Chinas Aktivitäten in der Region abzuhalten. Außerdem äußerten sie ihr Besorgnis angesichts „Russlands Einmarsch in die Ukraine und seiner Auswirkung auf den Indo-Pazifik.“ Im Grunde genommen stellt Tokio die Möglichkeiten für ihre konzentrierte Militärpräsenz in den asiatischen Ländern „unter dem alten Deckmantel“ wieder her, der noch im Laufe des Zweiten Weltkriegs genutzt wurde: Das Verjagen der äußeren Kolonisatoren. Nur damals waren es Europäer, nun aber – Chinesen. Die Japanischen Selbstverteidigungskräfte sind eine moderne Armee mit der entwickelten Flotte, Luftflotte, Flugkörperausrüstung und Flugabwehr mit dem mächtigsten Militärpotenzial. Sollten Japaner, so die Experten, eine entsprechende Entscheidung treffen, könnten sie schnell auch Atomwaffen entwickeln.
Japans Vorgehen in Asien ist für Russland ziemlich schmerzlich. Bei den westlichen Sanktionen hängt Russlands Überleben weitestgehend von den Handelslogistik-Beziehungen zu Südasien und den Ländern des Asien-Pazifiks ab.