Politik zwischen Peinlichkeit und Pflicht: Musterung im Tollhaus

Wehrpflicht nach Aktenlage und Gender-Schlupfloch

Wie schön ist es doch, wenn innerhalb einer Woche unsere Politiker ihre Qualität wiederholt unter Beweis stellen.

Angefangen hat es am 9. November mit der Rede des Bundespräsidenten zu eben diesem Datum. Vieles hat sich am 9. November in der deutschen Geschichte ereignet, und selbst ein historisch eher unbeleckter Redner hätte seinen Redenschreibern den Auftrag erteilen können, einen angemessenen und dabei überparteilichen Text zu verfassen, der sich auf die sehr unterschiedlichen Stationen der Geschichte bezieht, ohne sich im partei- und machtpolitischen Gezerre der Gegenwart zu verlieren. Dazu war Steinmeier bekanntlich nicht in der Lage, er hat wie so oft seine Stellung und seine Redezeit missbraucht, um im Namen „unserer Demokratie“ den Linksstaat zu fördern, und damit wieder einmal gezeigt, dass er nicht nur der zwölfte, sondern auch nur der zwölftbeste in der Riege der deutschen Bundespräsidenten ist. Ich gebe zu: Es war nicht anders zu erwarten.

Aber Steinmeiers Funktion ist eher unbedeutend, reden darf er, und es gibt arme Menschen, die ihm dabei zuhören müssen. Von ganz anderer Relevanz ist dagegen Friedrich Merz, der beste Bundeskanzler, den wir im Verlauf des letzten halben Jahres hatten. Mehrfach durfte er seine Kompetenz demonstrieren. Dass er während der Weltklimakonferenz in Brasilien dem dortigen Präsidenten Lula da Silva, der gerade recht erfolgreich daran arbeitet, seinen Staat in eine sozialistische Musterdiktatur zu verwandeln, einen namhaften Betrag, bezahlt von den deutschen Steuerzahlern, für einen windigen Fond zur Finanzierung des Schutzes tropischer Wälder versprach, obwohl selbst sein sonst so spendierfreudiger Finanzminister begriffen hat, dass hier etwas mehr Vorsicht am Platze wäre, muss man kaum erwähnen: So ist er eben, unser Friedrich, in der internationalen Politik immer auf dem Posten, solange noch Steuergeld oder Sondervermögen vorhanden ist.

Aber nein, er kann ja nicht einmal das, selbst in der Außenpolitik verhält er sich zum Fremdschämen, wenn sein Außenminister Johann Annalena Wadephul gerade keine Zeit für Peinlichkeiten hat. Denn kaum hatte er Brasilien verlassen, stellte er sein besonderes diplomatisches Talent unter Beweis, indem er in einer öffentlichen Rede äußerte: „Meine Damen und Herren, wir leben in einem der schönsten Länder der Welt. Und ich habe einige Journalisten, die mit mir in Brasilien waren, letzte Woche gefragt: Wer von euch würde denn gerne hier bleiben? Da hat keiner die Hand gehoben. Wir waren alle froh, dass wir vor allen Dingen aus diesem Ort, wo wir da waren, wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind in der Nacht von Freitag auf Samstag.“ Brasilien. Ein Land, dem er gerade hohe Summen für die Förderung der lokalen Korruption versprochen hat. Und gleichzeitig ein Land, das man mit großer Freude hinter sich lässt, sofern man Bundeskanzler ist, weil man es allem Anschein nach dort nicht aushalten kann. Man stelle sich nur vor, Donald Trump hätte Ähnliches von sich gegeben. Wie hätte man ihn wieder beschimpft, ihn als Trampel und Nichtskönner bezeichnet, der die einfachsten Regeln der Diplomatie nicht beherrscht! Im Falle unseres begabten Bundeskanzlers hält sich das Interesse in Grenzen.

Nun gut, wir müssen also zur Kenntnis nehmen, dass er auch von der Außenpolitik überfordert ist, während ihn die konkrete Innen- und Wirtschaftspolitik nicht wirklich interessiert, denn derartigen Kleinkram kann man getrost der SPD überlassen. Und auch dafür hat er wieder ein schönes Beispiel geliefert, damit auch ja keiner vergisst, dass Friedrich Merz seinem Amt nicht einmal annähernd gewachsen ist. Im Rahmen seiner Gastrede auf dem Deutschlandtag der Jungen Union hätte er ausreichend Gelegenheit gehabt, sich von dem illusorischen Rentenpaket der SPD zu distanzieren und Neuverhandlungen anzukündigen. Stattdessen tat er, was er immer tut: Weil er dafür sorgen müsse, dass die Bundesregierung mehrheitsfähig bleibe, werde er für das SPD-Rentenpaket stimmen, denn das sei schließlich der „Beginn der Debatte und nicht das Ende einer Diskussion“. Ein im Bundestag verabschiedetes Gesetz als Beginn einer Debatte zu bezeichnen, ist eine originelle Interpretation der Gesetzgebung, ohne Frage eines Friedrich Merz würdig. Dann auch noch zu betonen, für das Rentenpaket spreche gar nichts – nachdem er mitgeteilt hatte, dass er zum Zweck der Machterhaltung dafür stimmen werde –, zeigt darüber hinaus den Grad an Verantwortung, die er gegenüber Deutschland an den Tag legt.

Wie sich somit zum wiederholten Male herausstellt, versagt Merz auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Aber was die Verteidigung betrifft – da hat die großartige große Koalition doch ein passables Ergebnis geliefert! Immerhin hat man sich zur Einführung einer verpflichtenden Musterung durchgerungen, um endlich einmal zu wissen, wen man gegebenenfalls an die Front schicken kann. Ab dem 1. Januar 2026 soll gelten: „Junge Menschen ab dem Geburtsjahr 2008 sollen künftig einen Fragebogen erhalten, in dem ihre Bereitschaft für einen Dienst in der Bundeswehr abgefragt wird. Junge Männer müssen ihn ausfüllen, Frauen können das freiwillig tun.“ Und alle Männer eines Jahrgangs sollen gemustert werden. Sollten sich aber nicht hinreichend viele Delinquenten für den freiwilligen Wehrdienst finden, „kann eine Bedarfswehrpflicht greifen. Dafür ist dann aber ein Bundestagsbeschluss erforderlich. Ein Losverfahren ist hier eine Option“.

So ganz genau wissen sie also noch nicht, wie der tatsächliche Truppenaufbau funktionieren soll, nur auf die konkrete Verpflichtung zur Musterung der Männer haben sie sich geeinigt. Man hätte nun erwarten können und dürfen, dass die stets lautstarken Vertreter und vor allem Vertreterinnen der Gleichstellung der Geschlechter ihren Protest anmelden, denn offenbar wird hier ein Unterschied zwischen Männern und Frauen festgelegt, da letztere niemand zur Musterung zwingt und daher auch nicht zur Armee schicken kann. Aber wir verzeichnen hier das altbekannte Phänomen: Gleichstellung ist nur erwünscht, wenn sie Aufsichtsratsposten oder Quotenregelungen für sonstige Führungspositionen verspricht; sobald sie unangenehme Konsequenzen haben könnte, wird man ganz still.

Den einen oder anderen Gedanken sollte man vielleicht auch an die praktische Durchführung verschwenden. Der Jahrgang 2008 soll vollständig gemustert werden. Wer 2008 geboren wurde, war Ende 2024 16 Jahre alt, und wir wissen recht genau, um wie viele Menschen es sich handelt: Daten des Statistischen Bundesamtes sagen uns, dass es Ende 2024 792.341 Einwohner im Alter von 16 Jahren gab. Sie alle werden im Jahr 2026 ihren achtzehnten Geburtstag feiern. Nicht alle davon sind musterungspflichtig, denn Ausländer haben mit der Sache nichts zu tun und Frauen auch nicht. Rechnet man also erst einmal die Frauen mit einem Anteil von etwa 50 % heraus, so bleiben etwa 400.000 männliche Kandidaten übrig. Nehme ich nun, entsprechend dem Ausländeranteil in der Bevölkerung, noch 15 % davon weg, so haben wir noch eine zu musternde männliche Bevölkerung in einer Größenordnung von etwa 340.000. Wer soll die alle mustern? Kreiswehrersatzämter, die das früher erledigt haben, gibt es nicht mehr, inzwischen verfügt man über „Karrierecenter“, die sich seit mehr als zehn Jahren darum bemühen, berufliches Interesse für die Bundeswehr zu wecken. Und die sollen auf einmal 340.000 Musterungen pro Jahr vornehmen? Umgerechnet auf etwa 250 Arbeitstage sind das mehr als 1.300 am Tag. Ich melde leise Zweifel an, dass das zu machen ist – es sei denn, man lässt es per Aktenlage von Anton Hofreiter und Marie-Agnes Strack-Zimmermann erledigen, die winken jeden durch. Sollten sie sich überlastet fühlen, kann ja noch Roderich Kiesewetter zu Hilfe eilen.

Aber gemach, noch ist nicht aller Tage Abend. Hatten wir nicht vor einer Weile mit einer Ampelkoalition zu kämpfen, die uns mit segensreichen Gesetzen überzogen hat? Eines davon war das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“, ein Musterbeispiel an hirnloser Gesetzgebung, das aber nun der wehrpflichtigen Jugend eine freundliche Möglichkeit bietet. Dort heißt es in § 2: „Jede Person, deren Geschlechtsidentität von ihrem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister abweicht, kann gegenüber dem Standesamt erklären, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag geändert werden soll, indem sie durch eine andere der in § 22 Absatz 3 des Personenstandsgesetzes vorgesehenen Angaben ersetzt oder gestrichen wird.“ Es ist ganz einfach. Man geht zum Standesamt und teilt mit, man sei jetzt eine Frau. Einen dazu passenden Vornamen muss man nach Absatz 3 ebenfalls angeben, aber das muss keinen interessieren, außerhalb des Behördenlebens kann man immer noch so heißen, wie man früher hieß, denn die Wenigsten überprüfen die Personalausweise ihrer Mitmenschen. Und schon hat sich die verpflichtende Musterung erledigt.

Einen Haken gibt es dabei, und der ist in § 9 formuliert. „Die rechtliche Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht bleibt, soweit es den Dienst mit der Waffe auf Grundlage des Artikels 12a des Grundgesetzes und hierauf beruhender Gesetze betrifft, für die Dauer des Spannungs- oder Verteidigungsfalls nach Artikel 80a des Grundgesetzes bestehen, wenn in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem die Änderung des Geschlechtseintrags von „männlich“ zu „weiblich“ oder „divers“ oder die Streichung der Angabe zum Geschlecht erklärt wird. Unmittelbar ist der zeitliche Zusammenhang während eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls sowie ab einem Zeitpunkt von zwei Monaten vor Feststellung desselben.“

Ich darf den jungen Männern des Landes also ein wenig Eile anraten. Niemand weiß, wann es unseren sogenannten Politikern in den Sinn kommt, den Spannungsfall auszurufen. Aber solange man seinen Geschlechtseintrag zwei Monate vor dem Eintreten dieses Spannungsfalls geändert hat, ist die Sache erledigt: Nur Männer werden zur Musterung verpflichtet und können eingezogen werden, Frauen und Diverse dürfen sich entspannt zurücklehnen.

Wer also Freude an einem amtlich-weiblichen Vornamen hat, kann sich gerne in nächster Zeit zur Frau erklären lassen, wer hingegen das Diverse in sich entdeckt, darf vermutlich sogar seinen Vornamen behalten, denn wer oder was divers sein soll, weiß ohnehin niemand so genau. Die Musterungspflicht hat sich damit erledigt.

Wie lange es aber dauert, bis sich auch diese Bundesregierung endlich erledigt hat, kann ich nicht sagen.

Ich hoffe, nicht mehr allzu lange.

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