Die Ukraine – Der nächste halbtote Patient für die EU?

Ein EU-Beitritt der Ukraine wird Brüssel schwächen und Kiew nicht stärken!

Bereits 2022 wurde die Ukraine zum EU-Beitrittskandidaten erklärt, was alles andere als diplomatisches Geschick verriet, nachdem der Konflikt zwischen Kiew und Moskau eskalierte, und nun empfahl EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, endlich in die diesbezüglichen Verhandlungen einzutreten.

Es ist vorgesehen, daß auf dem EU-Gipfel Mitte Dezember die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer eine abschließende Entscheidung darüber fällen, die Ukraine zur Aufnahme von offiziellen Beitrittsgesprächen einzuladen. Da hinreichend bekannt ist, daß das Land ein Oligarchen-Problem und mit enormer Korruption zu kämpfen hat, sollen bis dahin gewisse Bedingungen erfüllt sein. Ob dazu demokratische Wahlen gehören, wird zunehmend fraglich und bleibt interessiert zu beobachten.

Ein Blick auf den von Transparency International geführten Korruptions-Wahrnehmungs-Index zeigt beispielsweise die Ukraine mit Rang 116 von 180 Ländern auf einer wenig rühmlichen Position. Laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj arbeite sein Land daran – so wörtlich –, „eine bedingungslose Entscheidung über die Aufnahme von Verhandlungen zu erreichen“. Was konkret er mit „bedingungslos“ meint, wurde von keinem Vertreter der sog. Qualitätspresse nachgefragt. Bestimmte Fragen stellt man eben in bestimmten Situationen nicht, will man nicht seine Akkreditierung – oder gar mehr – auf's Spiel setzen.

Am 8. November hatte die EU-Kommission in ihrem Fortschrittsbericht mitgeteilt, daß sie die Voraussetzungen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine als weitgehend erfüllt ansieht. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte die Fortschritte der Ukraine – „trotz enormer Not“ – sogar gelobt. Neben der Korruption, dies verleugnet nicht einmal Brüssel, seien die Kontrolle von Lobbyismus und die Stärkung von Minderheitenrechten noch ein Thema. Letzteres stellt insbesondere für Ungarn einen wesentlichen Aspekt dar, wenngleich man in Budapest bei Minderheitenrechten nicht, wie zumeist in Brüssel, LGTBQ-Gruppen im Sinn hat. Der ungarischen Regierung geht es vielmehr um die seitens des Kiewer Regimes unterdrücke ungarische Minderheit in der an der gemeinsamen Grenze liegenden Karpato-Ukraine.

Beispielsweise hatte das ukrainische Parlament 2017 ein Gesetz verabschiedet, das die bestehenden Rechte ethnischer Minderheiten, darunter auch die ungarische, auf Unterricht in ihrer Muttersprache einschränkte, und 2019 wurde ein weiteres Gesetz verabschiedet, demzufolge die ukrainische Sprache in allen Bereichen des öffentlichen Lebens für obligatorisch erklärt wurde.

Sollte sich Kiew in dieser Sache bewegen, um nicht aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips an Ungarn zu scheitern, dürfte dies dennoch keinerlei Fortschritt für die russische Minderheit in der Ostukraine bedeuten, denn laut dem Nachrichtenportal Euractiv vom 10. November besteht die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin, Olga Stefanischina, darauf, daß die Frage des Schutzes der russischen Minderheit in den EU-Verhandlungen nicht angesprochen wird. Es gäbe keine russische Minderheit, so die ukrainische Spitzenpolitikerin. – Basta! 

Die grundsätzliche Frage, ob ein Land im Kriegszustand überhaupt beitrittsfähig ist, interessiert offenbar ohnehin kaum mehr jemand, obwohl die EU-Verträge vorsehen, daß sich Mitgliedsstaaten, im Falle, daß ein Mitgliedsstaat angegriffen werde, gegenseitig „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“ gewähren. Die offizielle Lesart Brüssels ist es bekanntlich – ungeachtet der jahrelangen Vorgänge im Donbas –, von einem unprovozierten „russischen Angriffskrieg“ zu sprechen. Wen wundert es, daß dann die ökonomisch zentrale Frage, welche fiskalpolitischen Auswirkungen der Beitritt eines Landes mit dieser Größe, mit diesem Korruptionsproblem und mit diesem riesigen Agrarsektor auf die EU hat, erst recht nicht zu interessieren scheint.

Berechnungen des International Centre for Defence and Security aus Estland zufolge hätte die Ukraine, gesetzt dem Fall, sie wäre bereits EU-Mitglied, im Jahr 2022 nahezu 20 Milliarden Euro Kohäsions- bzw. Landwirtschaftszuschüsse erhalten. Dies heißt nichts anderes, als daß bisherige heutige Nehmerländer nach einem Ukraine-Beitritt weniger erhalten werden und Geberländer – sicherlich allen voran Hauptnettozahler Deutschland – höhere EU-Beiträge zu leisten hätten. Es gibt auch eine Berechnung des EU-Rats, der zufolge die Ukraine als EU-Mitgliedsstaat im Verlaufe der üblichen fiskal-politischen siebenjährigen Finanzierungsperiode insgesamt ungefähr 185 Milliarden Euro erhielte. Hierbei ist zu betonen, daß dies völlig unabhängig von jeglichen Sonderzuwendungen im Zusammenhang mit dem laufenden Kriegsgeschehen zuträfe.

Selbst das bislang Nicht-EU-Mitglied Ukraine erhält aber, seit der Konflikt mit Rußland militärische Züge annahm, bereits Unsummen aus der EU. 50 Milliarden Euro beabsichtigt die EU-Kommission in den kommenden vier Jahren auszugeben, um den Staatshaushalt der Ukraine zu stützen. Geht es nach dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, soll noch ein weiteres Hilfspaket hinzukommen, mit dem in besagtem Zeitraum europäische Waffenkäufe für Kiew getätigt werden sollen. Der deutschen Bundesregierung reicht dies alles noch nicht aus, denn diese will 2024 bilateral ihre Militärhilfe auf dann acht Milliarden Euro verdoppeln. Zusätzlich sollen die Verpflichtungsermächtigungen für die militärische Unterstützung der Ukraine in den folgenden Jahren ebenfalls um zwei Milliarden Euro aufgestockt werden, womit für die Haushaltsjahre 2025 bis 2028 dann insgesamt sechs Milliarden Euro vorgesehen wären.

Vielleicht gäbe es ohne all diese Finanzzusagen längst Verhandlungen und einen Waffenstillstand? In Europa scheint diesbezüglich kein Paradigmenwechsel in Sicht, doch möglicherweise in den USA, nachdem die Republikaner im Repräsentantenhaus ein von Präsident Joe Biden auf den Weg gebrachtes Rüstungspaket in Höhe von 61,4 Milliarden US-Dollar blockieren.

In Europa spricht sich zumindest Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán bislang entschieden gegen die Aufnahme von Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Ukraine aus, und während Selenskyj Neuwahlen im regulären Turnus für gegenwärtig entbehrlich hält, plant die ungarische Regierung seine Bevölkerung hinsichtlich einer ukrainischen EU-Mitgliedschaft zu konsultieren. Diese Art von vorbildhafter Direktdemokratie betrieb Ungarn bereits zur Frage der EU-Sanktionspolitik gegenüber Rußland, was von den Ungarn überwiegend abgelehnt wurde. „Vox populi, vox Dei!“ (dt., „Volkes Stimme ist Gottes Stimme!“)

Und auch in der mit Ungarn und der Ukraine benachbarten Slowakei wendete sich mit dem kürzlichen Regierungswechsel das Blatt. Doch die Bundesregierung arbeitet bereits mit Hochdruck daran, die Entscheidungsprozesse innerhalb der EU zu ändern, damit die Union leichter ihrer Fremdbestimmungsexpansion frönen kann. Die Ampel-Regierung fordert in der Außen- und Steuerpolitik künftig Mehrheitsentscheidungen anstelle einstimmiger Beschlüsse. Die Repräsentativ-Demokraten in Berlin gehen offenbar eher von diesem Leitmotiv aus: „Vox populi vox asini!“ (dt., „Volkes Stimme ist des Esels Stimme!“)

Wer weiß, wo die Reise hingeht, doch die Fliehkräfte innerhalb der EU werden definitiv größer.

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