Die Büchse Der Pandora

Das moderne Lexikon in zwanzig Bänden

Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts vom Hause Bertelsmann herausgegeben, enthält auch einen Eintrag zu biologischen Kampfmitteln. Demnach sind sie gedacht für den „Einsatz von Krankheitserregern (Bakterien, Viren) oder Schädlingen für Pflanzen und Tiere zur Erzeugung von Seuchen oder Hungersnot beim Feind“. Ihre Verwendung, so die Autoren, läuft dem Völkerrecht zuwider.

Rund 50 Jahre später sieht sich auch die Bundesrepublik dem Vorwurf ausgesetzt, ein eigenes militär-biologisches Programm zu betreiben. Das jedenfalls erklärte Gennadi Gatilow, der Ständige Vertreter Rußlands im Büro der Vereinten Nationen in Genf, im März 2022 unter Verweis auf Dokumente.

Die Büchse Der Pandora
Der Ständige Vertreter Rußlands im Büro der Vereinten Nationen in Genf, Gennadi Gatilow, sprach bereits im Frühjahr 2022 über ein militär-biologisches Programm der Bundesrepublik Deutschland.

Der Zweck des Programms habe darin bestanden, die Potentiale von tödlichen Krankheiten unter den Bedingungen in Osteuropa zu untersuchen. Gatilow erwähnte dabei das hämorrhagische Krim-Kongo-Fieber. Das entsprechende Virus, dessen Übertragung meist durch Zeckenstiche erfolgt, war 1956 in Zaire zum ersten Mal aus menschlichem Blut isoliert worden. Verbreitet ist es in Südosteuropa, in einigen GUS-Staaten, im Mittleren Osten sowie in vielen Ländern Asiens und Afrikas. 

Die Hyalomma-Zecke kann durch ihren Biß das oft tödliche Krim-Kongo-Fieber übertragen.

Mit im Boot bei den deutscherseits betriebenen Untersuchungen: das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, aber auch eine kleine Insel – Riems –, gelegen im Südwesten des Greifswalder Boddens (Pommern), geriet in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Hier hat das 1910 gegründete Friedrich-Löffler-Institut, eine Forschungseinrichtung des Bundes für Tiergesundheit, seinen Sitz. Erforscht werden dort in erster Linie Infektionskrankheiten landwirtschaftlicher Nutztierarten, wobei auch angrenzenden Wissenschaften wie zum Beispiel Virusdiagnose und Epidemiologie eine Rolle spielen.

Zivile und militärische Stellen Hand in Hand

Das genannte Projekt finanzierten Gatilows Angaben zufolge das bundesdeutsche Außenministerium und die Bundeswehr. In den „Qualitäts“-Medien der BRD wurde hierüber kein Sterbenswörtchen verloren – und das in einem Land, dessen Außenpolitiker nicht müde werden, andernorts „Transparenz“, „Offenheit“ und „Pluralismus“ anzumahnen... Wie Gatilow weiter ausführte, organisierte das deutsche Institut für Tropenmedizin eine Kooperation mit dem ukrainischen Gesundheitsministerium. Kiew soll dabei zugesagt haben, Blutproben aus verschiedenen Regionen des Landes zu liefern. Ähnliches berichtete das russische Verteidigungsministerium im Mai 2022.

Demnach haben Militär-Epidemiologen des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr allein zwischen 2016 und 2019 3500 Blutserumproben von Bürgern aus 25 Regionen der Ukraine entnommen. Igor Kirillow, Leiter der Strahlenschutztruppen (RCDS) der russischen Streitkräfte, erklärte im Sommer 2022 das Interesse der Bundeswehr am Krim-Kongo-Fieber mit der Letalität dieser Krankheit, die „bis zu 30 Prozent betragen kann“. Ausbrüche erforderten „langwierige und kostspielige Behandlungs-, Präventions- und Spezialmaßnahmen“. Deutsche Fachärzte gingen in Krankenhäusern in Kiew, Charkow, Odessa und Lemberg (russ., Lwow), wo auch Bio-Labore der USA existieren, ein und aus, um sich ein Bild von den Besonderheiten des Krankheitsverlaufs in der Bevölkerung zu machen.

Proben seien auch mit dem Friedrich-Löffler-Institut (FLI) in Riems ausgetauscht worden. Eine zentrale Rolle spielte dabei in jüngerer Vergangenheit Cornelia Silaghi, seit 2017 Inhaberin einer Professur für Infektionsmedizin und Leiterin des Instituts für Infektionsmedizin am LFI. Ihre Arbeit war 2022 Thema im UN-Sicherheitsrat, nachdem das russische Verteidigungsministerium u. a. eine Vereinbarung zwischen Forschern in Charkow und Cornelia Silaghi veröffentlicht hatte. Thema: der Transfer von 147 Proben mit Fledermaus-Parasiten nach Riems.

Die Büchse Der Pandora
Prof. Dr. Cornelia Silaghi, Fachtierärztin für Parasitologie, Universitätsprofessorin für Infektionsmedizin an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Greifswald, Fachrichtung Biologie, forscht als bekennende Grüne in einem militärisch relevanten Bereich.

Der russische Diplomat Wassili Nebenzia brachte seine Besorgnis darüber während einer Rede im UN-Sicherheitsrat zum Ausdruck: „Es besteht das große Risiko, daß es gestohlen wird für terroristische Zwecke, oder um es auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen.“ Silaghi erklärte im März 2022 gegenüber dem Magazin „Science“, in der Tat an Parasiten gearbeitet und entsprechende Proben erhalten zu haben. Nur sei es „verrückt“, daraus gefährliche B-Waffen zu machen. Von den Proben gehe keinerlei Gefahr aus, da Ethanol – es werde benutzt, um die Proben haltbar zu machen – die Parasiten abtöte und Krankheitserreger zerstöre. (Tatsächlich wirkt Ethanol gegen die meisten Bakterien und Pilze, ist aber unwirksam gegen Bakteriensporen.)

Untersuchungen zu Krim-Kongo-Fieber, Pest und Milzbrand

Silaghi zufolge begann die Zusammenarbeit zwischen dem FLI und Forschern in der Ukraine 2020. Zudem habe das Projekt, so Silaghi, „keine Finanzierung aus den USA“ erhalten – wohl aber von der Bundesregierung als Befehlsempfänger und US-Wurmfortsatz, wie bereits dargelegt worden ist. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß Frau Silaghi sich neben ihrer beruflichen Tätigkeit politisch engagiert. Im Ortsverbandsvorstand Nordvorpommern der Partei Bündnis 90/Die Grünen übt sie die Funktion der Sprecherin aus. Ihre Partei verfocht einst einen strengen Pazifismus, dessen Träger sogar die Verteidigung des eigenen Landes ablehnten. Seit einigen Jahrzehnten übt sich die Partei indes in Kriegsrhetorik, womit sie sich fraglos im Fahrwasser der imperialistischen Institutionen NATO und EU bewegt.

Das Bundesforschungsinstitut gab sich eher schmallippig: Ja, es habe schon eine ganze Reihe von Kooperationen mit Forschern auf der ganzen Welt, darunter auch der Ukraine, gegeben. Weiter wolle man sich in der Angelegenheit aber nicht äußeren, teilte eine Sprecherin des Ministeriums im März 2022 auf Anfrage der Zeitung „Nordkurier“ mit. Wesentlich offener war da schon das Fachmagazin „Wehrmedizin und Wehrpharmazie“. In seiner Ausgabe 02/2014 wird u. a. über verschiedene internationale Projekte in Kasachstan berichtet, in deren Rahmen „Untersuchungen zu hochpathogenen Erregern, z. B. Pest, Krim-Kongo-hämorrhagisches Fieber … und Milzbrand“ stattfanden. Mit dabei: das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr.

Die Büchse Der Pandora
Öffnen die westlichen Biowaffen-Forscher die Büchse der Pandora? („Pandora – Allegorie der Eitelkeit“; Gemälde Nicolas Régniers, 17. Jahrhundert)

Den entsprechenden Handlungsrahmen bildet das 2013 unter der Regie des Auswärtigen Amtes gestartete „Deutsche Biosicherheitsprogramm“. Seine Aufgabe besteht der offiziellen Lesart zufolge in der „globalen Abwehr von biologischen Gefahren“. Und weiter heißt es in der Zeitschrift „Wehrmedizin und Wehrpharmazie“ (02/2014): „Biologische Substanzen oder Erreger können von staatlichen und nicht-staatlichen Gruppierungen gleichermaßen nach dem Prinzip der dualen Verwendungsmöglichkeiten (dual-use) für friedliche, aber auch terroristische Zwecke eingesetzt werden.“ Nichts anderes sagte übrigens der russische UN-Vertreter Nebenzia.

Der eine oder andere mag jetzt abwinken: Das sei doch alles eher harmlos und diene der „Prävention“. Doch einmal mehr gilt auch für die B-Waffen-Forschung: Die Grenzen zwischen zivilen und militärischen Untersuchungen sind fließend. Hephaistos, in der griechischen Mythologie der Gott des Feuers, der Schmiedekunst und der Vulkane, schuf eine von den Göttern mit allen möglichen Reizen ausgestattete Frau, die mit der „Büchse der Pandora“ (sie war voller Übel) zu Epimetheus, Prometheus‘ Bruder, geschickt wurde. Prometheus, der den Göttern das Feuer geraubt hatte, öffnete voller Neugier die Büchse – darauf drang mit den darin befindlichen Übeln das Leiden in die Welt.

Mein nächster Artikel dreht sich um die USA und deren Biowaffen-Forschung; u. a. Labore in der Ukraine, Rückschau auf 2001, Stichwort: Milzbrand-Briefe, Gefahr des US-Biowaffen-Programms für die Welt.

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