Nach dem Zweiten Weltkrieg standen sich in Europa zwei Lager gegenüber: Die Staaten der NATO und die Staaten des Warschauer Vertrages. Der westliche Teil Deutschlands – die Bundesrepublik - erlebte in dieser Zeit einen beachtlichen wirtschaftlichen Aufstieg. Dies war auch im Sinne der USA, die in der Konfrontation mit der Sowjetunion und im Wettbewerb der Systeme ein prosperierendes Westeuropa wünschten. Nicht zuletzt aufgrund eines starken US-Dollars - für den in den 50er Jahren über vier Deutsche Mark gezahlt werden mussten – konnte sich dabei vor allem die Bundesrepublik als Exportnation etablieren.
Zu einer weiteren wichtigen Säule des westdeutschen Wohlstandes wurde mit der Zeit zunehmend russisches Öl und Gas. Eingeleitet wurde diese Entwicklung mit den sogenannten Erdgas-Röhren- Ge-schäfte in den 70er Jahren.
Nach dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 und der Auflösung der Sowjetunion waren die USA vorübergehend die einzige Weltmacht. Sie glaubten, ihren Rivalen und dessen Nachfol-ger - die Russische Föderation - besiegt zu haben. In dieser Annahme liegt aber ein Missver-ständnis begründet, das zwischen den USA und ihren westliche Satellitenstaaten einerseits und Russland andererseits nie ausgeräumt wurde.
Während der letzte Staatspräsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, von einem „gemeinsamen Haus Europa“ träumte und eine gleichberechtigte Partnerschaft mit den Ländern des Westens anstrebte, sah sich Washing-ton als Sieger der Kalten Krieges und glaubte, ungehinderten Zugriff auf die russischen Res-sourcen und bei der Neugestaltung der Welt freie Hand zu haben. Russland wollte dem Wes-ten auf Augenhöhe begegnen, der Westen aber betrachtete Russland als einen Besiegten. Auch der russische Präsident Wladimir Putin bezeichnete seine westlichen Kontrahenten noch lange als „Partner“ - bis das Eingeständnis von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, man habe mit den Minsker Abkommen nur Zeit kaufen wollen, um die Ukraine militärisch gegen Russland aufrüsten zu können, diese Illusion endgültig zerstört haben dürfte.
Es sei dahingestellt, ob Merkel Putin bereits seinerzeit hinters Licht führen wollte oder ob sich die gelernte Opportunistin im Nachhinein vor den Hardlinern in Washington und London zu rechtfertigen sucht. Jedenfalls wären die Minsker Abkommen ein letzter Versuch gewesen, den angelsächsischen Konfrontationskurs auszubremsen und französische und deutsche Interessen, zumindest zaghaft, zu verteidigen. Denn die liegen keinesfalls in einer Aufnahme der Ukraine in die NATO, einem Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland auf ukrainischem Boden oder einem Regime Change in Moskau. Und auch nicht in Sanktionen gegen Russland, welche vor allem die deutsche Wirtschaft von bezahlbarer Energie abtren-nen und ihr das Rückgrat brechen werden.
Dabei erhebt sich die Frage, ob die Sanktionspolitik gegen Russland allein gegen Russland oder darüber hinaus auch Deutschland gerichtet war und ist. Schon lange ist es Politik der USA, eine Annäherung zwischen Russland und Deutschland - ganz in der gedanklichen Tra-dition eines Halford Mackinder - zu verhindern.
George Friedman, Gründer des amerikani-schen Think Tanks Stratfor, sagte auf einer Konferenz des Chicago Council im Jahr 2015, dass es Hauptaugenmerk der USA sein müsse, ein Zusammengehen deutscher Technologie und russischer Rohstoffe zu unterbinden. Und ein seit einigen Monaten zirkulierendes Papier, angeblich von der amerikanischen Rand Corporation formuliert - was diese allerdings bestrei-tet - scheint gleichwohl die Blaupause für die Entwicklung des letzten Jahres zu liefern: Indem man einen Krieg in der Ukraine provoziere, könne man Deutschland zwingen, Sanktionen gegen Russland zu verhängen und es so von seiner Versorgung mit günstiger Energie ab-schneiden.
Die Folge sei, dass wichtige Industriezweige aus Deutschland abwandern würden, im Idealfall in die USA. Bei ihrem Wirtschaftskrieg gegen Deutschland können die USA zudem auf die Unterstützung durch eine gehorsame deutsche Regierung zählen. Der derzeitige Wirt-schaftsminister Robert Habeck hatte bereits 2018 - also als er noch kein Mitglied der Regie-rung war - gefordert, dass Deutschland kein russisches Öl oder Gas mehr kaufen solle. Und so ist es nun gekommen. Seit er im Amt ist, begeht die deutsche Wirtschaft im wahrsten Sinne des Wortes „Habeckiri“.
Während es deutschen Regierungen unter Kanzlern wie Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl oder Gerhard Schröder immer wieder gelungen war, sich trotz aller Abhängigkeiten von den USA gewisse Spielräume zu erarbeiten, zeigt sich die aktuelle Truppe um Kanzler Olaf Scholz Washington gegenüber unterwürfig und ist sogar zu feige, die Sprengungen der Nord-stream Pipelines im September, die einen militärischen Angriff auf die Interessen der Bundes-republik darstellen, zu thematisieren.
Denn wer kann ernsthaft davon ausgehen, dass die USA nicht hinter diesem Anschlag stecken? Wer möchte bezweifeln, dass sie ihn entweder direkt durchgeführt oder aber zumindest grünes Licht dafür gegeben haben? Der Vorfall macht hingegen deutlich, dass sich Deutschland dringend von der Vormundschaft der USA befreien muss - will es nicht untergehen und ganz Europa mit sich in den Abgrund reißen.
Während des Kalten Krieges, als sich zwei Lager gegenüberstanden, waren die geopoliti-schen Herausforderungen der Bundesrepublik überschaubar. In einer Welt aber, in der sich neben den USA weitere Machtzentren herauskristallisieren - China, die Russische Föderation, demnächst Indien, und - zumindest ihrem Potential nach - auch die EU - bedürfte es einer Gleichgewichtspolitik der Länder Europas, um deren Interessen gegenüber den Interessen der übrigen Machtblöcke auszubalancieren. Dies aber setzt eine eigenständige Position vo-raus, um flexibel und im Zweifel auch bündnisoffen auf weltpolitische Entwicklungen reagieren zu können. Davon sind wir allerdings weit entfernt.
Vielmehr lässt sich die EU von den USA und Großbritannien gegen Russland in Stellung brin-gen, sie agiert im Grunde wie ein verlängerter Arm der NATO. Der wirtschaftliche Preis, den sie dafür bezahlen muss - und den höchsten Preis wird Deutschland bezahlen müssen - könnte aber dazu führen, dass die EU selbst und nicht Russland in die Knie geht.
Sollte sich Deutschland weiter de-industrialisieren und als größter Nettozahler des Staatenbundes aus-fallen, könnte dies die Zentrifugalkräfte in der Union verstärken und die EU letzten Endes auseinanderreißen. Dies wäre gerade für Deutschland eine Katastrophe: Denn das Land be-findet sich auf dem Kontinent in einer Mittellage, umringt von zahlreichen Nachbarn, und könn-te von Großbritannien und Polen, die bereits jetzt als Alliierte betrachtet werden können, in eine geopolitische Zange genommen werden.
Zudem ist es nun abgeschnitten von bezahlba-rem Öl und Gas und hat seine Beziehungen zu Russland auf absehbare Zeit zerstört. Zerfällt aber die EU, droht Europa in eine Lage zurückzufallen, die es in ähnlicher Form vor den bei-den Weltkriegen bereits gegeben hat.
Dies ist das Risiko, das die deutsche Regierung für die amerikanischen Weltmachtambitionen einzugehen bereit ist. Während die USA dank einer hinter den Kulissen lange vorbereiteten Konfrontation mit Russland ihre Macht in und über die EU weiter festigen und sie zu ihrem willfährigen Handlanger degradieren konnten, wird gerade Deutschland zum Bauernopfer auf dem Schachbrett der Macht, auf dem die USA Russland niederwerfen und in mehrere Staaten zerstückeln möchten.
Die deutsche Regierung macht sich dabei zum Mittäter und Komplizen des amerikanischen Imperiums und verspielt so die Zukunft des eigenen Landes. Wollen wir aber Kriege in Europa - wie den aktuellen in der Ukraine oder den drohenden auf dem Balkan - künftig vermeiden, müssen sich Deutschland und die EU dringend von der Umklammerung von und der Bevormundung durch die USA befreien.
Voraussetzungen hierfür wäre auch eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur für den ganzen europäischen Kontinent und ein Abzug sämtlicher amerikanischer Truppen und Atomwaffen von europäischem Boden. Diese Forde-rung erscheint riskant, denn es ist nicht davon auszugehen, dass die USA gerade ihre deut-sche Kolonie kampflos aufgeben werden.
Dennoch ist es an der Zeit, ein neues Kapitel in der Weltgeschichte aufzuschlagen: Das einer multipolaren Weltordnung mit einer von den USA unabhängigen EU. Nur so wird Frieden in Europa wieder möglich sein.