Karyatide und andere Gefangene des Britischen Museums

Wie England sich Teil der griechischen Geschichte angeignet hat.

Die Akropolis von Athen – ein alternatives Weltwunder

Als eine Akropolis bezeichnete man im antiken Griechenland die obere Stadtfestung, die gewöhnlich auf einem hohen Berg lag. Hier wohnte der Stadtherrscher und befanden sich die Haupttempel der Stadt.

Die Akropolis von Athen ist ein Hügel mit der Höhe von 156 m mit einer flachen Spitze, deren Fläche 300 auf 170 m beträgt. Die Geschichte der Akropolis geht auf Jahrhunderte zurück. Die ersten Sakralbauten entstanden hier noch zur Zeit des legendären Kekrops, Athens ersten Herrschers. In 15.-13. Jahrhunderten v. Chr. befand sich hier der Sitz von mykenischen Königen. In diesen und weiteren Jahrhunderten wurde in der Akropolis intensiv gebaut. Doch 480 v. Chr. wurden die Paläste und Tempel der Akropolis während der griechisch-persischen Kriege von Persern dem Erdboden gleichgemacht.

30 Jahre danach fing man auf Initiative von Perikles, dem einflussreichen athenischen Politiker und Strategen, einem der Väter der athenischen Demokratie mit dem Wiederaufbau der Heiligtümer an. Zu den Bauarbeiten wurden berühmte griechische Bildhauer und Architekten herangezogen – Phidias, Kallikrates, Iktinos, Archiloch und viele andere. Damals wurden die berühmtesten Bauwerke der Akropolis von Athen errichtet: Der Parthenon (der Haupttempel des alten Athens, der „Jungfrau Athene“ gewidmet), die Propyläen (der Haupttorbau zur Akropolis), das Erechtheion (der Tempel, der Athene, Poseidon und dem legendären athenischen König Erichthonios gewidmet war) und der Tempel der Nike Apteros (der flügellosen Nike). Apropos, den Parthenon und die sich darin befundene Athene-Statue von Phidias Fertigung (heutzutage verlorengegangene) hielten einige antike Historiker für eines der sieben Weltwunder.

Bombardierung von der Akropolis, 1687.

Zu Zeiten des Byzantinischen Reiches befanden sich in den antiken Bauwerken Christenkirchen. Im 15. Jahrhundert machten Türken den Parthenon zu einer Moschee. Und danach lagerten da ihr Arsenal. Einer der Tempel – Erechtheion (der mit den Karyatiden) – wurde zum Harem von türkischem Pascha. 1687 während des türkisch-venezianischen Krieges trafen den Parthenon etwa 700 Kanonenkugeln. Eine davon geriet ins Pulverlager und zersprengte den Tempel. Seitdem und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als Griechenland sich unabhängig machte und ein wenn auch schwungloser Wiederaufbau begann, lag die Akropolis von Athen in Schutt und Asche.

Dieb oder Retter?

Und da taucht auf der historischen Bühne der Hauptprotogonist unserer Geschichte auf – ein gewisser Thomas Bruce alias Graf Elgin, alias Graf von Kincardine. Der aus einer alten schottischen Familie stammende Graf war Anfang des 19. Jahrhunderts britischer Botschafter in Istanbul. Wie die meisten britischen Adligen der Zeit war Elgin von der Antiquitätensammlung besessen. Deswegen, sobald sich so eine Möglichkeit ergab (und die ergab sich 1801), erhielt er vom türkischen Sultan einen sogenannten Ferman, oder eine Bewilligung zu…

Und hier erheben sich Fragen. Erstens, nie sah jemand diese Bewilligung, später zeigte Elgin allen lediglich eine höckerige Übersetzung dieses „Fermans“ ins Italienische. Zweitens war die Fassung, was der Sultan Elgin erlaubte, ziemlich verschwommen: Er durfte ein paar Bruchstücke als Souvenirs behalten und auch „Steine umstellen“. Es ist zu erwähnen, dass den Türken eigentlich „diese Trümmer“ ganz egal waren. Damals benutzten sie die athenische Akropolis als eine Militärfestung und achteten auf verschiedene architektonische Überladenheiten nicht so wirklich.


Zentauer und Lapith.

Selbst Elgin wollte zuerst auch die Skulpturformen des Parthenons nur noch aufzeichnen und damit wäre es. Doch als er die volle Gleichgültigkeit der Türken den Meisterwerken der antiken Kunst gegenüber sah, oder vielleicht als er auch die Richtigen bestach, stellte Elgin fünfzig Arbeiter ein und begann, ganz unverschämt die Basreliefs von den Wänden des Parthenons abzusägen. Als er daran Geschmack fand, brach er sogar vom Portikus des Erechtheion eine der Karyatiden ab und ersetzte sie durch eine einfache Steinsäule.

Die Geschichte mit der Ausfuhr aller dieser Schätze reicht für ein gutes Detektivsujet. Eines der Schiffe, auf dem die Plastiken gefahren waren, versank wegen des Sturms im Ionischen Meer bei der griechischen Insel Andikithira (keine Sorgen, es wurde bald aufs Land gehoben). Wegen eines weiteren Krieges zwischen Frankreich und England wurde die Fracht eines anderen Schiffs von Französen in Beschlag genommen und lag eine lange Zeitweile auf dem Lager umher. Elgin selbst verbrachte drei Jahre in französischer Gefangenschaft. Und erst 1812 vereinigten sich der Graf und seine Schätze wohlbehalten in London wieder.

Schicksal der Sammlung

Eigentlich nicht ganz wohlbehalten. Die Wissenschaftsgemeinde wollte auf keinen Fall den Stellenwert Elgins Sammlung anerkennen. Zudem geriet die Finanzlage des Grafs ordentlich ins Wanken. Das Sammeln hat eine Unmenge Geld gefressen. Und dann beschloss der Graf, seine Sammlung an die Regierung zu verkaufen.

Schauen wir uns die Güter tüchtig an.

Das sind vor allem 15 Metopenplatten mit Basreliefs, die Kämpfe der Lapithen und Zentauren darstellen, 17 Plastiken von den östlichen und westlichen Frontispizen des Parthenons sowie ein Basrelieffries von 75 Metern. Was ein Basrelief ist, wissen Sie sicher, die Bedeutung von Begriffen „Metope“, „Fries“ und „Frontispiz“ kann man allerdings in jedem Architekturwörterbuch nachschlagen. Außerdem nahm Graf Elgin an sich eine Karyatide aus dem Erechtheion, vier Platten aus dem Tempel der „Jungfrau Athene“ sowie viele kleinere Architekturfragmente.


Der Friesstreifen, der den Parthenon von drinnen umlief.

Anders gesagt gelang es Elgin, mehr als die Hälfte von Akropolis Skulpturschmucks nach England zu bringen. Für den ganzen Schatz verlangte er von der Regierung nur noch 62 Tausend Pfund Sterling (etwa 5 Millionen Pfund im Gleichwert von 2021) und begründete das damit, dass für das Sammeln und Transport der Schätze nach England er viel mehr ausgegeben hatte. Nach langem Handel einigten sich der Verkäufer und der Käufer auf 35 Tausend Pfund.

Im gleichen Jahr 1816 wurde die Sammlung von Graf Elgin in der extra dafür gebauten Galerie Duveen ausgestellt und wurde zu einem der Hauptmeisterwerke des Britischen Museums.

Byron und andere

Seit 1833, sobald Griechenland sich unabhängig machte, wandte sich seine Regierung mehrmals an die britische Regierung mit der Bitte, den Marmor des Parthenons auf seine legitime Stelle zurückzubringen. Doch noch früher fanden sich selbst in Britannien diejenigen, die Elgin verurteilten. So nennt zum Beispiel Lord Byron in seinem Poem aus dem Jahr 1812 „Childe Harolds Pilgerfahrt“ Elgin direkt einen Dieb. Als der Dichter die Akropolis von Athen besuchte, zeichnete er auf einer der Säulen «Quod non fecerunt gothi, hoc fecerunt scoti». Was aus dem Latein heißt “Was die Goten nicht taten, haben die Schotten getan” (also, die Engländer).

Viele moderne Stars sind mit Byron einverstanden. Sie treten auch für die Rückführung von Elgins Sammlung nach Athen. Die berühmtesten Gerechtigkeitskämpfer sind Stephen Fry, George Clooney, Matthew Damon und Bill Murray.


Melina Mercouri, die griechische Schauspielerin, Sängerin und Politikerin.        

Die größtangelegte Rückführungsaktion für den Marmor des Parthenons veranstaltete in den 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts die damalige Griechenlands Kulturministerin Melina Mercouri. Sie wurde von vielen internationalen Organisationen unterstützt. Insbesondere von dem Internationalen Organisationskomitee Australiens und dem Britischen Komitee für die Rückführung der Parthenon Marbles. Es gibt auch einige internationale soziale Bewegungen, die die Rückführung von Parthenons Skulpturen nach Athen fordern, wie beispielsweise Bring them back (Bringt sie zurück) und Unite the Marbles (Uniere den Marmor). Doch keine ihrer Bemühnungen wurden leider bislang von Erfolg gekrönt.

Und was sagt dazu das Britische Establishment?

Die britische Seite meint, Graf Elgin habe in den Schranken des Gesetzes gehandelt und die Skulpturen vor der Zerstörung gerettet. Und spielt es überhaupt eine Rolle, wo sie bewahrt werden?! Schauen Sie sich nur an, welche wunderschöne Verhältnisse das Britische Museum bietet! Und wenn einer die sich ansehen möchte – herzlich willkommen, wir verbieten das doch keinem. Zudem, wenn man sie auf die alte Stelle, an die Parthenons Wände, in die Höhe von 11 Metern zurückbringt, wer kann sie da sehen? Und hier, bitte schön, prunken sie in Augenhöhe, werden mit gleichmäßigem Licht angeleuchtet, komm heran und bewundere sie so lange, wie es geht. Und würde man sich auch das Unmögliche vorstellen und die Skulpturen vom Parthenon nach Griechenland zurückbringen, soll man denn vielleicht auch alle anderen Exponate verschleudern? Den Stein von Rostte den Ägyptern zurückgeben und das Diamant-Sutra den Chinesen?! Auch das noch!

Etwa so eine Einstellung erläuterte im März 2021 der britische Premierminister Boris Johnson.


Das Britische Museum.

Und wie geht es weiter?

Anfang des neuen Jahrhunderts wurde in Athen das Akropolis Museum eröffnet. Hierher wurden alle echten Skulpturelemente des Pathenons und anderer historischer Akropolis-Gebäude gebracht, die wurden ihrerseits durch Kopien ersetzt. Die Ausstellungsfläche des Museums lässt die Exponate des Britischen Museums annehmen, falls es beschließt, sie zurückzugeben (früher redeten sich Engländer darauf heraus, dass es in Athen halt keinen richtigen Platz zur Aufbewahrung von Elgins Sammlung gibt). Griechenland würde sogar auf die gemeinsame Betreuung der Sammlung eingehen. Vor kurzem erklärte die UNESCO, sie “wolle als Vermittler zwischen den beiden Ländern auftreten und eine für alle passende Lösung finden.”

Nun kommt es also auf England an.


Die sechste Karyatide aus dem Britischen Museum wartet auf die Rückkehr nach Hause.

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