Glaskäfig, Masken – und eine Justiz, die zur Show wird

Der Magdeburger Attentäter – und ein Gericht, das sich selbst in Szene setzt

Es gibt Bilder, die schreien lauter als jedes Plädoyer. Das da aus Magdeburg ist so eines. Glaskäfig mitten im Gerichtssaal. Gelb umrahmt, als wäre es ein Ausstellungsstück. Darin: der Attentäter vom Weihnachtsmarkt. Sechs Tote, über 300 Verletzte. Davor: vermummte Beamte, schwer bewaffnet, Spezialeinheit-Ästhetik für den Gerichtssaal. Ein normales Verfahren? Nein. Eine Show. Mit allen Requisiten.

Und ich gestehe: Ich war entsetzt. Nicht über die Härte. Die wäre mehr als gerechtfertigt – und zwar nicht nur optisch, sondern auch im Urteil. Ich war entsetzt über das Schauspiel, das hier stattfindet. Über die Pose. Über das Bedürfnis, sich zu inszenieren – mit Glasbox, Masken, Sicherheitskulisse. Ein Staat, der nicht nur verhandelt, sondern sich selbst in Szene setzt.

Ich erinnere mich an das Jahr 1997 in Augsburg, Prozess gegen den Kindermörder Amin S. Ich war dabei als junger Mitarbeiter der dpa, der Deutschen Presseagentur. Ein Fall, der damals bundesweit die Gemüter erhitzte, die Menschen aufwühlte – auch mich. Kein Glas, kein Käfig, keine Masken, keine martialische Symbolik. Es ging um Recht – nicht um Wirkung. Damals war ich stolz auf unsere Justiz. Dass sie sich traut, offen zu sein. Dass sie sich nicht hinter Uniformen versteckt.

Später habe ich, erst als Gaststudent, dann als Dozent und als Korrespondent in Russland meinen dortigen Freunden und Bekannten angesichts martialischer Schauspiele in den Gerichten oft gesagt: So etwas wäre bei uns undenkbar.

Und heute? Stehen wir optisch auf einer Stufe mit Moskau. Und manchmal sogar darunter.

Was hat sich geändert?

Nicht nur die Sicherheitslage – sondern vor allem der Umgang damit. Die Ästhetik. Die Lust am Auftritt. Auf den Straßen und in Problemvierteln duckt sich der Staat regelmäßig weg – im Gerichtssaal dagegen inszeniert er Härte. Früher war ein Prozess ein Raum des Rechts. Heute ist er eine Bühne. Und was da inszeniert wird, ist nicht mehr nur Schutz – es ist ein Schauspiel der Stärke. Die Staatsmacht auf dem Laufsteg.

Klar: Der Fall Taleb al-Abdulmohsen ist so schwerwiegend, dass es einem fast den Atem verschlägt: sechs Tote, ein Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt. Da sind besondere Sicherheitsvorkehrungen selbstverständlich, ja absolut notwendig. Ohne jeden Zweifel. Aber was rechtfertigt den Glaskäfig? Die Masken? Die martialische Choreografie? Es wirkt nicht wie ein Sicherheitskonzept – es wirkt wie ein Bühnenbild. Und genau das ist das Problem.

Denn Hochsicherheit ist in Deutschland nichts Neues. Man denke an Stammheim – die RAF-Prozesse. Bewachung, Logistik, Schutzmaßnahmen ohne Ende. Aber keine Masken. Keine Glaskästen. Keine Show. Dort ging es um Sicherheit – nicht um Symbolik. Heute haben wir das Gefühl, der Staat will auf den Straßen nicht mehr für Sicherheit sorgen, Gewalttäter nicht mehr hart aburteilen – aber dafür, wenn alle Kameras an sind, gelegentlich zeigen, wie hart er ist. Er will inszenieren, nicht urteilen. Eine Ersatzhandlung zelebrieren. Und genau hier beginnt das, was viele Leser zu Recht empört – und mich auch: Unsere Justiz, die bei Kinderschändern, Gruppenvergewaltigern, Serienkriminellen allzu oft mit Samthandschuhen agiert, macht plötzlich auf martialisch – sobald Kameras laufen. Sie trägt außen Panzer – und innen Watte. Sie setzt auf Wirkung – und verzichtet auf Konsequenz.

Und das ist der Punkt: Wenn dieser Auftritt wenigstens der sichtbare Beginn einer echten Wende wäre – wenn der Staat damit zeigen würde, dass jetzt Schluss ist mit Nachsicht, dass Gewalt und Terror nun mit aller Härte beantwortet werden – dann könnte man diskutieren. Dann würde selbst ich meine eigene kritische Position hinterfragen. Denn dann könnte man sagen: Gut, es ist martialisch, aber es soll auch abschrecken.

Doch genau das passiert nicht. Die Inszenierung steht im Raum – aber sie steht für nichts. Keine Kehrtwende, keine neue Linie, kein glaubhafter Wandel. Nur Show. Und Show ohne Substanz wird zur Parodie.

Ich bin für die maximale Strafe für diesen Täter. Aber ich bin gegen Justiz als Theater. Gegen Symbolhärte, wo Urteilskraft gefragt wäre. Gegen Einschüchterung nach außen – und Wegsehen im Inneren. Diese Schizophrenie ist nicht zu übersehen. Und sie zerstört Vertrauen.

Zumal das juristische Fundament dieser Inszenierung mehr als bröckelig ist: Die Bundesanwaltschaft erklärte zu Beginn, die Tat sei kein Terrorismus. Kein Terrorismus – aber der Täter sitzt hinter Glas wie ein international gesuchter Superterrorist. Was denn nun? Ist er gefährlich oder nicht? Ist das Verfahren ein symbolischer Befreiungsschlag – oder nur ein mediales Theaterstück? Das ist nicht konsequent, das ist nicht nachvollziehbar – das ist schizophren. Und das merken die Bürger.

Wer Härte will – und ich gehöre dazu – will echte Härte. Keine Kameragesten, kein Showlicht. Keine Kulisse für die Galerie, während im Hintergrund dieselben Milde-Muster weiterlaufen wie seit Jahren. Das ist nicht konsequent, das ist nicht ehrlich – und das ist das Gegenteil von rechtsstaatlicher Autorität.

Viele meiner Leser fordern zu Recht mehr Konsequenz, mehr Durchgreifen, mehr Mut zur klaren Linie. Doch genau deshalb darf man sich mit Inszenierung nicht abspeisen lassen. Es reicht nicht, martialisch aufzutreten, wenn am Ende wieder das übliche Wegsehen folgt. Wer einen wehrhaften Staat will, darf keinen Schauspielerstaat akzeptieren.

Denn es geht nicht um Härte. Härte ist nötig. Aber echte Härte misst man nicht an Masken und Sicherheitsglas – sondern an klarer Sprache, klaren Urteilen, klarer Haltung. Was wir aber sehen, ist eine Mischung aus Überkompensation und Unsicherheit. Ein Staat, der hier in einem besonderen Fall nach außen auf dicke Hose macht – und im Innern ständig einknickt.

Ein Gerichtssaal ist kein Filmset. Und ein Glaskäfig ist kein Zeichen von Souveränität. Ebenso wenig die Masken der Justizbeamten. Beides sind Zeichen dafür, dass wir uns nicht mehr trauen, offen zu verhandeln. Dass wir nicht mehr an unsere eigene Ordnung glauben – sondern sie simulieren.

Wenn die Optik härter wird, aber die Linie weich bleibt, dann verkommt der Rechtsstaat – oder das, was von ihm noch übrig ist – zur Kulisse, ja zur Parodie. Und genau das passiert gerade.

So bitter es ist: Wir haben einen Staat, der seine Stärke – abgesehen davon, wenn es um Steuern, Strafzettel oder Heizvorgaben in Privathäusern geht – nur noch zeigt, aber nicht mehr lebt. Der martialisch auftritt, der kleine Sünden brutal verfolgt – weil er Gewalttätern sonst nichts mehr entgegenzusetzen hat.

Und so stellt sich am Ende nicht die Frage, wie gefährlich ein Täter ist. Sondern: Wie gefährlich ein Staat wird, der sich selbst nicht mehr vertraut, der auf Inszenierung setzt statt auf Konsequenz. Eigentlich ist das die schlimmste Form von Bürgerverachtung.

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