Man kommt aus dem Staunen nicht heraus bei der Lektüre der Nachrichten aus Deutschland. Gerade erst bei Marcel Fratscher, der wie ein Standup-Comedian des rot-grünen Zeitgeists wirkt und dabei als Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auftritt – wohlgemerkt einer privaten Institution, auch wenn offenbar der Eindruck vermittelt werden soll, es sei eine staatliche Einrichtung. Der linke Kulturkrieger hat gerade Angst geschürt, dass die „Stadtbild“-Aussage von Bundeskanzler Friedrich Merz der deutschen Wirtschaft schaden könnte.
So weit, so komisch.
Noch bizarrer wird es dann aber, wenn man Nachrichten liest, die wirklich der deutschen Wirtschaft schaden. Der sonst so rot-grüne Tagesspiegel hat offenbar neben den üblichen woken inzwischen auch wache Momente und titelt: „Keine funktionierende Gewerbeaufsicht: Chefs der Berliner Ordnungsämter warnen in Brandbrief vor kriminellen Strukturen“.
Im Vorspann des Artikels, der schamhaft hinter einer Bezahlschranke steckt und dafür viel zu schade ist, weswegen ich hier berichte, heißt es: „Bei Berlins Gewerbeüberwachung herrschen Behörden-Pingpong und Zuständigkeitschaos. In einem Schreiben an den Regierenden Bürgermeister warnen die Bezirke vor rechtsfreien Räumen.“
Meine erste Reaktion: Erst jetzt, im Jahr 2025, warnen die Berliner Bezirke vor rechtsfreien Räumen? Wo die doch in Berlin seit vielen, vielen Jahren gang und gäbe sind. Doch sofort tadelte ich mich für meine erste Reaktion – denn sie ist geradezu defätistisch, und so eine Herangehensweise – also die Gewöhnung an das Negative und die Abstumpfung, hat unser Land in das Elend geführt, in dem wir uns befinden.
Also sehen wir uns die Sache genauer an – und ohne Abstumpfung. Was genau beklagen die Bezirke? Die Gewerbeaufsicht liege seit Jahren brach, die Folgen seien schwerwiegend, der Wirtschaftsstandort Berlin sei gefährdet. Also nicht durch Aussagen von Merz, wie uns der Ideologe Fratscher und Genossen Glauben machen wollen, sondern durch Behördenversagen. In einem Bundesland, in dem ausgerechnet die CDU den Regierungschef stellt – auch wenn man ihr hier zugutehalten muss, dass sie es mit enormen Altlasten der früheren rot-grünen und rot-rot-grünen Regierungen zu tun hat. Von den noch weiter zurückreichenden Altlasten aus Zeiten der DDR und West-Berlins gar nicht zu reden.
Die Stadt riskiere, als Ort wahrgenommen zu werden, „an dem man machen kann, was man will“. Wo „Gesetze keine praktische Wirkung mehr entfalten“, Wirtschaftskriminalität folgenlos und Verstöße „mangels einer funktionsfähigen Verwaltung (…) faktisch sanktionslos bleiben“, heißt es in dem Schreiben der Bezirke laut Tagesspiegel.
Wird die Stadt nicht lange schon so wahrgenommen? Und ist das Problem nicht die Wahrnehmung von Gesetzeslosigkeit, sondern deren tatsächliches Vorhandensein?
Aber solche Fragen sind für den neuen Sozialismus in der Hauptstadt wohl zu philosophisch.
Die Stadt hat genügend Ressourcen, um Polizisten in der Früh wegen eines harmlosen Tweets zu einem Professor zu schicken – aber nicht, um potentielle Wirtschaftskriminalität zu entdecken und zu bekämpfen.
Es geht um Spätis, Geschäfte und Glücksspiel, heißt es in dem Bericht: Berlin verfüge „derzeit faktisch über keine funktionierende Gewerbeüberwachung mehr – mit gravierenden Folgen für Rechtsstaat, Sicherheit und fairen Wettbewerb“, schreiben die Chefs der Ordnungsämter. „Dabei sind die Probleme lange bekannt: Die geplante Neuaufstellung der Gewerbeaufsicht in Berlin zieht sich seit Jahren hin“, so der „Tagesspiegel“.
So sei das Landeskriminalamt personell nicht mehr in der Lage, die gesetzlichen Aufgaben der Gewerbeüberwachung effektiv wahrzunehmen, heißt es im Brandbrief an die Senatskanzlei. Kein Wunder, wenn das Landeskriminalamt damit beschäftigt ist, kritische Professoren oder auch kritische Journalisten wie mich zu verfolgen – in meinem Fall kam das Landeskriminalamt sogar zum Hausmeister, um diesen nach mir zu befragen (siehe hier). Dafür ist es personell in der Lage.
Der Gewerbeaußendienst beim Landeskriminalamt (LKA) „existiert praktisch nicht mehr“. Bei Spielhallen, Wettbüros, Prostitutionsstätten, Pfandleiher oder Finanzvermittler fänden seit Jahren kaum oder gar keine Kontrollen mehr statt, heißt es laut Tagesspiegel in dem Brief. Wohlgemerkt – die Diagnose stammt aus einem amtlichen Schreiben, nicht von den üblichen Verdächtigen wie kritischen Journalisten.
Weiter stehen da Aussagen, für man unsereinen wohl als „Delegitimierer“ beim Verfassungsschutz denunzieren würde: Es hätten sich dadurch „Strukturen etabliert“, „die sich offenkundig nicht mehr an geltendes Recht gebunden fühlen“, warnen die Amtsleiter. „Wenn der Staat in diesem Bereich dauerhaft nicht präsent ist, entstehen Räume, in denen rechtsstaatliche Grundsätze keine Geltung mehr haben.“
Also genau das, was Kritiker seit Jahren bemängeln – und wofür sie diffamiert werden.
Doch es kommt noch schlimmer: „Das alles ist dem Senat bereits seit Jahren bekannt“, heißt es in dem Bericht: „Bereits Anfang 2022 kam eine Untersuchung für die Wirtschaftsverwaltung zu einem verheerenden Ergebnis: Die Gewerbeüberwachung sei in weiten Teilen ‚nicht funktional‘. Mehr als zehn Jahre habe es bei der Wirtschaftsverwaltung keine wirksame Fachaufsicht gegeben. Problematisch sei auch, dass sowohl die Wirtschafts- als auch die Innenverwaltung für die LKA-Gewerbeeinheit zuständig sind, während die Aufsicht der Ordnungsämter bei der Senatskanzlei liegt. Hinzu komme ‚fehlende Einheitlichkeit‘ beim Vorgehen der Ordnungsämter in den Bezirken, was zu ‚problematischen Verdrängungseffekten‘ führe.“
Während für Gewerbeüberwachung kein Geld und keine Ressourcen da sind, gibt es die im Überfluss für Umwidmung von WCs in Unisex-Toiletten, Frauen-Pissoirs, für komfortableres Licht in einer Gefangenen-Sammelstelle, für Meldestellen für Diskriminierung und alles, was rechts ist, sowie ideologisches Gedöns jeder Art, Hauptsache rot-grün.
Doch es fehlt nicht nur an Geld. Es geht auch drunter und drüber – wie das in Systemen, in denen Ideologie vor Realität geht, zwangsläufig ist. „Hinzu kommen laut Gutachten Unklarheiten und Grauzonen, LKA und bezirkliche Ordnungsämter reklamierten für sich, zuständig zu sein – oder bestritten dies“, wie es in dem Bericht heißt: „Wegen des Personalmangels führe die Gewerbeaufsicht beim LKA meist nur noch Verbundeinsätze durch, etwa bei Gaststätten mit Clan-Bezug, Café-Casinos, Spielhallen, Prostitutionsgewerbe und Bewachungsgewerbe. Dagegen werden ‚weite Bereiche der erlaubnispflichtigen und überwachungsbedürftigen Gewerbebereiche gar nicht überwacht‘.“
Womit wir quasi amtlich haben, dass Berlin sich in ein Sumpfgebiet verwandelt hat – nur nicht in einen braunen, sondern in einen rot-grünen, unter schwarzer Oberaufsicht.
Dass sich etwas ändert, ist unwahrscheinlich: „Es wurde viel geredet, Probleme wurden erkannt, Lösungsvorschläge erarbeitet, aber passiert ist dann nichts“, schreiben die Ordnungsamtschefs dem Bericht zufolge: „Es fehle eine politische Entscheidung des Senats und das klare politische Bekenntnis zu funktionierenden rechtsstaatlichen Strukturen bei der Gewerbeüberwachung. Es bestehe ein ‚existentieller Handlungsbedarf‘, ‚bevor rechtsfreie Strukturen weiter erstarken‘. Die Ordnungsämter stünden bereit, bräuchten aber ausreichend Mitarbeiter.“
Und was tut der Regierende Bürgermeister von der CDU? Offenbar nichts.
Beziehungsweise er agiert nach dem Motto: Und wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründ ich einen Arbeitskreis. „Ein Sprecher der Senatskanzlei sagte, unter Federführung der Wirtschaftsverwaltung laufe „bereits seit geraumer Zeit ein Projekt“, schreibt der „Tagesspiegel“: Dabei würden „Vorschläge für eine Neuaufstellung der Gewerbeüberwachung erarbeitet und Aufgabenverlagerungen vorgeschlagen“.
Fast genauso satirereif wie die ganze Geschichte ist der Schlusssatz des „Tagesspiegel“-Artikels: „Mit Blick auf die gesamtstädtische Steuerung der Ordnungsämter unterstützt die Senatskanzlei die Vorschläge. Wegen des Brandbriefs komme das Thema Mitte November auf die Tagesordnung des nächsten Lenkungskreises der Ordnungsämter. Mit dabei: Martina Klement, Staatssekretärin für Verwaltungsmodernisierung.“
Ein Lenkungskreis also. Für eine Stadt ohne Lenkung. Für eine Verwaltung ohne Aufsicht. Für ein System, das lieber Diskursräume kontrolliert als illegale Gewerbe.
Wer das für Satire hält, hat Berlin nicht verstanden. Und wer es ernst nimmt, wird am Ende auch zum Delegitimierer erklärt.
Vielleicht bräuchten wir wirklich einen Lenkungskreis – aber nicht für Ordnungsämter, sondern für eine Regierung, die sich selbst lenkt wie ein Geisterfahrer im Nebel.
Und eine Meldestelle für politischen Realismus – die hätte echten Seltenheitswert. Nur: Jeder, der sich dorthin wenden würde, wäre sofort ein Verdachtsfall.
Denn jeder ideologische Nonsens ist hierzulande eine heilige Kuh – nur die Realität ein Fall für den Verfassungsschutz.