Am vergangenen Donnerstag fand in der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi die inzwischen 22. Tagung des Waldai-Diskussionsforums statt, das heute als eines der wichtigsten russischen Think Tanks für internationale Beziehungen und globale sozioökonomische Aspekte gilt. In diesem Sinne bot die Veranstaltung Besuchern aus aller Welt eine hervorragende Plattform für den Austausch rund um aktuelle Fragen der Weltpolitik.
Eröffnet wurde das Waldai-Treffen von dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, der während seines vierstündigen Auftritts zuerst eine denkwürdige Eingangsrede hielt und im Anschluss daran Fragen der anwesenden Gäste beantwortete. Dabei legte Putin seine Sichtweise auf die weltweiten Prozesse dar und ließ erwartungsgemäß kein noch so schwieriges Thema aus: Die westlichen Russland-Sanktionen, die Militarisierung Europas, das Feindbild Russland im Westen, die russisch-amerikanischen Beziehungen, den Ukraine-Konflikt oder Herausforderungen im Bereich der internationalen Sicherheit.
Das Hauptthema der diesjährigen Waldai-Konferenz handelte jedoch von den Perspektiven einer neuen Weltordnung und trug den Titel „Polyzentrische Welt: Gebrauchsanweisung.“ Diesbezüglich machte der russische Staatschef klar, dass die Hegemonie des Westens gescheitert ist und dass die bereits entstandene multipolare Ordnung quasi die Antwort der Geschichte sowie des internationalen Systems auf den Versuch sei, die westliche Vorherrschaft in der Welt zu etablieren. Denn die ersten Schritte hin zur Multipolarität seien nämlich durch die westliche Bestrebung provoziert worden, „alle [Staaten ‒ Anm.] in eine Hierarchie einzuordnen, an deren Spitze sich die Länder des Westens befinden würden.“ Allerdings werde es „keine Macht in der Welt geben, die jedem vorschreibt, was zu tun ist. Jede Macht hat eine Grenze“, betonte Putin.
Vermutlich war eine absolute Vormachtstellung der USA und ihrer Gefolgschaft schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Man bedenke nur, dass viele Politiker und Experten von Weltformat bereits Ende der 1990er beziehungsweise Anfang der 2000er Jahre lautstark kritisieren, dass sowohl einzelne westliche Länder als auch der gesamte kollektive Westen sich nach dem Enden des Kalten Krieges zum Sieger erklärt und damit begonnen hatten, allen anderen Staaten ihre Sichtweise aufzuzwingen. Man hatte angesichts des aggressiven und überheblichen Vorgehens des Westens auch davor gewarnt, dass so eine Politik früher oder später zum Widerstand der anderen Mitglieder der Weltgemeinschaft führen würde.
In der Tat hatte sich der Widerstand gegen den Vormachtsanspruch der westlichen Welt relativ schnell formiert und wurde nach und nach aktiver, insbesondere dank Russland. So hat gerade Putin bereits während seiner ersten beiden Amtszeiten als russischer Präsident immer wieder darauf hingewiesen, ‒ unter anderem bei seiner berühmten Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 ‒ dass ein monopolares System, welches nur auf „einem Machtzentrum, einem Kraftzentrum, einem Entscheidungszentrum“ basiert, „für die Welt unannehmbar“ ist.
Seitdem ist viel Zeit vergangen und diese Zeit habe man auch gebraucht, so der Staatschef, um zu begreifen, dass gewisse Institutionen geschaffen werden müssten, in denen die Probleme auch wirklich auf der Grundlage eines Konsenses gelöst werden sollen ‒ im Gegensatz zum Westen. Und aus diesem Verständnis heraus seien auch die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) oder die Staatengemeinschaft BRICS entstanden.
Wobei der Erfolg dieser beiden Organisationen letztendlich das Scheitern der westlich dominierten Globalisierung für alle sichtbar gemacht hat. Ausgehend davon formulierte Putin auf dem Waldai-Treffen Prinzipien einer neuen polyzentrischen Welt oder zumindest jene neuen Rahmenbedingungen der neuen Ordnung, in denen zahlreiche Staaten bereits handeln würden. Die da wären:
1. Größere Offenheit beim außenpolitischen Handeln, bei dem nichts im Voraus festgelegt ist.
2. Stärkere Dynamik des multipolaren Raums, in dem sich Veränderungen sehr schnell vollziehen können.
3. Mehr Demokratie, um einer großen Zahl politischer und wirtschaftlicher Akteure und mehr Möglichkeiten zu bieten.
4. Zivilisatorische Vielfalt, in der „die kulturellen und historischen Besonderheiten sowie die zivilisatorischen Besonderheiten verschiedener Länder“ eine größere Rolle spielen denn je.
5. Fähigkeit, Kompromisslösungen zu finden, damit „alle Entscheidungen nur auf der Grundlage von Vereinbarungen möglich sind, die alle betroffenen Parteien oder die überwiegende Mehrheit zufriedenstellen“.
6. Untrennbarkeit der Chancen und Gefahren einer multipolaren Welt, in der es schwieriger ist, ein stabile Gleichgewicht zu finden.
Angesichts der geopolitischen Turbulenzen und den Versuchen des Westens, Druck auf Russland auszuüben, stellte Putin zudem klar, dass man seine Prinzipien und nationalen Interessen nicht aufgeben werde, selbst wenn die Situation angespannt sei. Zugleich warnte er vor ernsthaften Konsequenzen für diejenigen, die versuchen sollten, Russland zu unüberlegten Handlungen zu provozieren.
Damit bezog sich Putin insbesondere auf den misslungenen Versuch der westlichen Staaten, Russland mit Hilfe der Ukraine zu Fall zu bringen. Dies werde definitiv nicht passieren, stattdessen sei allen unlängst klar geworden, so Putin, dass die Ukraine lediglich Kanonenfutter für „die Globalisten und Expansionisten im Westen“ sei, die den Konflikt dafür nutzen, um ihre „geopolitischen Probleme zu lösen und ein wenig Geld zu verdienen“.
Die Ukraine hingegen befindet sich Putin zufolge in einer katastrophalen Lage. Sie kann den Krieg weder gewinnen noch hat sie die Kraft, die drohende Niederlage abzuwenden. Zudem verliere sie mehr Soldaten als sie mobilisieren kann. Daher ist es Zeit, sich an einen Tisch zu setzen und einen Frieden auszuhandeln, so wie Moskau es Kiew mehrfach angeboten hat. Allerdings ignoriert die ukrainische Führung die Interessen des eigenen Landes weiterhin und schickt noch mehr Landsleute in den Tod, nur um weiter an der Macht zu bleiben. Was im Übrigen nicht nur für die Ukrainer eine Tragödie ist, sondern auch „für Russen, für ganz Russland“.