Risse Im Transatlantischen Bündnis

Der Unmut wächst: Die USA profitieren vom Ukraine-Krieg auf Kosten der Europäer

Elf Monate nach Kriegsbeginn in der Ukraine ist ein Ende des Konflikts nicht abzusehen – und noch weniger ist erkennbar, daß Rußland am Ende seiner Kräfte ist. Dabei zielen die westlichen Sanktionen ausdrücklich darauf ab, Rußlands Wirtschaft zu „ruinieren“, wie es Bundesaußenministerin Baerbock (Grüne) im Februar formulierte.

Doch nichts davon ist in Sicht. Im Gegenteil: die Sanktionen haben bislang vor allem dem Westen geschadet, indem sie die Energiepreise und die Inflation nach oben getrieben haben. Der lachende Dritte sind die USA. Die US-amerikanische Rüstungsindustrie profitiert gleichermaßen vom Krieg und von der drohenden Energieknappheit in der EU: Gas und Öl, das die Europäer nicht mehr aus Rußland beziehen, verkaufen ihnen US-Firmen nun zu deutlich höheren Preisen. Ein Affront gegen die europäische Konkurrenz.

Es dauerte ein dreiviertel Jahr, aber nun beginnen auch die geduldigsten Europäer die Rolle der USA mit Argwohn zu betrachten. Die Kritik am transatlantischen Partner wird lauter.

Das renommierte US-Magazin „Politico“ hat sich in Brüssel umgehört und dieser Tage ein Stimmungsbild zusammengetragen. Es läßt eine wachsende Kluft zwischen Europäern und Amerikanern erkennen.

„Tatsache ist, daß das Land, das nüchtern betrachtet am meisten von diesem Krieg profitiert, die USA sind, weil sie mehr Gas und zu höheren Preisen verkaufen und weil sie mehr Waffen verkaufen“, zitiert „Politico“ einen hochrangigen EU-Beamten, der nicht namentlich genannt werden möchte. Man befinde sich „wirklich an einem historischen Wendepunkt“, und die Stimmung könne sich sowohl gegen die exzessive Ukraine-Unterstützung als auch gegen das transatlantische Bündnis wenden. „Amerika muß erkennen, daß sich die öffentliche Meinung in vielen EU-Ländern ändert“, warnt der EU-Funktionär.

Solche Äußerungen sind inzwischen keine Einzelstimmen mehr. Kein geringerer als EU-Außenkommissar Josep Borrell kritisierte Washington unverhohlen: „Amerikaner – unsere Freunde – treffen Entscheidungen, die wirtschaftliche Auswirkungen auf uns haben.“ Doch in Washington stoßen solche Einwände auf taube Ohren und werden harsch zurückgewiesen. „Der Anstieg der Gaspreise in Europa wird durch Putins Invasion in der Ukraine und Putins Energiekrieg gegen Europa verursacht, Punkt“, erklärte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates von US-Präsident Biden.

Das ist zwar sachlich falsch, weil an der Preisexplosion nicht Putin und der Krieg in der Ukraine schuld sind, sondern die eigene Entscheidung der Europäer, sich vom preiswerten russischen Gas abzukoppeln. Aber der brüske Ton aus Washington kommt in Europa nicht gut an – zumal offenkundig ist, daß die USA von der Notlage der Europäer in beinahe unverschämter Weise profitieren: der Preis, den die EU-Länder für das amerikanische Gas zahlen, ist fast viermal so hoch wie die Kraftstoffkosten in den USA.

Bei einigen Brüsseler Spitzenfunktionären, aber auch anderen EU-Politikern scheint jetzt die Schmerzgrenze erreicht. Der französische Präsident Emmanuel Macron äußerte sich noch sehr zurückhaltend, als er sagte, die hohen US-Gaspreise seien nicht „freundlich“. Ein hoher Brüsseler Diplomat, der nicht genannt werden will, wird von „Politico“ gar mit der Frage zitiert: „Ist Washington immer noch unser Verbündeter oder nicht?“

Ein weiterer, nicht weniger gravierender Streitpunkt zwischen Europäern und Amerikanern betrifft die massive westliche Militärhilfe für Kiew. Die USA sind bei weitem der größte Rüstungslieferant für die Ukraine und haben seit Kriegsbeginn Waffen und Ausrüstung im Wert von mehr als 15,2 Milliarden Dollar geschickt.

Aber der Clou ist: die US-Waffen sind nur geleast. Grundlage der Zusammenarbeit zwischen Washington und Kiew ist der „Lend and Lease Act 2022“. Er entspricht einer ähnlichen Vereinbarung, die die USA im Jahr 1941 mit Großbritannien und der Sowjetunion abgeschlossen hatten. Demnach werden Kriegsgerät, Ausrüstung und Kraftstoff von der US-Regierung nur verliehen oder verpachtet und müßten nach dem Krieg zurückgegeben werden. Das ist natürlich illusorisch. Washington hat deshalb großes Interesse daran, daß die Ukraine ihre Leasing-Verträge pünktlich abstottert.

Cracks in the Transatlantic Alliance
Präsident Biden unterzeichnet den Ukraine Democracy Defense Lend-Lease Act of 2022 als Gesetz. – Die ukrainische Zeche zahlen sollen aber die Europäer.

Bezahlen sollen das die Europäer. Die Amerikaner zeigen keinerlei Zurückhaltung, wenn es darum geht, Druck auf die EU auszuüben, damit diese die benötigten Geldmittel so schnell als möglich an die Kiewer Regierung überweist. Konkret geht es um rund 3,5 Milliarden Euro. Monatlich. Diese Summe nannte der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal im September 2022 dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel. Vertreter der US-Regierung unterstützten die ukrainische Position diskret und ließen die EU wissen, es wäre besser, das Geld als nicht rückzahlbare Zuschüsse zu gewähren und nicht als Darlehen. Die Europäer sollten am besten gleich einen dauerhaften Mechanismus einrichten, über den automatisch monatlich Geld in das ukrainische Budget fließen könnte.

In Brüssel und anderen EU-Hauptstädten beginnt jetzt die Einsicht zu wachsen, daß der US-Partner in Wahrheit ein Teil des Problems ist. Die Vorbehalte wachsen mit den Schwierigkeiten – während Washington keinerlei Entgegenkommen zeigt und seine Profite einkassiert. Für die transatlantischen Beziehungen ist das Gift. Zumal den Europäern mit Einbruch der kalten Jahreszeit das Wasser bis zum Hals steht.

Der frühere SPD-Chef und Gründer der Linkspartei, Oskar Lafontaine, ohnehin kein Freund der Amerikaner, gab seinem jüngst erschienenen neuen Buch einen programmatischen Titel: „Ami, it´s time to go“. Untertitel: „Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas“. Genau darum geht es.

Cracks in the Transatlantic Alliance1
Oskar Lafontaine.

Am letzten November-Wochenende 2022 demonstrierten in Leipzig erstmals mehrere tausend Menschen unter der Parole „Ami go home!“ Weitere Demonstrationen sind geplant, unter anderem im Februar vor der US-Basis in Ramstein. Die Stimmung könnte tatsächlich kippen – gegen die USA.

ОК
Im Interesse der Benutzerfreundlichkeit verwendet unsere Internetseite cookies.